EM2008, Heiß wie Frittenfett T+1: Gruppe D

Gruppe D

  • Griechenland
  • Russland
  • Spanien
  • Schweden

Griechenland

Auch wenn es nicht der ansehnlichste Fußball war, muss man bewundern was Otto Rehhagel vor vier Jahren in Portugal angestellt hat. Spätestens wenn in diesen Tagen alle Mannschaften die nicht FrankreichDeutschlandSpanienPortugalItalienNiederlande heißen, sich auf Griechenland 2004 berufen. Rehhagel hat der EM ihre Underdogs zurückgegeben.

2004 haben sich die Griechen extrem negativ, zerstörerisch gezeigt, auf die eine Torchance hoffend, die dann reingemacht wird, vorallem bei Standards. Den Stinker spielend, dem Gegner den Rythmus rauben.

Nach einer schwächeren WM-Quali hat Otto Rehhagel die Griechen souverän zur EM geführt: 1 Unentschieden, 1 Niederlage gegen die Türkei und Norwegen. Abgesehen von der schmerzenden 1:4-Klatsche zuhause gegen die Türkei, holten die Griechen 31 Punkte in der Gruppe, soviel wie kein anderer Qualifikant. Mit einem Team das überwiegend noch aus den EM-Helden von 2004 besteht.

Viel hat sich nicht geändert. Sogar die EM-Gruppe ist fast identisch: gegen Spanien und Russland konnte man sich bereits vor 4 Jahren in der Gruppe durchsetzen. Nur Portugal heißt diesmal Schweden.

Die Defensive steht vorallem innen sicher: #16 Kyrgiakos und #5 Dellas – ersterer ist 1m93 groß, zweiterer 1m96 – ergänzt um einen der Mittelfeld-Sechser #21 Katsouranis, der sich manchmal in die Verteidigung zurückfallen lässt.

Im Mittelfeld gehen die kreativen Impulse von #10 Karagounis aus. Wenn sich die Griechen irgendwo weiterentwickelt haben, dann im Sturm, der besser schnelle Angriffe fahren kann. Zu #9 Charisteas gesellen sich #20 Amanatidis und #17 Gekas.

Bei solchen Hünen in der Abwehr, die meistens etwas hüftsteif daher kommen, wird viel von der Defensivarbeit des Mittelfelds abhängen, die das Tempo aus der gegnerischen Angriffswelle rausnehmen muss.

Die große Unbekannte ist für mich der 3-Mann-Sturm. Wenn der Gegner versucht mit einem aufgerückten Mittelfeld den griechischen Abwehrriegel auseinanderzuziehen und zu knacken, können hinten beim Gegner Räume entstehen, die wie maßgeschneidert für die sehr agilen Gekas und Amanatidis sind. Bei Charisteas mache ich mal ein großes Fragezeichen. Ich war noch nie ein Fan von ihm und seine Leistungen in Nürnberg waren mau. Ansonsten heißt es wieder dadrauf achten wie gefährlich die Griechen bei Standards sind.

Russland

Die Russen werden dank Trainer Guus Hiddink durchaus mittelheiß gehandelt. Ich bin aber trotz der neuen russischen Fußballwelle (siehe auch Zenit) noch nicht überzeugt. Russland hat eine Geschichte des Kollaps bei den letzten Turnieren. Passend dazu, haben sich die Russen durch die EM-Quali durchgewackelt. Nur ein 1:0 gegen Andorra bei einem kroatischen 3:2 in England brachte sie am letzten Spieltag durch. Am vorletzten Spieltag verlor man in Israel 1:2. In der Quali konnte man in England eine Halbzeit sehr gut mithalten, lag unglücklich 0:2 zurück, um dann sich in der 2ten Halbzeit selbst aufzugeben.

Ich traue deswegen der Qualität der Russen nicht übern Weg, auch wenn diese recht fit sein sollten, nachdem die einheimische Ligasaison erst 11 Spieltage alt ist. Mir fehlt bei den Russen die mentale Stabilität.

