Super Bowl 43 für den Eventgucker

Vor dieser Saison hätten sich bestimmt hinreichend viele Leute finden lassen, die Pittsburgh als Super Bowl-Anwärter getippt hätten. Die Pittsburgh Steelers sind nicht als Favorit in die Saison gegangen, aber gehören seit einigen Jahren zu jenem Klüngel von Mannschaften denen es per se zugetraut wird, dass sie es bis dorthin schaffen.

Wer Solidität schätzt, handwerklich saubere Arbeit sucht, “ehrlichen” Football der nach Schweiß riecht und eine mit ruhiger Hand geführte Franchise, der ist bei Pittsburgh an der richtigen Adresse. Es ist eine Franchise die stolz ist, aus einer Arbeiterstadt zu kommen. Pittsburgh war eine Stahlarbeiter-Stadt. Durch die hohe Arbeitslosigkeit nach Zerfall der Stahlindustrie, sind ehemaliger Einwohner von Pittsburgh quer durch die ganze USA verstreut, was zur Folge hat, dass die Steelers bei jedem Auswärtsspiel mit zahlreichen Fans im Stadion vertreten sind. Seit dem “Steel Curtain” Mitte der Siebziger Jahre, hat die Mannschaft vorallem eine Identität als traditionell gute Defense.

Anders die Arizona Cardinals. Theoretisch ist die Franchise sogar älter als die Pittsburgh Steelers (die Wurzeln reichen zurück bis 1898 nach Chicago). Über den Umweg St. Louis kamen die Cardinals 1988 in Phoenix an, wo sie zuerst Phoenix Cardinals hießen. Diese Historie der Cards ist aber nur theoretischer Natur, denn in Wirklichkeit erinnert nichts an der Franchise an die über 100jährige Geschichte. Das erklärt den Geruch des Artifiziellen der die Cardinals umgibt. Ich glaube nicht, dass es nur daran liegt, dass ich als Steelers-Fan heute voreingenommen bin.

Erschwerend kommt hinzu, dass man weder in St. Louis noch in Phoenix bzw. Glendale sportlich sehr erfolgreich war. Die Steelers sind seit 1972 24mal in den Playoffs gewesen, 7mal als AFC-Meister in die Super Bowl eingezogen und haben 5mal den Super Bowl gewonnen. In dem gleichen Zeitraum sind die Cardinals 5mal in die Playoffs gezogen und nun zum ersten Mal NFC-Meister. Die Steelers können hingegen heute als erste NFL-Mannschaft überhaupt, den Super Bowl zum 6ten Mal gewinnen.

Das verdeutlicht warum die Cardinals nun als “Cinderella-Story” der Saison gelten. Die Cardinals sind als Meister einer sehr schwachen NFC West in die Playoffs eingezogen. Die maue Bilanz der regular season: 9-7. Der Wandel zur Cinderella vollzog sich erst in den Playoffs, als die Cardinals plötzlich Qualitäten aus der Kiste packten, die man so von ihnen in der Saison nicht gesehen hatte: ein Laufspiel, das mal dominant war oder mal zumindest gut genug um das Passspiel zu entlasten und eine Defense und schließlich eine Defense die den gegnerischen QB schlecht aussehen läßt und das gegnerische Laufspiel zum Erliegen bringt.

Die Cinderella, die nicht für eine Cinderella gehalten wird

So überraschend es für viele ist, dass die Cardinals in den Super Bowl eingezogen sind: die Wettbüros in den USA sehen zwar Pittsburgh erwartungsgemäß vorne, aber der Spread mit +7 nicht so, dass man Pittsburgh nun als “haushohen” Favoriten sehen würde. Zum Vergleich: der krasseste Außenseiter war 1995 San Diego. Gegner San Francisco war mit 18,5 Punkten vorne. Vier der sechs letzten Super Bowls hatten ebenfalls einen Spread von +7.

Bei Sports Illustrated tippen von 10 Experten nur vier auf die Steelers.

Bei ESPN geht es 18:10 für die Steelers aus. Bei CBS tippen die Experten 4:2 zugunsten der Steelers.

Also durchaus gemischte Einschätzungen.

Pittsburgh Steelers

QB Ben Roethlisberger passt wie Faust aufs Auge in das Steelers-Team und ist der wahrhaftige Nachfolger der 70er-Jahre-QB-Legende in Pittsburgh, Terry Bradshaw. Kein Ästhet, aber ein Brocken von Mann, der sich nicht scheut Hits zu nehmen und nur schwer zu fällen ist. Er beherrscht die hohe Kunst der Improvisation, ist in der Lage sich hinter der Offense Line umherzubewegen um Druck auszuweichen und auch mit merkwürdigen Körperhaltungen den Ball noch zum WR zu bringen.

