Bundesliga 09/10, #17: HSV – Werder Bremen
Hamburger SV – Werder Bremen 2:1
Hamburger SV
Rost
Demel – Boateng – Mathijsen – Aogo
Rincon – Jarolim
Torun – Jansen
Petric – Elia
Werder Bremen
Wiese
Prödl – Mertesacker – Naldo – Pasanen
Frings
Jensen – Özil – Hunt
Marin – Pizarro
Der gestrige Sonntagnachmittag im Stadion war nicht nur geprägt von Labskaus, Sponsorenfirmen und Hostessen. Es gab da auch ein Spiel: das Nordderby.
Ich konnte mich nicht des Eindruckes erwehren, dass diesmal die Karma-Punkte ausschlaggebend für den Sieg des Hamburger SVs waren. All die Scheiße die in der letzten Saison zu Ungunsten des HSVs anfiel, wurden diesmal dank eines sehr guten Drehbuches in ihr Gegenteil verkehrt. Ein frühes Tor, dann aber ein weiterer Schicksalsschlag durch den Platzverweis von Boateng durch einen nicht satisfaktionsfähigen Schiedsrichter. Trotz Unterzahl der Konter zum 2:0, eine dreiviertelstündige Abwehrschlacht, drei Lattentreffer, aber trotzdem ein gutes Ende (YMMV). Für den HSV war das vor der Winterpause ein wichtiger “Feel Good”-Sieg.
Es wurde schnell eine sehr intensive Begegnung, auch dank der schwer bespielbaren Platzverhältnisse. Der Boden schien hart und rutschig gleichzeitig zu sein. Beim Warmmachen von Wiese konnte man bei seinen flachen und harten Abwürfen sehen, wie mies die Bälle ihren Effet beibehielten. Ich habe im Fernsehen nur eine dreiminütige Zusammenfassung gesehen, aber im Fernsehen kam das Geschehen sehr viel dynamischer rüber, als es auf dem Platz wirklich war. Die Spieler gingen wie auf rohen Eier zum Ball, immer im Hinterkopf jetzt ja nicht auszurutschen. Hastige Bewegungen oder Richtungswechsel wurden vermieden und alle langen Pässe sahen unorthodox aus.
Im Prinzip hätte Werder im Vorteil sein müssen. Kleine, wuselige Spieler, eine gute Raumaufteilung bei der Marin, Pizarro, Özil und Hunt munter durchrotierten. Mit dieser Wuseligkeit hätten sie die mitunter hüftsteifen oder großgewachsenen Hamburger Verteidigern vor richtig schwere Probleme stellen können – aber eines hatten sie im Gegensatz zum Spiel in Bilbao nicht: Platz.
Der HSV hatte sich wesentlich besser auf diese Platzverhältnisse eingestellt, in dem er es gar nicht erst mit kleinteiligen Spiel versuchte, sondern auf lange Läufe und lange Pässe setzte, während die Bremer sehr kleinteilig blieben und gegen die hinten sehr kompakt stehenden Hamburger keine Raum bekamen um ein Spiel zu entwickeln.
Anders der HSV, der immer wieder mit langen Zuspielen, über Jansen, Elia und Torun in die freien Räume vorstieß und sehr leicht hinter die wieder sehr hoch stehende Abwehrkette kam. Diese Abwehrkette der Bremer war unter diesen Bedingungen extremes Risiko: effizient wenn die Abseitsfalle klappte, aber die Hölle wenn das Abseits nicht gepfiffen wurde. Bei diesen Platzverhältnissen war es für die beiden 1m98-Hünen Mertesacker und Naldo kaum möglich auf den Absätzen kehrt zu machen und dem Angreifer hinterherzurennen.
Das Spiel lief nicht wirklich gut für die Bremer: aus einem Standard das frühe Gegentor kassiert: Eckball Aogo, Jansen verlängert, Mathijsen köpft im 5m-Raum ein, 9te Minute. Klasse für die Hamburger, die noch mehr die Bremer kommen ließen und noch mehr auf die schnellen Gegenstöße setzen konnten. Aus “kompakt” wurde hinten “sehr kompakt”.
Florian Meyer agierte auf diesen schwierigen Platzverhältnissen mit einer Null-Toleranz-Politik und gab für eine schlechte Rincon-Grätsche eine frühe gelbe Karte. Acht weitere Karten sollten folgen.
Die erste Aktion bei der die Bremer wirklich Platz gegen eine ausnahmsweise aufgerückte Hamburger Defensive bekamen, war in der 32ten Minute, als Marin geschickt wurde, diagonal vor dem Tor kreuzte und von Boateng seitlich abgegrätscht wurde. Aus der Stadionperspektive sah es wie ein “gut gemeintes, aber etwas zu spätes” Tackling aus, vielleicht gelbwürdig, aber dass es Notbremsen-Rot gab, damit hatte aufgrund der Feldposition und der Laufwege niemand gerechnet. Ganz harte Nummer von Meyer.