Russland gehört zu den wenigen Mannschaften die bevorzugt mit einem 3-5-2 spielen, aber in den Vorbereitungsspielen hat Hiddink zweimal mit einer Viererkette spielen lassen und in den Kommentaren der Russland-Vorschau im Guardian vertritt ein Leser die Meinung dass das 3-5-2 von Hiddink während der EM-Quali aus der Not geboren sei, weil zuwenig Vorbereitungszeit frei gewesen sei und er zur EM mit Viererkette spielen wird.

Es macht die Sache für Beobachter nicht einfacher, dass zahlreiche Spieler sowohl Abwehr als auch Mittelfeld spielen können.

In der Dreier-Kette spielen auf den Flügeln die Berezutsky-Zwillinge: #5 Alexei Berezutsky auf rechts und #2 Vasili Berezutsky auf links. In der Mitte steht #4 Ignashevich, der dritterfahrenste Spieler im Kader, obwohl “nur” 28 Jahre alt.

Diese Dreier-Abwehr ist nicht ohne Probleme, weil die Zwillinge zumindest in den beiden Spielen gegen England verblüffend weit außen standen und es vor Ignashevich immer viel Raum zum agieren gab. Eine weitere Schwäche war das Kopfballspiel, wo sie von den Engländern dominiert wurden. Nicht nur dominiert, sondern “Dominiert” mit ganz, ganz großem “D”.

Der Vorteil aus der Dreier-Kette ergibt sich aus dem extrem schnellen Umschalten der Russen von Abwehr auf Angriff. In England haben sie massenweise Bälle über 2-3 Stationen binnen 5 Sekunden vom einen Strafraum zum anderen gebracht.

Aber die defensiven Probleme könnten zu einer Viererkette führen. In den Testspielen hat Hiddink #8 Kolodin als Linksverteidiger eingesetzt. Hier die Ketten der letzten drei Testspielen:
gg Kasachstan (6:0): Anyukov – Shirokov – Kolodin
gg Serbien (2:1): Zhirkov – Anyukov – Shirokov – Kolodin
gg. Litauen (4:1): Kolodin – A. Berezutsky – Ignashevich – V.Berezutsky

Wer daraus die Aufstellung der Abwehr am Dienstag ableiten kann, sollte auch mit dem Lottospielen anfangen.

Im 5er-Mittelfeld sind #17 Zirianov und #20 Semshov für die Defensive verantwortlich. #23 Bistrov und #18 Zhirkov treiben das Spiel über die Außenbahnen an. Das Tempo das von den beiden Außen ausgeht, ist s-e-n-s-a-t-i-o-n-e-l-l. Für Bistrov nimmt Hiddink manchmal als defensivere Variante #22 Anyukov rein.

Probleme gibt es im Angriff. #10 Arshavin von Zenit ist noch zwei Spiele gesperrt. Seit Samstag steht fest, dass #13 Pogrebniak, neben Luca Toni Torschützenkönig im UEFAcup, wg. Meniskus für die komplette EM ausfallen wird (Ivanov wird nachrücken), womit Hiddink erstmal zwei von drei potentiellen Startern abgeht. Bleibt #21 Sychev oder der “England-Killer” #19 Pavlyuchenko.

Viel Action geht bei den Russen über die Flügel ab. Wenn man den Russen durch ein Aufrücken Platz gibt, weil man glaubt ihnen bereits im Mittelfeld den Ball madig zu machen, wird das für den Gegner die Hölle. Die Russen sind vielleicht die schnellste Mannschaft des Turniers, wenn man ihnen den Raum lässt.

Gegen England hatte Russland aber Probleme gegen eine massierte Deckung im Strafraum. So segelte eine Flanke nach der anderen rein oder es gab schlechte Flachpässe. Von den Stürmern ging wenig Gefahr aus. Für die massiert stehenden Griechen und ihre Lufthoheit, sieht das nach einer für die Griechen vorteilhaften Konstellation am zweiten Spieltag aus.

Aber inwieweit man seine Rückschlüsse aus der EM-Quali ableiten kann, wenn Hiddink mit einem anderen System spielen lässt… am Dienstag werden wir nach dem Spiel gegen Spanien schlauer sein.