Neben Roethlisberger sind die Stärke der Steelers-Offense die beiden WRs Hines Ward, Santonio Holmes und TE Heath Miller. Alle drei hervorragende Ballfänger und alle drei ohne Scheu den Fang auch mitten im Getümmel zu machen. Diese drei Anspielstationen geben der Pass-Offense eine Variabilität, die es für die gegnerische Defense unmöglich macht, jederzeit und überall gegen den Pass zu verteidigen.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem kleinen WR Hines Ward zu, der Roethlisbergers Lieblingsanspielstation bei 3rd downs ist. Ward musste vor 14 Tagen gegen Baltimore vorzeitig raus, soll aber unter der Woche zweimal das Training komplett durchgezogen haben, was einer mittleren Wunderheilung gleich kommt.

Die große Schwäche der Steelers in dieser Saison, ist die Offense Line. Eh schon mäßig überzeugend, wurde sie in der Saisonvorbereitung nochmals umgeschmissen und ließ die sonst gewohnte Stabilität vermissen. Die Konsequenz: QB Roethlisberger steht öfters unter Druck als ihm lieb ist und das Laufspiel – sonst eine der Stärken der Steelers – kann sich nicht entfalten. Beim Laufspiel kommt hinzu, dass aufgrund von Verletzungen auch die Running Backs im Laufe der Saison durchgewechselt werden mussten.

Prunkstück der Steelers ist mal wieder die Defense, die in etlichen Statistiken in dieser Saison Platz 1 belegt. Es ist die zweitbeste Laufdefense und die beste Passdefense des Landes. Die Qualitäten der Pass-Defense kommen vorallem durch den immensen Druck den die Steelers auf den gegnerischen Quarterback ausüben, aber weniger dadurch dass sie ein so grandioses Backfield hätten. Im Backfield ragt nur Troy Polamalu heraus, ein polynesischer Irrwisch mit ungebändigten Haaren, der bei jedem Spielzug irgendwie am Tackling beteiligt zu sein scheint oder die Hand am Ball bekommt.

Eine Frage der Coaches

Zu der Solidität der Pittsburgh Steelers gehört auch Ruhe im Front Office. Chuck Noll war 22 Jahre lang Headcoach bei den Steelers. Auf ihn folgte Bill Cowher, der “nur” 14 Jahre lang Trainer war und nun führt Mike Tomlin als erster schwarze Steelers-Coach das Team in seinem 2ten Jahr. Tomlin ist kein Trainer mit Sperenzien, aber – wie man bei einigen Einspielern von NFL Films sehen kann – im Umgang mit seinen Spielern eine coole Sau.

Als Cowher im Januar 2007 zurücktrat, starteten die Steelers die Suche nach einem Nachfolger und entschieden sich nach etlichen Gesprächen für den damaligen Defensive Coordinator der Minnesota Vikings Mike Tomlin. Verlierer dieses Auswahlprozesses: der damalige Steelers Offense Coordinator Ken Whisenhunt und damaliger OL-Coach Russ Grimm.

Whisenhunt und Grimm verließen die Steelers und gingen zu den Arizona Cardinals. Whisenhunt als Headcoach und Grimm als OL-Coach. Es hieß im Nachhinein, das QB Roethlisberger sich nicht gut mit Whisenhunt verstand. U.a. soll Whisenhunt ihn zu sehr an die Kette gelegt haben und einige Bemerkungen wonach die schlechte 2006er-Saison auf Roethlisbergers schweren Motorradunfall zurückzuführen sei, wurden von “Big Ben” schwer verübelt.

Eine der Fragen des heutigen Super Bowls wird sein, wie groß der Vorteil für Whisenhunt ist, dass er aus seiner dreijährigen Zusammenarbeit mit Roethlisberger weiß, wie “Big Ben” tickt, wie sich Roethlisberger in der Pocket bewegt und was die Steelers bei 3rd downs machen.

Der andere Trainer von dem heute die Rede sein wird, ist Steelers Defense Coordinator Dick LeBeau, der nun im 50ten Jahr in der NFL ist. 13 Jahre als Spieler und danach als Coach auf verschiedenen Positionen. Ein Defensiv-Guru, dessen Spezialität es ist, sich immer wieder neue Spielzüge zum “Blitzen” des gegnerischen Quarterbacks einfallen zu lassen. Die Tonalität der Berichte über ihn, gleichen immer mehr einer Heiligsprechung.

