Vor den Six Nations 2012

Im Rugby starten an diesem Wochenende die Six Nations. Um es vorweg zu nehmen: dieses Jahr ist nichts auf deutschen Sender zu sehen. SPORT1/SPORT1+ haben ihre Bemühungen diesbezüglich eingestellt. Wer die Spiele sehen will, kann entweder auf France2 ausweichen (über Antenne in grenznahen Gebieten oder in diversen Kabelnetzen) oder auf BBC One (Schüssel auf den “Briten-Astra” 28 Grad Ost ausrichten).

Es ist für fast alle Teams die erste Länderspiel-Serie nach der WM, ergo auch das erste Spiel unter neuer Ausrichtung. An zwei unterschiedlichen Enden der Skala stehen dabei Frankreich und England.

England – Die Wundertüte

Titelverteidiger und WM-Viertelfinalist England hat einen neuen Trainer nachdem Martin Johnson zurückgetreten ist. Stuart Lancaster, 42 Jahre, ist vom englischen Verband nur als Interimstrainer eingesetzt worden, macht aber keinen Hehl dass er sich gerne mit sämtlichen verfügbaren Gliedmaßen an den Trainerstuhl halten will. Lancaster versucht den radikalen Bruch (auch weil es im Zuge der WM etliche boulevardeske Geschichten rund um das Team gab) und setzt auf frische, neue Leute. Dieses Team ist recht unerfahren und die Spiele in Schottland sind qua alter Rivalität (Stichwort: Calcutta Cup) immer heiße Dinger – England hat seit 2004 nicht mehr im Murrayfield gewonnen.

Nach dem Rücktritt von Johnny Wilkinson muss sich ein neuer Kicker etablieren: alle Blicke fallen auf den Debütanten #12 Owen Farrell. Aber vorallem versucht Lancaster teaminternen Spirit zu erwecken, nachdem die englische Mannschaft unter Johnson trotz der Siege leblos wirkte.

Frankreich – Alles bleibt anders

WM-Finalist Frankreich bestritt eine merkwürdige WM. Bereits bei den Six Nations 2011 war die Stimmung rund um Trainer Marc Lièvremont nicht gut und durch die ersten leblosen, negativen Auftritte bei der WM ging die Laune im Team derart in den Keller, dass es phasenweise nach einer teaminternen Rebellion nach dem Muster der französischen Fußballer bei der WM 2010 aussah. Und dann kamen die WM-Playoffs. Im Viertelfinale besiegte man den Erzfeind England. Im Halbfinale zeigte man eine geschlossene Mannschaftsleistung und kegelte Wales raus. Und schließlich das Finale gegen den Gastgeber Neuseeland, wo man furiose Gegenwehr leistete und vielleicht sogar die bessere Mannschaft war.

Diese zwei Wochen der WM haben das Image der Mannschaft gerettet. Bei der Rückkehr aus Neuseeland wurde das Team von einer Menschenmenge am Place de Concorde gefeiert. Auch wenn am Ende gar nichts mehr zwischen Lièvremont und der Mannschaft ging, so trennten sich die Wege nach der WM ohne das dreckige Wäche gewaschen wurde. Mit Phillipe Saint-Andre ist ein Pragmatiker ans Ruder gekommen, der über umfangreiche Erfahrung mit dem angelsächsischen Rugby verfügt – insgesamt neun Jahre trainierte er in England.

Saint-Andre profitiert davon, dass er anders als die Engländer, keinen Generationswechsel mehr durchführen muss. Diese Kettensägenarbeit hat Marc Lièvremont übernommen. Er muss eigentlich nur noch Feintuning machen. Konsequenterweise ist der Six Nations-Kader zu weiten Teilen identisch mit dem WM-Kader. Gegen Italien gibt es viereinhalb Änderungen in der 15köpfigen Startaufstellung. Auf der #10 wird Trinh-Duc mit #9 Yachvili zusammenspielen, nachdem Trinh-Duc von Lièvremont bei der WM überraschend auf die Bank gesetzt wurde. In der ersten Reihe kommt #1 Vincent Debaty (120kg, 1m90, in Belgien geboren & aufgewachsen) rein, auf der #8 spielt Picamoles und hinten kommen #11 Malzieu und #12 Fifana neu rein.

(Und die Schlagzeilen schreibt in Frankreich heute eh ein anderer: Sébastien Chabal wurde gestern aus seinem Team Racing-Métro 92 gefeuert – wegen ungenügender Leistungen und einer Auseinandersetzung mit dem Trainer)

Italien – Neuanfang ohne George Clooney

Frankreichs erster Gegner, Italien, muss erstmals seit 2007 ohne den George Clooney-look-a-like Nick Mallett auskommen. Man einigte sich lange vor der WM nach dem Turnier getrennte Wege zu gehen. In den vier Jahren von Mallett hat Italien ausnahmlos jedesmal den “Wooden Spoon” gewonnen, also den letzten Platz bei den Six Nations geholt. Den einzigen Sieg im letztjährigen Turnier holten sie sich in einer furiosen Schlacht im Stadio Flaminio just gegen Frankreich. Man ist mit Mallett nicht unzufrieden gewesen, allerdings hatte man zuletzt das Gefühl dass sich die Italiener zu sehr mit Platz 6 zufrieden gegeben haben.