Umso größer war der Jubel als der nächste schnelle Hamburger Gegenstoß durch Jansen am herauslaufenden Wiese vorbei zum 2:0 eingeschoben wurde, nur zwei Minuten nach dem Platzverweis. Karma.
Labbadia nahm Torun raus um nach dem Boateng Platzverweis die Viererkette mit Rozehnal wieder zu komplettieren. Der HSV hatte kurz vor dem Halbzeitpfiff noch eine weitere Großchance, als Wiese mit einer fassungslosen Fußabwehr wie-auch-immer noch einen Mathijsen-Schuss von der Linie kratzte. Werder war in der ersten Halbzeit, abgesehen von einem Lattentreffer durch Naldo, erschreckend harmlos und uninspiriert.
Die zweite Halbzeit war ein einziger Belagerungszustand vor dem Hamburger Tor, immer wieder garniert mit gefährlichen Kontern der Hamburger. Petric und Elia leisteten enorme Laufarbeit und beschäftigten permanent vier Bremer: Naldo, Mertesacker, Pasanen und Frings. Elia wurde zum gefeierten Mann und lieferte eine Leistung ab, vergleichbar mit Klinsmanns Ein-Mann-Sturm im WM 1990er-Achtelfinale gegen die Niederlande nach den Völler/Rijkaard-Platzverweisen. Elia ließ sich auch nicht davon schocken, dass knapp Dreiviertel seiner Läufe immer wieder am glänzend positionierten Naldo zerschellten.
Bremen hatte seine Chancen. Nach dem Lattentreffer in der ersten Halbzeit, gab es zwei weitere Aluminiumtreffer, aber es reichte nur zum Anschlusstreffer nach einem Naldo-Kopfball in der 93ten Minute.
Der Genickbruch für die Bremer war vielleicht schon die rote Karte, die den HSV sich endgültig hinten verkriechen ließen und so den Bremer keinerlei Platz gaben, um ihr Spiel entfalten zu lassen. Zumindest nicht auf diesem Boden. Vielleicht hat Schaaf auch zu spät auf Offensive gesetzt: Rosenberg, Borowski und Almeida kamen erst in der 57ten, 65ten und 85ten Minute und in der Schlussphase gingen dem HSV sichtlich die Körner aus.
Noch was: Respekt vor beiden Mannschaften. Schon für die Zuschauer war das aufgrund der Kälte ein ekelhaftes Spiel, aber auf diesem harten Boden, dem Schneefall und der Kälte in kurzen Höschen ein Spiel mit vollem Einsatz zu fahren – das sah von außen einfach nur furchterregend aus.
Der HSV mit einer Partie die ein bisschen an die komplette Hinrunde erinnerte: sich irgendwie gegen widrige Umstände durchlavieren. Am Ende der Hinrunde steht Platz vier – zwei Punkte hinter einen CL-Platz, vier hinter dem Tabellenführenden. Da sah vieles nicht souverän aus und die Zahl der schlechten Spiele häuften sich zuletzt. Bruno Labbadia ist weiterhin nur “unter Bewährung”. Hätte aber jemand einem den Deal vorgeschlagen “ihr habt drei bis sechs Dutzend Stammspieler die verletzt ausfallen, bekommt aber dafür zur Winterpause Platz vier und Europa League-Zwischenrunde“, der Deal wäre angenommen worden.
Werder Bremen. Auch in der Europa League-Zwischenrunde und auf Platz 6, fünf Punkte hinter einem CL-PLatz. Werder hinterließ in der Hinrunde eigentlich einen sehr guten, sehr frischen Eindruck – ehe sie anfingen im November und Dezember die Punkte gleich reihenweise wegzuschmeißen. Teils mit lustlosen Vorstellungen, teils mit Ratlosigkeit gegenüber kompakten Gegnern (Köln, Schalke, HSV). Das sind die Momente wo es auffällt, dass der Kader der Bremer zuwenig Tiefe besitzt um schlechte Spiele von Özil, Marin und Hunt zu kompensieren.
Der HSV mit 8 Siegen und sieben Unentschieden aus 17 Spielen, Werder mit 7 Siegen und 7 Unentschieden. Der HSV mit 34 Toren und +15 im Torverhältnis, Werder mit 32 Toren und +16 im Torverhältnis. Der HSV mit 31 und Werder mit 28 Punkten. Der HSV gewann gestern 2:1. Das spiegelte weniger den Leistungsstand als das konkrete Spiel mit all seinen kuriosen Rahmenbedingungen wieder.