Arizona Cardinals

Die Arizona Cardinals haben sich eigentlich erst in den Playoffs sichtlich aus dem Mittelmaß herausbewegt. Seit Jahren steht eigentlich die Inthronisierung von QB Matt Leinart an, doch die Coaches ziehen weiterhin QB Kurt Warner vor. Warner erlebt seinen dritten Frühling. In der NFL gescheitert, wurde er Mitte der 90er Jahre zu einem Ausnahme-QB im Arena Football. Erst nach einem Einsatz in der NFL Europe bekam er wieder die Chance für die NFL zu spielen. Mit ihm und eine Gruppe von vier exzellenten WRs erlebten die St. Louis Rams ihr Hoch als “The Greatest Show on Turf” und Super Bowl-Sieg 1999. Warner wurde MVP.

Der damalige Headcoach Mike Martz bevorzugte es, alles was Beine hatte, als mögliche Passempfänger nach vorne zu schicken und setzte den Quarterback ungeschützt dem gegnerischen Pass Rush aus. Das gelingt nur wenn man a.) eine gute OL hat und b.) der Quarterback den Ball schnell genug werfen kann. Was drei Jahre lang gut ging, geriet ab 2002 immer mehr aus der Balance. Folge: Warner wurde öfters abgeschossen und erlitt eine Serie an Gehirnerschütterungen. Warner war eigentlich nur noch 1-2 Gehirnerschütterungen vom Karriereende entfernt. Dazu kamen einige andere Verletzungen wie z.B. Leistenprobleme. Warner geriet aus dem Fokus, wechselte über eine kurze Zwischenstation bei den NY Giants zu den Arizona Cardinals. Erst 2007 fasste er bei den Cardinals wirklich Fuß und erntet insbesondere in diesen Playoffs superbe Kritiken.

QB Warner ist immer noch der lupenreine Pocket Passer, also jemand der Druck vom gegnerischen Pass Rush nicht ausweichen kann. Er hat aber seine alte Wurfgeschwindigkeit wieder gefunden. Nicht wenige glauben, das QB Kurt Warner heute quasi um den Einzug in die Hall of Fame spielt.

Der andere Star dieser Offense ist WR Larry Fitzgerald von der University of Pittsburgh. Mit knapp 1m88 ist er nicht überragend groß gewachsen, aber mit einer unglaublichen Sprungkraft und Durchsetzungsfähigkeit gesegnet. Der angenehme Nebenaspekt: im Gegensatz zu zahlreichen anderen Receiver-Stars benimmt sich wie ein wirklich angenehmer Mensch. Vater Larry Fitzgerald Sr ist witzigerweise Sportreporter in Minneapolis und für den Super Bowl akkreditiert. In der NY Times hat er über seine Beziehung zum Sohn geschrieben.

Mit der Größe und Sprungkraft kann Fitzgerald zu einem Problem für die nicht hünenhafte Secondary der Steelers werden. Vorausgesetzt die Cardinals schaffen es ihre Würfe zu streuen, so dass sich die Steelers nicht auf Fitzgerald konzentrieren können. Fitzgeralds Partner ist WR Anquan Boldin. Fitzgerald laborierte seit dem Spiel gegen Atlanta an einer hartnäckigen Oberschenkelzerrung, die aber komplett auskuriert sein sollte. Wenn Boldin fit ist, haben die Cardinals einen exzellenten One-Two-Punch bei den Receivern.

Das Laufspiel der Cardinals fiel in dieser Saison nicht auf, aber just mit Beginn den Playoffs erwachte der hochbezahlte Franchise-RB Edgerrin James zu Leben. Von James und Hightower wird nicht erwartet, dass sie 100yds-Spiele produzieren. Sie müssen nur gut genug laufen, dass sich die Steelers-Defense nicht komplett nur auf Passspiel einstellen kann.

Hinter der Defense der Cardinals setze ich mal ein großes, fettes Fragezeichen.

Keine Cinderella für mich

Um es nochmals zu sagen: als Steelers-Fan dürfte ich die Begegnung heute nicht neutral sehen. Ich gebe deswegen auch zu, das mich der Spread von nur +7 zugunsten der Steelers erstaunt. Ich halte die Steelers für haushohe Favoriten. Für Cinderella wird es heute um Mitternacht deutscher Zeit “Mitternacht” schlagen und sie sich als ärmliche Putzfrau entpuppen.

