Bundesliga 09/10, #7: HSV – Bayern
Und dann verlief das Spiel doch anders als ich es erwartet hätte.
@thetruemilhouse hat eine Karte für das Spiel HSV – Bayern, dem Spitzenspiel des 7ten Spieltags spendiert – dafür noch einmal einen herzlichen Dank. Allerdings hat er die Parkplatzsuche unterschätzt, weswegen es mit ca. 20 Minuten Verspätung ins Stadion ging. Inzwischen habe ich das Spiel noch einmal in Gänze gesehen.
Das Spiel war im Stadion unterhaltsamer als im Fernsehen, nicht zuletzt weil es weniger statisch wirkte, sehr viel mehr im Fluß war. Am Fernsehen gab es in der zweiten Halbzeit deutliche Hänger, während ich im Stadion das Prädikat “gutes Spitzenspiel” unterschreiben würde.
So sehr ich Probleme mit dem Charakter von van Gaal bzw. seiner Außendarstellung habe, so sehr habe ich einen hohen Respekt vor ihm als Trainer und er tut als Trainer der Bundesliga richtig gut. Bei keinem Trainer habe ich derart das Gefühl dass er auch im Laufe einer Partie an der Taktik rumschraubt. Wann hat es das zuletzt gegeben, dass TV-Kommentatoren und Twitter-Volk nach jeder Halbzeit erst einmal minutenlang über die taktische Aufstellung diskutieren.
Das ist jenes proaktive Eingreifen, dass mir z.B. bei Labbadia bislang fehlt. Zumindest nach außen hin. Im Interview mit SKY implizierte Labbadia, dass er vor dem Spiel seine Aufstellung auf eine Dreier-Kette der Münchner ausrichtete. Er hatte Informationen aus München und will entsprechend wenig überrascht gewesen sein. Als Knackpunkt des Spiels stellte Reif später die Halbzeitpause dar. Für den verletzten Demel brachte Labbadia nicht den naheliegenden Tesche für das linke Mittelfeld, sondern mit Berg einen zweiten reinrassigen Stürmer. Dies soll wiederum van Gaal dazu getrieben, die Dreier-Kette hinten auf eine Vierer-Kette umzustellen. Lahm, der vor der Dreierkette die rechte Seite stärken und Robben absichern sollte, rutsche auf die Linksverteidigerposition und Breno wurde auch auf dem Papier faktisch das was er schon die ganze erste Halbzeit war: ein reiner Rechtsverteidiger.
Für Reif bedeutete dies eine Schwächung des Mittelfeldes, über das die Hamburger dann in der 2ten Halbzeit Kontrolle bekamen und das Spiel gen Bayern-Tor verlagern konnten.
In der ersten Halbzeit waren die Bayern dominant, ohne Frage. Aber gemessen an der Dominanz ist relativ wenig Druck auf das Hamburger Tor entstanden. 15+x Ballstationen schön und gut, aber wenn daraus in Halbzeit 1 nur fünf Torschüsse (gegen sieben Hamburger Torschüsse) entstehen, ist es nicht das Gelbe vom Ei. Im Stadion konnte man sehen, wie sehr Robben immer wieder mit Breno über Handzeichen kommunizierte um vernünftige Anspiele zu bekommen. Dazu kam ein Lahm, der auf rechts oder links derzeit nur für wenige offensive Impulse sorgt.
Gemessen daran was die Bayern auf Rechts investierten, mit der Achse Breno – Lahm – Robben, ging die Hamburger Achse mit Boateng – Aogo – Elia als Sieger raus. Deswegen glaube ich auch nicht, dass van Gaal wirklich wegen des Tausches Demel vs. Berg von Dreier- auf Viererkette umstellte, sondern weil zu wenig aus der Massierung der rechten Seite raussprang.
Für die Bayern war es über das ganze Spiel ein Problem, dass die Offensivkräfte nur wenig brauchbare Anspiele bekamen. Ein Tymoschtchuk war gestern ein guter defensiver Lückenstopfer, spielt aber nur Sicherheitspässe zur Seite oder nach hinten, sorgt für keine Impulse nach vorne. Gegen ihn sieht ein van Bommel wie ein Spielmacher aus. Schweinsteiger scheint durch die Gegend zu irrlichtern, Müller nahm sich eine Auszeit und Olic als zentrale Sturmspitze, das hat schon beim HSV nicht sonderlich gut funktioniert.