Nachfolger von Mallett ist Jacques Brunel, 58jähriger Trainer mit Erfahrung in der französischen Top 14 und als Assistent in der französischen Nationalmannschaft unter Bernard Laporte. Auch Brunel wird mit den strukturellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, das Italien nicht die Resourcen anderer Rugby-Länder besitzt. In den Six Nations ist es schon eine Sensation wenn mehr als ein Sieg eingefahren wird und die beiden italienischen Franchises in der Celtic League rangieren in der unteren Tabellenhälfte. Die Verantwortlichen wiederholen aber gebetsmühlenhaft dass die wirtschaftlichen und sportlichen Kennzahlen sich Jahr für Jahr verbessern.

Diese Saison kommt hinzu, dass das Heimstadion Flaminio renoviert wird und stattdessen im doppelt so großen Olympiastadion (Fassungsvermögen: 72.000) gespielt werden muss (für das Heimspiel gegen England am 2ten Spieltag wird mit fast ausverkauften Haus gerechnet). Das italienische Team will die Chance ergreifen und vor dieser Kulisse neue Fans gewinnen.

Wales – Quo vadis

Das gewohnte Programm bei Wales, die vor den Six Nations wieder ein Trainingslager in Polen abgehalten haben, um sich in Kältekammern fitzumachen. Die WM dürfte man vorallem deswegen als positiv empfunden haben, weil man im Viertelfinale Irland mit 22:10 schlagen konnte, obwohl die Iren bis dato eine fantastische WM absolvierten. Am ersten Spieltag der Six Nations kommt es zum Rematch zwischen den beiden Viertelfinalisten.

Wales schleppt eine so lange Verletztenliste mit sich, dass Gatland kurzfristig die Nennung der Aufstellung um zwei Tage verschob.

Irland – Rückkehr vom Tiefschlag?

Daran haben die Iren lange Zeit zu kauen gehabt. Exzellente WM gespielt, mit dem 15:6-Sieg gegen Australien in der Gruppenphase für eine der ganz großen Sensationen gesorgt – und dann im Viertelfinale gegen Wales auszuscheiden.

Es gilt nicht nur die Scharte auszuwetzen – am ersten Spieltag am Sonntag gleich gegen Wales – sondern auch den besten Spieler, Brian O’Driscoll, zu ersetzen. Der #13er fehlt seit der WM. An seiner Stelle hat sich Coach Kidney für Keith Earls entschieden.

Ansonsten gilt: Talent ist da, aber es bleiben Zweifel ob sie die vier, fünf Siege bringen können, die zum Gewinn der Six Nations notwendig sind.

Schottland – Groundhog Day

Schottland kommt von einer mauen WM. Man schied in der Gruppenphase gegen England und Argentinien aus. Ja, knappe Niederlagen, aber sich gegen Argentinien durchzusetzen war das Minimalziel. Bei den Schotten gibt es einen Disconnect zwischen dem Optimismus im Umfeld und die Resultate die am Ende herausspringen. Die Six Nations sind in den letzten Jahren eher zu einem Zweikampf gegen Italien um den vorletzten Tabellenplatz ausgeartet.

Es ist wie Groundhog Day. Auch diesmal heißt es: Schottland sei gut aufgestellt, Schottland hat die Talente mit denen sie nach oben kommen können. Das Auftaktmatch geht diesmal gegen ein England, das sich neu aufstellt. Fluch und Segen. Schottland weiß nicht was es erwartet, Schottland muss mit englischen Trainer und Spieler rechnen, die sich beweisen wollen. Gleichzeitig: so schwach war England noch nie, so günstig der Zeitpunkt die Engländer zuhause zu empfangen noch nie. Mit einem ruhmreichen Sieg gegen England könnten die Schotten viel Drive bekommen … oder Groundhog Day wieder beginnen und das Fernduell gegen Italien um Platz 5 und 6.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. danke für die übersicht!
    schön der link zum calcutta cup, dort stehtgleich oben zum pokal an sich “it is now in a fragile state after much mistreatment.”

    höhö.

  3. bin – nicht zuletzt dank der grandiosen pokal-fallen-lass-aktionen im der letzten jahre im fussball – bissl hängen geblieben auf “mistreatment”.

    schöner artikel zum legendären wir-spielen-fussball-mit-dem-cup-incident 1988:http://www.scotsman.com/news/we_dropped_the_calcutta_cup_while_using_it_as_a_rugby_ball_admits_jeffrey_1_815300

    inklusive interessanter hintergrundfakten: “Jeffrey has now admitted that on the bus back to the hotel, where the two teams were staying and due to have dinner together, the Scotland team were drinking a mix of Drambuie and whisky.”

  4. France 2 überträgt grad im Internet, zumindest bei mir:

    http://tournoi-6-nations.sport.francetv.fr/videos?id-match=ecosse-angleterre

    Mit sechs Jahren Gymnasialfranzösisch versteh ich kaum was :)