Auf der einen Seite haben wir die Steelers, die diese Saison durch das Feuer laufen mussten, einen enorm schweren Spielplan zu absolvieren hatten. Man hat diese Saison so ziemlich gegen alles spielen müssen, was Rang und Namen hatte. Die Steelers hatten – gemessen am Abschneiden 2007 – den schwersten Schedule aller Teams.

Arizona hingegen? Den “einundzwanzigst-schwersten” Schedule. In den Playoffs schlugen sie Atlanta und deren Rookie-QB, Carolina mit einem QB Delhomme und OffCoordinator die einen rabenschwarzen Tag hatten und Philadelphia, bei der QB McNabb ein Spiel ohne Receiver-Corps bestreiten musste.

Die Defense der Cardinals ist weitgehend unausgetestet. Atlanta war mit seiner Unerfahrenheit kein Gegner. Carolina hat das Spiel selbst aus der Hand gegeben, als man viel zu früh das Laufspiel trotz guter statistischer Werte, einstellte. Philadelphia schaffte trotz Zillionen fallengelassener Pässe immer noch 357 passing yds.

Es gibt eigentlich nur eine Chance die ich sehe, wie die Cardinals das Spiel gewinnen können: QB Warner mit Pass auf Fitzgerald. Selbst Ex-Steelers-CB und frisch gekürter Hall of Famer Ron Woodson sieht das Problem. Saints-Headcoach Sean Payton erwartet, dass die Steelers-Defense vorallem gleich an der Scrimmage Line versuchen wird, die Laufwege der Receiver zu stören, um das Timing zwischen Receiver und QB Warner zu zerstören. Cardinals Offense Coordinator Todd Haley hat sich in den letzten Wochen zu einem der begehrtesten potentiellen Headcoach-Kandidaten gemausert.

Aber trotzdem: das ist mir zu wenig gegen eine relativ homogene Truppe wie die Steelers. Bis auf den Aspekt Warner zu Fitzgerald hat man in den Playoff-Begegnungen vorallem von den Schwächen des Gegners statt den Stärken der Cards gesprochen. Das sind mir zuwenig Optionen im Laufspiel. Das ist mir zuwenig um gegen einen Dick LeBeau zu bestehen.

Mein Tipp: das Spiel ist ausgangs des dritten Viertels entschieden. Die Steelers gewinnen am Ende mit minimum 13 Punkten.

PS: Ob ich die Super Bowl selber live bloggen werde, weiß ich noch nicht. Da ich morgen um 10h eine Telefonkonferenz habe, werde ich erst kurzfristig anhand meiner Verfassung um kurz vor Mitternacht entscheiden.

Sonstso

Die Half Time-Show kommt diesmal von Bruce Springsteen und die E-Band. Die genaue Setlist wird noch geheim gehalten.

Faith Hill wird gegen 0h15 “America the Beautiful” singen, gefolgt von der Nationalhymne mit Jennifer Hudson.

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Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich bin Deutsche und wohne schon seit
    bald 14 Jahren in Phoenix, AZ!
    Bin seit 3 Jahren auch Cardinals Fan.
    Mein Mann und ich haben Season Tickets im Club Level!
    Ich tippe auf unsere Cards, ist ja klar! Wir sind die Underdogs, das ist klar.
    Aber wir haben die Steelers auch zu Hause geschlagen!
    Hey: Impossible is nothing!!
    Go Cards!!! :-)

  3. Ich mag ja Cinderella-Stories. Wenn jemand im Endspiel steht, ist es m.M.n. auch nicht mehr so bedeutend, wie der Schedule vorher war. Das die Cards viel von den Fehlern anderer profitiert hätten, liest sich oben so geringschätzig. Man war halt da, wenn es galt aus einem Fehler ein Turnover zu machen. Allerdings sehe ich es auch so, dass die Cards einen guten Tag brauchen, der besser als ein guter Tag von den Steelers ist. In der Spitze hat man während der Play-offs einiges angeboten, auch im Laufspiel, auch in der Defense. Die Frage ist halt, wie lange man im Spiel bleibt und ein hohes Niveau durchhält.

  4. mal ehrlich, wer von den lesern hat bei dem Text jetzt keinen kleinen Orgasmus bekommen. Bravo.
    Ach ja, mein schlachtruf für heute, frei nach den Fantastischen Vier: Troooy, so Troooy, Troooooy, so Troooooy…POLAMALU!