Six Nations 2010 starten
It matters not how strait the gate,
How charged with punishments the scroll,
I am the master of my fate:
I am the captain of my soul.aus: “Invictus”, Gedicht von William Ernest Henley, 1875/1888
“Invictus” ist ein Gedicht, das Nelson Mandela in seiner Gefängniszelle mit sich führte und das nun im Rahmen des Kinofilmes “Invictus” wieder öfters zitiert wird – die vom Film falsch kolportierte Legende: Mandela gibt dieses Gedicht Pienaar vor dem WM-Finale. Der Kinofilm zeigt wie der damalige südafrikanische Nelson Mandela die Rugby-WM 1995 in Südafrika nutze, um mit Hilfe der Rugby-Nationalmannschaft, Symbol der weißen, burischen Bevölkerung, das Land zu einen. Es ist kein Zufall dass der Kinofilm von Clint Eastwood dieser Tage in Europa in den Kinos anläuft, denn heute beginnen die Six Nations.
Die Six Nations sind das wichtigste europäische Rugby-Turnier und die 2010er-Ausgabe bekommt eine noch höhere Bedeutung, angesichts der Rugby-WM im September und Oktober 2011. Da es im internationalen Rugby wenig Testspiele gibt, stellen die Six Nations bereits 18 Monate vor der WM einen wichtigen Leistungstest dar.
Das Turnier ist so offen wie seit langem nicht mehr: die Iren die letzte Saison völlig überraschend das Turnier per Grand Slam gewonnen haben (5 Spiele, 5 Siege), die Waliser die unter Trainer Warren Gatland binnen zwei Jahren an die europäische Spitze zurückgekehrt sind, die Engländer und die Franzosen als klassische Rugby-Großmächte und die Schotten, die im Herbst unter neuem Coach aufsteigende Tendenz zeigten (Sieg gegen Australien).
Fünf Favoriten, aber nur ein Champion. Enttäuschungen werden nicht ausbleiben und diese Nationen werden ihrem Trainer ordentlich Zunder geben und den jeweiligen Verband dazu zwingen, nachzudenken, ob man nicht 18 Monate vor der WM und mit nur noch zirka 10 Testspielen vor der Burst, die Weichen neu stellen sollte.
Irland
Wales spielte 2008 die Cinderella und 2009 sollten es die grünen Jungs von der irischen Insel machen (im Gegensatz zu anderen Sportarten spielt die irische Rugby-Nationalmannschaft inkl. Nordirland). Coach Declan Kidney übernahm das Team erst im November 2008 und führte es überraschend und in mehreren sehr engen Spielen (2 Punkte-Sieg gg Wales, 7 gegen Schottland, 1 gg England) ungeschlagen zum Titel 2009. Der erste irische Grand Slam seit 1948.
Irland blieb 2009 ungeschlagen, besiegte in den Testspielen im Herbst Fiji und Südafrika und holte gegen Australien ein Unentschieden.
Wales
Wales startete die letzten Six Nations mit zwei Siegen gegen Schottland und England, um dann gegen Frankreich und am letzten Spieltag in einem Thriller gegen Irland zu verlieren. Das waren zwar zwei Niederlagen, aber die Entscheidung im Spiel gegen Irland fiel erst per Drop Kick der Iren in der vorletzten Spielminute. Ohne diesen Drop Kick wäre Wales nicht Vierter der Six Nations 2009 geworden, sondern hätte das Turnier gewonnen!
Nachdem man im Herbst auch gegen Australien und Neuseeland verlor, ist Wales derart verunsichert, dass sogar ein Rausschmiß von Warren Gatland bei schlechtem Verlauf der Six Nations nicht mehr ausgeschlossen wird – welch ein krasser Kontrast nach den Jubelfeierlichkeiten des Grand Slam 2008!
Was den Job von Gatland nicht einfach macht, sind die zahlreichen Verletzungen im Kader und das schwere Auftaktspiel: heute abend gegen England in deren Rugby-Hochburg Twickenham.
England
Wenn ich oben von “Weichenstellungen” im Hinblick auf 2011 geschrieben habe, dann ist damit vorallem England und ihr Coach Martin Johnson gemeint – ein extrem populärer Spieler, der im April 2008 ohne vorherige Trainererfahrung, plötzlich Nationaltrainer der Engländer wurde. Es erinnert an die Ernennung von Jürgen Klinsmann – und ähnlich dem deutschen Fußballbund, ist der englische Rugbyverband der wohlhabendste Verband in der Rugbywelt.