Es hat bei den Bayern gestern nicht gepasst. Nicht grundsätzlich, sondern 2-3 Akteure konnten oder haben nicht 100% abgerufen. Gleichzeitig trafen sie auf einen Gegner, der am oberen Limit spielte. Der HSV zeigte über 93 Minuten hohe Laufbereitschaft und machte die Räume für die Bayern sehr eng. Boateng, Demel und Aogo machten nahezu fehlerlose Spiele gegen Ribery und Robben. Jarolim und Ze Roberto arbeiteten hart um Ribery und Robben zu doppeln – ein Luxus den sich der HSV leisten konnte, eben weil von Schweinsteiger und Müller nichts kam. Keiner hätte was gegen ein Unentschieden gesagt, aber der Sieg des HSVs geht auch in Ordnung, weil sie in ihrer Gesamtheit mehr ins Spiel investierten und einfach heißer waren als viele Bayern-Spieler.
An der Gesamttendenz ändert sich für mich aber weiterhin nichts. Van Gaal gibt den “mad scientist”, probiert noch ein bißchen herum (Breno auf rechts, Olic in der Mitte), hat aber alle Mittel auf der Kreidetafel und im Kader um die Meisterschaft zu gewinnen. Es ist für mich nur eine Frage der Zeit bis van Gaal alles ausprobiert hat, was er ausprobieren möchte und dann in der Tabelle angreift.
Beim HSV ist positiv anzumerken, das man drei Anti-Spiele wegstecken kann um sich derart aus dem Loch zu spielen – nicht nur als Mannschaft, sondern auch individuell wie z.B. Elia, Rozehnal oder Aogo. Das Spiel verdeutlichte aber auch, dass man immer und permanent auf Anschlag spielen muss und Spiele nicht mit Standgas gewinnen kann. Und nach all den Verletzungen oder Formproblemen (Berg) ist der ach so tiefe Kader derzeit dafür nicht tief genug. Wenn dem HSV nicht ein absoluter Glücksgriff für einen Ersatzstürmer gelingt, sehe ich nicht, wie sie bis am Ende um die Meisterschaft mitspielen können. Denn anders als bei den Bayern gestern, wird mehr nicht mehr gehen. Die eigentlichen Indikatoren ob die Leistung gegen die Bayern nur eine Ausnahme gegen einen großen Gegner war, sind daher die Spiele am Donnerstag gegen Tel Aviv und am Sonntag in Berlin.
Was sonst noch auffiel
Zum ersten Mal ist mir aufgefallen, wie tief teilweise die Spider-Cam runtergelassen wird. Bei der Behandlung von Demel ging die Spider-Cam bis auf 5m Höhe runter.
Wie sehr sich die Wahrnehmung zwischen Stadion und Fernsehen unterscheidet. Nach seiner Behandlung ausgangs der ersten Halbzeit, lief Demel nicht mehr rund. So unrund, dass er bei einem Anspiel auf Müller im Strafraum sich nur mit Klammern an der Grenze des Strafstoßes behelfen konnte. Eine Situation die von den TV-Kameras nicht eingefangen wurde, weil ein anderer HSV-Spieler die Sicht verdeckte.
Abseits der TV-Kameras: Trash-Talking zwischen van Buyten und Petric in der 2ten Halbzeit.
Gemessen an dem was das Spiel hergab, war es eine dünne Berichterstattung im ZDF, auch was die taktische Nachbetrachtung anging.
Bei SKY gefiel der längere Nachlauf, auch weil Stefan Effenberg einen seiner besseren Tage hatte und ein guter Partner für Sebastian Hellmann war, zu längeren und lockeren Plaudereien zwischen den Nachspiel-Interviews. Marcel Reif war, nachdem er in der ersten Viertelstunde permanent Boateng mit Demel verwechselte, ebenfalls gut aufgelegt.