Spanien

Wieder ein Turnier und wieder gilt die spanische Mannschaft nun als endlich reif für den Durchbruch. Was war das für ein grandioser Auftakt bei der WM 2006, als sie die Ukraine in einem traumhaften, orgiastischen Spiel 4:0 zerlegten. Es sollte gleichzeitig das Highlight der spanischen WM sein. Die Spiele wurden danach schwächer und am Ende stand ein 1:3 im Achtelfinale gegen Frankreich.

Auch bei der EM 2004 zeigten die Spanier eine sehr gute Leistung gegen Russland, ehe das böse Griechenland ein 1:1 herausholte und man mit einem 0:1 gegen Portugal das Weiterkommen verspielte.

Dass die Stimmen für Spanien nun wieder sehr laut zu klingen scheinen, mag auch daran liegen, das erstmals seit langer Zeit Spanier auch außerhalb Spaniens eine große Präsenz besitzen: #9 Fernando Torres hat in seiner ersten Premier League-Saison endgültig den Schritt weg vom “ewigen Talent” gemacht. #10 Cesc Fabregas war in dieser Saison lange Zeit auf dem Weg zum besten Spieler der Premier League zu werden. #14 Xabi Alonso ist in Liverpool neben Gerrard zweite Konstante im Mittelfeld.

Es ist die Abwehr die die Saat des Zweifels in sich birgt. Die Kette aus #15 Sergio Ramos#5 Puyol#4 Marchena#11 Capdevila gilt bis auf Capdevila als pure Zerstörer mit nur wenig kreativen Elemente. Insbesondere Puyol hat eine schwächere Saison bei Barca hinter sich. Die Abwehr gilt abseits von Marchena als kopfballschwach, was die Griechen interessieren dürfte.

Im Mittelfeld hat Trainer Aragones ein Überangebot an Hochkarätern, weswegen Spanien zu einem 4-1-4-1 greifen könnte, bei dem #19 Senna oder #14 Xabi Alonso den “Sechser” geben.

Das spielstarke Mittelfeld ergeht sich im schnörkelreichen Klein-Klein-Spiel, in Kurzpass-Orgien, in unendlichem Gewichse vor dem Strafraum und hat zuwenig Zug zum Tor. Gepaart mit einem Torres der in der Regel immer sehr viel Raum braucht, stellt sich die Frage wie die Spanier gegen negativ eingestellte Griechen oder Schweden aussehen werden. Spanien gewann zwar gegen ein bereits qualifiziertes Schweden in der EM-Quali zuhause 3:0, verlor aber zu Beginn der Quali in Schweden 2:0.

Das 4-1-4-1 hat zudem zwei weitere Nachteile: es verdrängt einige Mittelfeldspieler auf ungewohnte Positionen nach außen, weswegen die spanischen Flügel “out of position” besetzt sind. Es kann von den zwei Top-Stürmern Torres und #7 David Villa immer nur einer spielen. So gesetzt Torres erscheinen mag: in der Quali hat er nur zwei Treffer geschossen und blutleere Spiele gezeigt, David Villa aber 7 Tore.

Schweden

Schweden, das sind qua Image die relaxten, coolen Jungs, von denen einige sogar richtig gut aussehen. Die Leistungen bei der WM 2006 war aber brutal schwach: 0:0 gegen TnT, 1:0 gg Paraguay und 2:2 gg England. Schließlich gegen Deutschland kein Land gesehen.

Obwohl es eine sehr erfahrene Mannschaft ist, haben die Schweden abgesehen vom Gerangel in Dänemark, eine farblose Quali hinter sich gebracht, mit teilweise schwachen Ergebnissen (gg. Nordirland 1:2, 1:1).

Und so ist es kein Wunder dass die schwedische Mannschaft im Vorfeld bei allen Beteiligten Schulterzucken auslöst, weil keiner weiß, was man zu erwarten hat.