Der Mann mit der riesigen Stirnwulst, hat auf dem Trainerposten noch nicht überzeugt. Die Ansprüche die England an seine Nationalmannschaft stellt, sind sehr hoch. Da reicht es nicht dreckige Siege einzufahren(2ter Platz bei den Six Nations 2009 mit drei Siegen). Man möchte zurück zu der historischen Ausnahmestellung, man möchte mit Autorität spielen, man möchte aus Twickenham wieder eine uneinnehmbare Festung machen. All das konnte Johnson noch nicht erfüllen. Und so verwundert es nicht, dass die Stimmung nach den Herbst-Testspiel-Niederlagen gegen Neuseeland und Australien schlecht war. So schlecht, dass die Nationalmannschaft nach ihrem blassen Sieg(!) gegen Argentinien ausgepfiffen worden ist. Eine neue Erfahrung für die englische Nationalmannschaft.
Johnsons Vorgänger Brian Ashton wurde gefeuert weil die Erfolge ausblieben und er langweiligen Rugby spielen ließ. Unter Martin Johnson hat sich daran nichts geändert. In den drei Spielen der Herbstserie gelang England ein einziger Versuch. Die Spieler wirken verunsichert und unkreativ. Eine erstaunliche Stagnation, da Johnson eigentlich mit dem Label des Players Coach auf dem Posten kam, als jemand der wie ein Spieler denkt und lenkt und an dessem positiven Image die Spieler sich hochziehen können.
Wie ernst in England die Lage gehalten wird, zeigt sich auch dadurch, dass die englischen Rugby-Klubs der Nationalmannschaft erstmals umfangreiche Freiheiten bezüglich der Länge der Abstellungsperioden zugebilligt haben – alles Anstregungen im Hinblick auf die WM 2011 und dem Versuch England wieder an die Weltspitze zu bringen.
Martin Johnson braucht nicht nur Siege, sondern überzeugende Siege, sonst wird er sich nicht länger auf der Position halten können. Nimmt man die Ausgangslage von Wales hinzu (s.o.), ahnt man, was für ein Thriller die Auftaktbegegnung England – Wales werden kann.
Frankreich
Ähnliche Situation bei den Franzosen, wo mit den Six Nations 2010 Trainer Marc Liévremont und sein begonnener Generationswechsel auf dem Prüfstand steht. Die junge Mannschaft spielt zwar noch immer inkonstant (unter Liévremont noch nie drei Siege in Folge), aber einige Siege im letzten Sommer und im Herbst haben die Ansprüche und damit die Fallhöhe für Liévremont steigen lassen. Die Franzosen gehen als Favorit der Buchmacher ins Turnier und das ist den Franzosen nie gut bekommen. Dies und die Inkonstanz lassen den Turnierfavoriten nicht wie einen Rugby-Koloss aussehen, sondern wie accident waiting to happen.
Das konnte man prototypisch letzten Sommer und Herbst beobachten, als man Neuseeland in Neuseeland schlug (27:22) und zuhause die Südafrikaner besiegte (20:13), nur um dann gegen die All Blacks zuhause eine peinliche 12:39-Packung zu bekommen.
Es sind nicht nur die Ergebnisse die Liévremont schlecht aussehen lassen: seit seinem Amtsantritt 2008 als ehemaliger Juniorennationaltrainer, hat er permanent neue Spielere reingeworfen und andere aus dem Kader rausgenommen. Dies hatte sich im letzten Herbst etwas gelegt, aber wieviele Niederlagen sind die beiden wichtigen Scharnierpositionen #9 Parra und #10 Trinh-Duc von einem Wechsel entfernt?
Die Franzosen feiern übrigens Jubiläum: vor 100 Jahren schloßen sie sich dem Turnier an. Mit der Einbeziehung der Franzosen wurde das “Home Nations” zum “Five Nations”.
Schottland
Nach langen Jahren des Siechtums hat Schottland im letzten Sommer seinen Trainer ausgewechselt und nun ausgerechnet einen Engländer genommen: Andy Robinson. Viel Honig zieht man vorallem aus dem letzten Spiel, einem Sieg 9:8 gegen Australien, dem ersten Sieg gegen die Wallabies seit 27 Jahren.
Die Schotten erhoffen sich eine Fortsetzung des Signals aus dem Spiel gegen Australien und damit Ruhe an der Trainerfront bis zur WM.
Italien
Das Turnier nennt sich zwar Six Nations, aber auch zehn Jahre nach der Inkludierung der Italiener, handelt es sich eigentlich immer noch um die Five Nations. Italien stagnierte in den letzten Jahren. Nach überraschenden zwei Siegen 2007, als man an einen Druchbruch glaubte, ging es 2008 mit nur noch einem Sieg und letzte Six Nations mit null Siegen bergab.