Bedanken möchte ich mich noch einmal bei Milhouse für die Eintrittskarte zum Spiel.
Reaktionen
“Keiner hätte was gegen ein Unentschieden gesagt, aber der Sieg des HSVs geht auch in Ordnung, weil sie in ihrer Gesamtheit mehr ins Spiel investierten und einfach heißer waren als viele Bayern-Spieler.”
Sehe ich ganz genauso. Insgesamt geht der HSV-Sieg in Ordnung, sie haben sich insgesamt die besseren Chancen herausgespielt und waren in der zweiten Halbzeit die bessere Mannschaft.
Von Müller, Schweinsteiger und Tymoschtuk kam offensiv nahezu nichts und auch Robben und Ribery schalteten Boateng und Demel fast vollständig aus. Insgesamt war das offensiv einfach zu wenig von den Bayern.
Moin Kai, gute Analyse. Aber auch im Fernsehen sah das Spiel gestern wie ein “gutes Spitzenspiel” aus. War ordentlich Tempo drin, vor allem in der ersten Halbzeit. Das erwarte ich von solch einem Spiel.
Ich finde diese Spiele auch stets einen guten Gradmesser zum individuellen Qualitäts-Check: Durchgefallen ist wieder mal Schweinsteiger (analog in Barcelona, Wolfsburg oder gegen Hoffenheim vorige Saison). Auch Breno und Badstuber waren Schwachstellen. Ganz stark dagegen van Buyten. Unfassbare Präsenz offensiv und defensiv. Auch Butt und – sechzig Minuten lang – Robbery mit guten Leistungen, Müller fand ich in Ordnung.
Auf Seiten der Hamburger waren Boateng (wirklich klasse !), Ze Roberto und Mathijsen die Stützen. Aber auch Petric sehr stark, sogar mit einigen gewonnenen Defensiv-Zweikämpfen. Dazu sollte gerade auch dir, dogfood, gefallen haben, dass sich Rozehnal gestern stabiler zeigte, bis auf einen katastrophalen Fehlpass (erste Hälfte auf van Buyten) sogar recht gut.
Und Schiri Weiner war für mich auch ein wichtiger Faktor für’s hohe Tempo. Hat gerade in der ersten Hälfte sehr gut gepfiffen und lange laufen lassen, erst gegen Ende ein wenig kleinlich gepfiffen. In der zweiten Halbzeit ein grober Fehler (übersehenes Handspiel von Jarolim), ansonsten alles richtig entschieden, gerade auch bei den individuellen Strafen.
dogfood schrieb:
@thetruemilhouse hat eine Karte für das Spiel HSV – Bayern, dem Spitzenspiel des 7ten Spieltags spendiert – dafür noch einmal einen herzlichen Dank. Allerdings hat er die Parkplatzsuche unterschätzt, weswegen es mit ca. 20 Minuten Verspätung ins Stadion ging.
selber schuld, hättest ja auch mit öffentlichen verkehrsmitteln hinfahren können.
Nö, hätte er nicht. Der letzte Zug nach Berlin fährt um 21h21 und das ist bei Abpfiff 20h20 zu riskant.
#klugschwätzer
achso sorry, wusst nicht das er in berlin wohnt.
Analyse des Spiels im ZDF wirklich schwach. Wobei ich mich immer frage, was das denn überhaupt soll. Wir kriegen eh immer das gleiche, floskelbehaftete Gelaber zu hören. Das dann dieses auch noch faktisch falsch ist, ist einfach nur peinlich.
Bei der ach so tollen 3D-Analyse des HSV-Treffers, sprach der Kommentator (Bela Rethy, keine Ahnung wer das war???) von einem “Pass in den Rücken der Abwehr” von Ze Roberto.
Ganz davon abgesehen, dass dies wieder mal eine Fussballbegriff ist der sich verselbstständigt hat (Hey, keiner weiß, was es bedeutet, also kann ich es hier mal bringen), wurde der Pass aber vor der Abwehr her gespielt oder meinetwegen auch zwischen Abwehr und Torwart.