Reaktionen
Oopos, ich brauchte bis zum Satz “hab im Fernsehen nur 3 Minuten gesehen”, bevor mir klar wurde, dass es sich hier nicht um eine Screensport-Nachbetrachtung sondern um einen “Live im Stadion”-Bericht handelt.
Ein kleiner Hinweis darauf zu Beginn würde uns geistig etwas festgefrorenen Lesern die Zuordnung erleichtern :-)
Danke, ich habe die Einleitung um einen Hinweis auf den Prolog ergänzt.
Ein wirklich sehr lesenswerter Bericht. Danke schonmal dafür. Ich finde deine Einschätzung am Ende auch sehr gut gewählt. Ich bin Bremer und war gestern doch ziemlich sauer über das Auftreten “meiner” Mannschaft. Der HSV war einfach bissiger und das hat, meiner Meinung nach letztendlich den Unterschied ausgemacht.
Es ist nun auch wirklich merkwürdig, das Werder eigentlich eine super Hinrunde spielt und nun nur 6. ist, mit sieben Pkt. auf Bayer, fünf auf Bayern und drei auf den HSV. Gerade Bayern und auch in Teilen der HSV spielten doch teilweise Rumpelfußball und stehen nun doch klar vor uns. Das ist wahrscheinlich die Qualität, die Werder fehlt (auch mit der Tiefe des Kaders), dass man halt auch mal Rumpelspiele gewinnen muss!
Gestern war es jedoch kein Rumpelspiel, eben weil Hamburg einfach bissiger war!
“Ich konnte mich nicht des Eindruckes erwehren, dass diesmal die Karma-Punkte ausschlaggebend für den Sieg des Hamburger SVs waren. All die Scheiße die in der letzten Saison zu Ungunsten des HSVs anfiel, wurden diesmal dank eines sehr guten Drehbuches in ihr Gegenteil verkehrt.”
Also auch nach einem halben Jahr kann ich die Anhänger aus oder rund um Hamburg schlicht nicht verstehen. Auch wenn es gewiss nur eine nicht relevante Spielerei ist, so bildet dieser Link meinen Eindruck der vorigen Saison von euch recht gut ab: http://www.wahretabelle.de/wahretabelle/wahre-tabelle-2008-2009.php
Mit einem Torverhältnis von +2 in den Europacup einzuziehen, spricht eigentlich schon für sich. Aber bei mir blieb generell hängen, dass die Hamburger vorige Saison kräftig in die Glücksbox gegriffen haben. Viele knappe, nicht gerade überzeugende Siege einer durchschnittlichen Mannschaft, die im Notfall von Fehlentscheidungen profitiert, kulminierend in der letzten Minute des letzten Spieltags.
Und da liest man hier über “all die Scheiße zu Ungunsten des HSV”? Sehr verwegene Wahrnehmung … statt heimlich alle zwei Wochen froh zu sein, dass Hamburg überhaupt international spielen darf. Diese Saison sieht es, zugegeben, allein wegen der Verletzungen anders aus. Aber gerade das Jammern von Jansen & Co. nach dem Spiel in Mainz kommt einem als Dortmund-Sympathisant wie blanker Hohn vor. Fußballer sind so verdammt vergesslich.
Habe ich “all die Scheiße zu Ungunsten des HSVs” an Schiedsrichterentscheidung festgemacht? Nö. Ich denke da vorallem an Papierbällen und vier extrem enervierenden Duellen mit Werder. Da gab es zwar eine m.E. sehr miese Fehlentscheidung (die Rote gegen Jarolim im DFB-Pokal), aber der Rest war in Sachen Schiedsrichterentscheidungen in Rahmen des Normalen.
Und im Vergleich zu dem was sonst an Bundesliga.Spieltagen gebloggt oder getweetet wird, ist es hier in Sachen Schiedsrichterentscheidungen recht ruhig (die Jens Lehmann-Platzverweisdebatte war in meiner Erinnerung das einzig große Ding der Hinrunde)
Ja, die “Wahre Tabelle” ist eine Spielerei. Spätestens die Diskussion des Bayern-Phantomtors der letzten Saison, als Bayern-Sympathisanten eine 3D-Animation des ZDFs zur Beweisführung für ein angebliches Tor herbeizogen, ist die “Wahr Tabelle” nur noch Slapstick. Die Animation hätten dreijährige Kinder damals mit Legobausteinen originalgetreuer hinbekommen als das ZDF und es reicht derzeit das Betrachten einer einzigen HEUTE-Sendung um sich davon zu überzeugen wie knorke die vom ZDF in Sachen 3D-Animation ist. Wer nicht in der Lage ist, mit einem teuren, neuen System den Green-Screen-Hintergrund synchron zur Kamerafahrt zu bewegen, sollte sich gar nicht erst am Basteln von 3D-Animationen für Fußballspiele versuchen.