Nur um mal einen Quervergleich mit den Top eingeschätzten Spaniern zu ziehen, mit denen man in der Quali-Gruppe F spielte: Schaut man sich die Abschlußtabelle an, fällt auf, dass sie genauso viele Tore wie Spanien und deren (theoretischen) Übersturm und Übermittelfeld geschossen und nur ein Tor mehr kassiert hat.

Auf der anderen Seite kommen die Schweden reichlich angeknockt zur EM. Die ganze Kadersituation ist unübersichtlich geworden, mit Spielern die wegen Verletzung absagen mussten (Edman), die wegen Spielbetriebs nicht die komplette Vorbereitung mitmachen konnten (Ibrahimovic, Kallström), die überraschend ihr drittes Comeback feierten um dann wegen anderer Verpflichtungen im ersten Camp zu fehlen (Henrik Larsson), angeschlagene Spieler die nach langer Zeit zurückkehrten (Allback, Ljungberg, Linderoth) oder die über die ganze Saison von Zipperlein geplagt wurden (Ibrahimovic).

Das macht es schwer die Tagesform der Schweden zu beurteilen. Das fängt schon mit der Aufstellung an, wo es hinten ein Rotieren und Geschiebe geht, je nachdem ob sich Trainer Lagerbäck für eine offensive Außenverteidigung mit Alexandersson und Nilsson entscheidet oder doch lieber zurückhaltend mit Nilsson und Stoor.

Rätselraten auch im Sturm, wer wohl an der Seite des gesetzten #10 Ibrahimovic spielt. #10 Allback hat sechs Tore in der Quali geschossen, aber in den beiden Tests gegen Slowenien und Ukraine nur wenig Einsatzzeit bekommen und wenig Torchancen produziert. #17 Larsson wiederum hat die meiste Einsatzzeit bekommen und sah zumindest an der Seite von Ibrahimovic nicht allzu schlecht aus. #11 Elmander (4 Tore in der Quali) wiederum konnte zwei Einsatzchancen nicht positiv nutzen.

Richtig überzeugen konnten die Stürmer aber in den beiden Spielen nicht, so dass die Standards mit den durch die Bank weg kopfballgefährlichen Innenverteidigern Mellberg, Hansson, Majstorovic eine wichtige Rolle zukommen könnte.

Die Schweden sind die ganz große Fragezeichenelf der EM. Die Erfahrung aus der letzten WM lässt aber eher Schlechtes befürchten.

Fazit

Es ist leicht die Griechen zu unterschätzen. Was aber die Gruppe D zum Tippen problematisch macht, sind die Schwächen der russischen und spanischen Mannschaft, die wie Faust aufs Auge für die Griechen zugeschnitten zu sein scheint.

Bei den Russen besteht die Gefahr das Hiddink die lange Vorbereitungszeit für zuviel Aktionismus nutzt. Bei den Spaniern scheint Aragones zu sehr darauf bedacht zu sein, soviele Stars wie möglich in die Mannschaft zu packen, statt ein sinniges System zu basteln. Die Schweden sehen überaltet aus. So groß der Knuddel- und Feel-Good-Faktor des Herrn Larssons ist, es ist kein gutes Signal dass der 36jährige wieder zurückkehrt.

1/ Spanien
2/ Griechenland
3/ Russland
4/ Schweden

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich traue den Griechen auch mehr zu als den Russen, allerdings vor allem deswegen, weil ich zum einen denke, die wollen beweisen, dass der Sieg 2004 kein Zufall war, zum anderen halte ich sie für mannschaftlich enorm geschlossen und stark. Spanien ist mein persönlicher EM-Tip, und Schweden? Keine Ahnung, irgendwie werde ich bei denen das Gefühl nicht los, als seien die nur zufällig da, gucken sich das alles mal an und fahren dann gut gelaunt nach der Vorrunde wieder heim, um sich für die nächste WM zu qualifizieren uswusf.

  3. bzgl der causa Spanien:

    man darf gespannt sein, ob Aragones ein System für die Stars wählt oder die Spieler für sein System. Mein Tipp: er macht sein Ding, sein System. Verlierer dieser Entscheidung: Cesc Fabregas.