Ich weiß, eine absolute Kleinigkeit! Aber es hat mich tierisch aufgeregt. Qualitätskontrolle findet ja auf diesem Gebiet anscheinend leider schon lange nicht mehr statt. Umso taruriger, dass sich die journalistische Arbeit dieser Kollegen dann auch nur auf Kritik an Leistung und Verhalten von Spielern und dämlicher Nase-Pul-Fragen um Personalentscheidungen, die möglichst 2 Minuten vor der Konkurrenz vermeldet werden können, beschränkt.
Marcel Reif war, nachdem er in der ersten Viertelstunde permanent Boateng mit Demel verwechselte, ebenfalls gut aufgelegt.
sry auch wenn ich eine HSV Brille aufhatte dieser man geht garnicht, vllt sollte sky sich mal überlegen als dritte tonoption einen zumindest halbwegs neutralen bzw als gegengewicht einen pro HSV kommentator zu etablieren.
my two cent
Taktikfuchs Marcel Reif sah bei den Bayern in der ersten Hälfte ein 4-3-1-3-System. Hab mich gewundert warum kein Hamburger reklamiert hat, dass da einer zuviel auf dem Platz steht.
Na, da sollte man aber auch erwähnen, dass sich Reif eine Minute später explizit unter der Erwähnung dass es dann ja 12 Spieler gewesen wären, korrigiert hat.
Da lag ich wohl noch lachend unter der Couch. Mea culpa, Marcel. Sonst war er ja ganz ok, keine Frage.
Wie dogfood schon schrieb, musste ich mit dem Auto kommen. Nach 21.21 Uhr ist ganz einfach kein Zurückkommen mit Zug oder Bus von Hamburg nach Berlin. Das verstehe, wer will.
Wer also vorhat, zur Arena mit dem Auto zu fahren, sollte nach meiner Erfahrung einen Zeitpuffer von mindestens zwei Stunden einplanen. Ich war eine Stunde vor Spielbeginn in Laufentfernung vom Stadion, hatte halt nur das Auto unterm Hintern und das zu parken … wie gesagt, zwanzig Minuten zu spät (ich bin froh, dass ich allein im Auto saß, meine Flüche waren nicht jugendfrei und definitiv justiziabel).
Zur Taktik von van Gaal lautete die allgemeine Meinung beim Doppelpass: es ist eines FC Bayern unwürdig, die Taktik auf den Gegner abzustimmen. Ungelogen, es wurde als Zeichen von Schwäche gewertet, dass van Gaal auf die Einwechslung von Berg reagiert hat. Aber wen soll das wundern, in einem Land, in dem die Viererkette über Jahre als neumodischer Schnickschnack behandelt wurde.
Ich bin nach dem Spiel wieder optimistischer, dass Berg noch den Durchbruch schafft, ich fand seine Laufwege sehr gut, seine Aktionen leiden allerdings darunter, dass er meist einen Tick zu lange braucht, die Bälle zu verarbeiten. In der holländischen Liga und bei der U21-EM hatte er wohl immer etwas mehr Zeit. Aber wenn er erst ein paar Erfolgserlebnisse hatte, könnte das Selbstbewusstsein seinen Aktionen den nötigen Extradrive geben. Klopf auf Holz.
Jetzt wird es spannend, wie Hertha den Trainerwechsel verkraftet. Ich hätte nichts dagegen gehabt, am nächsten Sonntag noch auf ein Team zu treffen, das gegen den Trainer spielt. Schaumermal, ob’s der Lothar richtet … was übrigens für die Hertha der SuperGAU wäre, Berlin hat ein Wahnsinnspotenzial an Fußballfans mit Fachverstand, die Hertha als Zweitverein akzeptieren würden, wenn dieser attraktiven Fußball spielt. Lothar macht den Verein bei diesen Leuten zur Lachnummer (es gibt im Prenzlauer Berg eine Riesenmenge an Fußballkneipen, in deren Laufnähe das Jahnstadion ist, und nicht mal dieses kriegt Hertha im UEFA-Cup voll, ganz, ganz bitter).
@dogfood Da nich für! War ein echt toller Fußballsamstag, ich finde es immer wieder faszinierend, wie anders dieses Spiel live wirkt, und wie gut sich eigentlich TV- und Stadionerlebnis ergänzen!