Das Aufregen über eine Benachteiligung eines Vereine durch Schiedsrichter macht nur den Pimmel klein.
@dogfood
Kann es sein, dass du in dieser Saison ein sehr effektiver Stadion-Glücksbringer bist?
@travis
wahretabelle.de ist Humbug. Die Entscheidungen werden von wenigen Fans beeinflusst und Bayern-Fans sind mehr als überproportional vertreten.
Das ist noch weiter weg von jeder Form von “Objektivität” als Bild oder Doppelpass.
Ja, dass Trochowski-Tor war Abseits. Und diese Fehlentscheidung ist natürlich für einen Dortmund-Fan mehr als ärgerlich. Daraus aber einen Schluss für die generelle Behandlung des HSV durch Schiedsrichter zu ziehen, ist aber schlicht falsch.
Was dem HSV im zweiten Teil der Hinrunde passierte war schon sehr brutal.
Und zum Spiel gestern, der Spielbericht auf N3 konnte einem schon die Tränen in die Augen treiben, offenbar hat der HSV keine Freunde im “Haussender” oder man hatte Angst vor Studiogast Schaaf.
“Das Aufregen über eine Benachteiligung eines Vereine durch Schiedsrichter macht nur den Pimmel klein.”
He! :-)
Ich gebe ja zu, dass ich in dieser Thematik recht hartnäckig bin, was leicht ins Enervierende rüberlappt.
Aber eine strukturelle Bevorzugung etablierter Vereine zu verneinen, ist schlicht naiv. Natürlich haben Bayern-Spieler einen größeren Freibrief, weil die Bayernhausmacht im deutschen Fußball nun einmal den längsten Arm hat.
@ dogfood & millhouse: Habe ja bewusst die Schiedsrichterentscheidungen zuletzt genannt in meiner Aufzählung. Es ging mir um den Gesamteindruck … und da war die “WahreTabelle” das erste Hilfsmittel, das ich auf die Schnelle finden konnte. Deshalb ja auch sofort meine Relativierung. Nur, das genannte Torverhältnis von +2 ist doch unbereinigt, also das reale. Und damit bleibt es bei dem Gesamteindruck, der mit etwas Zeit und zahlreichen Beispielen belegt werden könnte, dass der HSV letzte Saison insgesamt sehr glücklich agierte und punktete.
Und bei den Spielen gegen Bremen, die ich alle vier gesehen habe, hat sich halt die bessere Mannschaft durchgesetzt. Papierkugel? Freak Accident und sehr boulevardeskes Instrument. Was viele vergessen: Bremen führte bereits vor diesem Malheur mit 2:1 in Hamburg, wäre zu dem Zeitpunkt weiter gewesen. Aber Objektivität muss im Fußball ja meistens der Legendenbildung weichen. Gehört dazu, und ist ja meistens auch spaßig.
Schlimmer, weil übertrieben, fand ich da die Gelbe Karte für Diego. ;o)
Gut das Spiel wiedergegeben.
Die Stimmung im Stadion war seltsam: Trotz 2:0 und drückenden Bremern war der Support sehr verhalten teilweise. Alle hatten den Bremenschock aus dem Mai wohl nicht überwunden.
Der Schiedsrichter war eine echte Zumutung.
Wie Schaaf direkt nach dem Spiel im Interview auf sky angab, hatten die Bremer eine falsche taktische Einstellung für den extremen Boden. Ich frage mich nur, warum sie die im Laufe des Spiels nicht geändert haben.
In meinen Augen muss noch erwähnt werden, dass Elia eine weltklasse-Leistung abgeliefert hat. Ein irres Laufpensum und trotz der widrigen Verhältnisse eine unglaubliche Ballbehandlung. Und erwähnt werden muss, dass Labbadia wieder einmal zwei Spieler zu spät ausgewechselt hat. Jansen wedelte mehrfach hektisch mit den Händen zur Seitenlinie und bat um Auswechslung aufgrund einer Verletzung, Labbadia liess ihn aber weiter spielen. Jansen wurde umgehobelt und verletzte sich noch stärker. Bei Petric sah das ähnlich aus, allerdings ohne folgen.
Ausserdem sah der HSV die letzten 20 Minuten sehr abgekämpft aus und war am Ende stehend KO. Hätten die Werderaner nicht alles ausser das Tor getroffen und ein wenig mehr Zeit gehabt, wäre das Spiel durchaus anders ausgegangen.
@Travis
Also mein Eindruck vom Papierkugelspiel war wie folgt:
Olic wird im Strafraum gefoult, der Schiedsrichter pfeifft aber Foul von Olic, das Tor von Mathijsen wird nicht gewertet. Bitte das nicht vergessen!
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