Gerade die Six Nations 2009 waren für die Italiener sehr ernüchternd. Verletzungsgeschwächt holte man nicht nur fünf Niederlagen ab, sondern verlor in vier der fünf Spiele mit 20 und mehr Punkten Unterschied. Der südafrikanische George Clooney-Verschnitt Nick Mallett konnte sich überraschend halten und bekommt diese Saison eine neue Chance.
Das einzige was für den italienischen Rugby hoffen lässt, ist weiterhin steigende Popularität – zuletzt als 80.000 Zuschauer im ausverkauften San Siro die Niederlage gegen Neuseeland sahen.
Die Spiele
Irland – Italien (So 15h30) – Es sollte ein gemütlicher Aufgalopp für Irland werden – Italien mit seinem letzten 6 Nations-Auswärtssieg 2007. Die Aufgabe ist für Italien ein Ding der Unmöglichkeit geworden, seit dem sich vor einigen Tagen einer ihrer wichtigsten Spieler #8 Parisse eine Verletzung am Kreuzband zuzogen und das komplette Turnier fehlen wird.
England – Wales (Sa 18h) – Die Knallerpartie des ersten Spieltages. Wie weiter oben beschrieben, ist es für beide Mannschaften und für beide Coaches ein wichtiges Spiel und um die Partie noch weiter aufzuladen, feiert die nationale Rugby-Stätte Twickenham heute auch noch ihren 100ten Geburtstag. Das Stadion wurde am 15.1. 1910 eröffnet. Das Eröffnungsspiel? England – Wales. 11:6-Sieg für England.
Die verletzungsanfällige englische Legende Jonny Wilkonson wird wieder auf der Position #10 spielen (gemeinsam mit #9 Care eine Art Mittelfeldregisseurs-Position – Wilkinson ist zudem ein legendärer Kicker). Nicht dabei ist der junge Danny Cipriani, der sich Herbst verletzte und erst Anfang Dezember wieder mit dem Spielen anfing. Der gut aussehende Frauenschwarm Cipriani galt als Zukunft des englischen Rugbys.
Schottland – Frankreich (So 16h) – Bei Schottland ist ein plötzlicher “cinderella-esker” Leistungssprung wie zuvor bei Wales und Irland in dieser Saison nicht komplett ausgeschlossen. Die Franzosen gehen auf dem Papier als Favoriten nach Schottland. Ihr Problem heißt Murrayfield, wo sie seit Äonen nicht mehr gewonnen haben.
Reaktionen
Warum spielt Irland denn nicht im Croke Park?
Da es diesen Blog-Eintrag ja vorgestern noch nicht gab,
erlaub ich mir meine (etwas überarbeiteten) Eindrücke zu “Invictus” hier nochmal an die jetzt passende Stelle zu stellen:
Obwohl der Film natürlich manipulativ arbeitet und die Ereignisse dramaturgisch verdichtet und spielfilmgerecht aufbereitet, hat das bei mir durchaus funktioniert und mich emotional gepackt.
Auch wenn das Werk eher als anspruchsvolles Drama und Oscarmaterial vermarktet wurde, so ist es doch im Grunde ein reinrassiger Sportfilm.
Es geht um die Rugby-WM von 1995 und wie das von den Schwarzen zunächst abgelehnte Springbok-Team auch durch den Einfluß Nelson Mandelas zu einem Identifikationsobjekt für die ganze Nation wurde.
Dabei beschäftigt sich das letzte Drittel der Handlung nahezu ausschließlich mit den einzelnen Spielen, die auch ziemlich rauh und realistisch inszeniert wurden. Eastwoods Behauptung sich sehr um eine glaubwürdige Darstellung des Sports bemüht zu haben ist schon mehr als reine PR, nicht zuletzt da dafür diverse Einheimische und echte Spieler verpflichtet wurden. Die Umsetzung wirkte auf mich jedenfalls überzeugender als bei den meisten Fußball-Filmen.
Das Rugby-Thema dürfte für Einige hier auf jeden Fall interessant sein,
während der Film es damit beim hiesigen “Normalpublikum” eher schwer haben wird.
Ich sah den Film in einer Pressevorführung und schon der überwiegende Teil der Journalistenkollegen konnte mit diesem merkwürdigen Sport offenbar wenig anfangen. So sorgte beispielsweise der Haka-Tanz für großes Gelächter und viele hielten das anscheinend für eine Erfindung der Filmemacher. Da zudem ständig nur von dem Spiel gegen die “All Blacks” die Rede ist, setzte ein Gemurmel darüber ein, welches Land das denn eigentlich sein soll.
Bei der deutschen Synchronisation gibt man sich erfreulicherweise aber keine Blösse, da ist korrekt von “Versuch legen”, “Erhöhungstritt” oder “ins Gedränge kommen” die Rede. Wobei auch die Geräusche der Spieler bei eben diesem “Gedränge” im Publikum (leider) nur für Heiterkeit sorgten.
Ich spreche aber eine eindeutige Empfehlung aus und bin immer noch erstaunt, auf welch breitem Spektrum sich Clint Eastwood in den letzten Jahren bewegt.
ich hab ja von rugby keine ahnung, aber was mich interessiert: wie kann denn ein irisches team inkl. nordirland gebildet werden? eine nationalmannschaft, die sich aus einem souveränen staat und einem teil (auch da bin ich nicht besonders firm, aber soweit ich informiert bin, hat nordirland nicht mal einen besonderen status im uk wie bspw. schottland, oder?) eines anderen souveränen staates zusammensetzt?
ist das einfach 1921 oder wann immer ignoriert wurden? mir erscheint das, als ob in der deutschen nationalmannschaft beispielsweise auch spieler aus dem elsaß oder oberösterreich rekrutiert würden, unabhängig von den sehr unterschiedlichen geschichtlichen zusammenhängen.
Nordirland hat den gleichen politischen Status wie die anderen drei Countries in Großritannien (England, Schottland, Wales), inkl. einem eigenen Parlament (wo es gerade etwas drunter und drüber geht)
Es gibt rund um die britische Inseln mehrere solche Abstrusitäten. Zuerst: der irische Rugbyverband ist seinerzeit ein Zusammenschluß des irischen und nordirischen Rugbyverbandes gewesen (1879) – seinerzeit gehörte beides zu Großbritannien.
Politisch trennte sich dieses irische Zeuch als 1921 (die Republik) Irland unabhängig von Großbritannien wurde, also 40 Jahre nach Gründung des Verbandes.1922 durfte Nordirland seinen Status wählen und entschied sich für britische Zugehörigkeit.
Diese Geschichte erklärt warum es nie eine komplette Trennung gab und es in diversen Sportarten ein gesamtirisches Auftreten gibt. Nicht nur Rugby, sondern auch die gaelischen Sportarten, Cricket, Basketball oder Eishockey.
Kreuz und quer geht es ja auch Fußball zu, wo walisische Teams wie Cardiff City im englischen Ligabetrieb spielen dürfen und über ein englisches Ticket auch am Europapokal teilnehmen dürften.
Im Cricket gibt es bei den West Indies ein weiteres multinationales Team.
Dankeschön. Das hatte ich ungefähr so vermutet (das nordirische Parlament war mir wohl entfallen, shame on me). Aber schon interessant, wie die historischen Linien sich im Sport mal wieder fortsetzen.
Ich suche gerade (ziellos) nach weiteren Abseitigkeiten bei Nationalmannschaften, mir war auch völlig neu, daß Neukaledonien (obwohl zu Frankreich gehörend) seit 2004 vollwertiges FIFA-Mitglied ist – wäre das früher passiert, wäre Christian Karembeau wohl nicht Welt- und Europameister geworden.
Hier noch eine wichtige Information für die nächste Millionenfrage bei Jauch:
The Marshall Islands are the only sovereign nation state which has no national football team with any records.
Für weitere Skurrilitäten, auch gerne abseits des Fußballs, bin ich immer zu haben.
Dass die offensichtlichste Absurdität noch nicht erwähnt wurde: Monaco.
Allerdings ist Monaco, trotz voller Souveränität, kein Mitglied der FIFA, aber ASM spielt bekanntlich – nicht ganz unerfolgreich – in der französischen Ligastruktur mit und gilt auch als französischer Starter im Europapokal.
Was mir auch direkt noch einfiele, sind die ganzen US-Außengebiete – etwa Puerto Rico und American Samoa. Was würde die NFL nur ohne letztere machen… ;)
…eine komplett schnauzbarttragende OL/DL aus New Jersey oder Flint/Michigan in jedem Team. Hätte doch auch was für sich…
grade vergessen: Ich finde den BBC-Spot wieder mal grandios! Da sitzen anscheinend wirklich Leute am Mischpult, die den Pathos den eine solche Veranstaltung hat bzw. den die Fans empfinden erkennen, nachvollziehen und umsetzten können. Mach einfach Lust auf die Übertragungen.
Wenn ich da an den ZDF-Biber denke…
@RC: dann gäbe es da auch noch den fc vaduz in der schweizer liga und natürlich, wie schon von dogfood angesprochen, cardiff city und die waliser.
hauptsächlich gings mir aber um die nationalmannschaften und ich vermtue einfach mal, daß es abseits des so durchkommerzialisierten wie politisierten, weil prestigeträchtigen fußball die schöneren stilblüten gibt.
Wie es zu befürchten war ist sportdigital.tv noch beim Tennis, während das Rugby-Spiel Schottland-Frankreich bereits läuft.
Sehe das Spiel aber auf France 2.