CFL gegen NFL, 2tes Quarter

Die Canadian Football LeagueCFL – hat in der letzten Dekaden genug existenzgefährdende Krisen durchgemacht. Zuletzt als man in den Neunzigern eine teure Expansionspolitik in die USA hinein verfolgte und damit an den Rand des Konkurses schlitterte.

Mitte der Neunziger blies den Angriff auf die NFL ab und konzentrierte die Liga wieder auf ihrem kanadischen Kern mit 8 bzw. 9 Teams. Wie fragil die finanzielle Balance immer noch ist, zeigte sich an der kurzfristigen Schließung der Ottawa Renegades vor der 2006er-Saison und den seitdem fehlgeschlagenen Versuchen die 9te Franchise neu aufzubauen.

Die 4,5-Millionen-Stadt Toronto in der Provinz Ontario ist das wirtschaftliche Zentrum Kanadas. Es liegt an einem der großen Seen und nur einen Steinwurf (300km) von Detroit und nur 100km von der US-Grenze entfernt. Von den Großstädten im Osten Kanadas ist es die “amerikanischste” Stadt, während Ottawa, Montreal und Quebec deutlich frankophoner sind. Wer in Kanada Geld von Großunternehmen für Marketing und Sponsoring abgreifen will, kommt an Toronto nicht vorbei.

Es liegt damit in der Logik der Dinge, dass Toronto immer als erste Stadt genannt wird, wenn der US-Sport nach Kanada expandieren will.

Seit drei Wochen bekommt der Versuch einer NFL-Franchise in Toronto immer mehr Fahrt. Es ist eine Geschichte mit komplexen Interessen. Der “Hunger” Torontos nach der NFL war schon seit langem da, weswegen Toronto schon immer im Gespräch für ein Preseason oder regular season-Match der NFL war.

Was aber die Bemühungen nun seriös werden läßt, ist dass es erstmals einen Kandidaten in der NFL für einen Umzug nach Kanada gibt. Und damit fangen nun die Schweißausbrüche der einheimischen CFL an.

Wer will haben?

Am besten scheint sich ein Konsortium positioniert zu haben, dass von Vetretern des MLB-Klubs Blue Jays und NHL-Klubs Maple Leafs geführt wird (die sog. “Rogers-Tanenbaum Group“). Schlüsselfigur ist dabei der Blue Jays-Besitzer Ted Rogers. Er steht dem Firmenimperium Rogers Communications Inc. vor, dem größten Kabelnetzbesitzer, dem größten Mobilfunkbetreiber, dem größten Zeitschriftenverlag des Landes, sowie Besitzer mehrerer Fernsehstationen. Darüber hinaus betreibt die Firma auch das Rogers Centre, die große Arena von Toronto in der die Blue Jays und das CFL-Team der Toronto Argonautes spielen.

Man braucht sich also nur anzusehen was für Firmen in diesem Konsortium sitzen und kann sich ausmalen wie groß das Interesse sein muss, ein NFL-Team zu holen, dass sich quer durch die diversen Assets der angeschlossenen Firmen ausschlachten ließe.

Nachdem die Gerüchte über den Versuch eine NFL-Franchise zu holen, stärker geworden sind, haben sich auch die beiden Besitzer der Toronto Argonautes eingeschaltet und ließen streuen, dass auch sie Pläne in der Schublade haben. Unter CFL-Eignern gilt aber dieser Versuch nicht als seriös.

Wer will kommen?

Die NFL steht in der Schuld von Los Angeles, so das eine Expansion auf jeden Fall zuerst dorthin wandern würde. Toronto käme also frühestens bei einem 34ten Team zum Zuge. Die NFL zeigt aber keine große Lust zu expandieren. Insbesondere im Falle von Toronto scheint daher der Umzug einer etablierten Franchise das wahrscheinlichere Szenario.

Und just in diesen Wochen wurde bekannt dass die Buffalo Bills Interesse an Toronto zeigen. Die Bills sitzen im zweitkleinsten Markt der NFL und nur 100km Luftlinie von Toronto entfernt. Und so versuchen die Bills mit dem großen Zeh schon mal die Wassertemperatur vorzufühlen. Die Bills haben diese Woche bei der NFL Anträge abgegeben um bereits nächste Saison ein Preseason-Spiel in Toronto abzuhalten und 2009 ein regular season-Spiel. Dabei brauchen die Bills auch die Einwilligung des heimischen Erie County, da der Stadion-Vertrag zwingend vorsieht, dass bis 2012 alle Heimspiele der regular season dort stattzufinden haben (angeblich sollen sie diese am Freitag erhalten haben).

Bills-Besitzer Ralph Wilson, der geschäftliche Kontakte nach Toronto besitzt, ist zu sehr mit Buffalo verbunden, als dass er mit der Franchise komplett umziehen wollen würde. Aber Wilson ist 89 Jahre alt und damit stellt sich die Frage was nach seinem Ableben passiert. Wilson hat bereits angekündigt, dass die prohibitiven Erbschaftssteuern es nicht möglich machen, die Franchise an seine Kinder zu überschreiben, weswegen die Bills nach seinem Tod meistbietend versteigert werden sollen, ähnlich wie vor einigen Jahren die Redskins.

In Kanada wird aufmerksam registriert, dass die Bills in ihrer Ankündigung für den Antrag Spiele in Toronto auszutragen, vom “nördlichen Einzugsbereich unseres Marktes” gesprochen haben. Die einen sehen es als Beruhigung, dass es sich bei diesen Spielen nur um Marketingmaßnahmen und nicht Vorbereitungen für den Umzug handelt. Andere sehen es als eine Art “Kriegserklärung” an, die den Toronto Argonautes ihren Einzugsbereich streitig macht. Ins Bild passt es, dass die NFL die CFL nicht vorab vom Antrag informierte.

Kollateralschäden

Auf der einen Seite gibt es also eine Nachfrage nach einem NFL-Team – durch ein Konsortium – und auf der anderen Seite könnte es demnächst ein Angebot geben – die Bills. Also alles klar?

Nicht ganz.

Das fängt mit dem Rogers Centre an. Das Ralph Wilson Stadium in Buffalo hat ein Fassungsvermögen von 73.000 Zuschauern und ist permanent zu minimum 90% ausgelastet. Das Rogers Centre hat hingegen nur ein Fassungsvermögen von 53.000 Zuschauern und dürfte somit für NFL-Verhältnisse nicht satisfaktionsfähig sein. Ein Zuzug eines NFL-Teams nach Toronto hieße auch Neubau eines Stadions und Neubau eines Stadions heißt in diesen Tagen auch finanzielle Zuschüsse der Stadt oder Region. Ob diese öffentlichen Gelder so leicht fließen werden, wenn gleichzeitig eine Institution wie die CFL beschädigt wird? Eine billige Variante sähe die “Tieferlegung” des Spielfelds im Rogers Centre vor. Da die NFL-Spielfelder 20yds weniger lang sind, sollen so 10.000 Plätze mehr gewonnen werden können.

Das größte Problem: ein NFL-Team in Toronto, mitten im Herzen der finanzstärksten Region in Kanada, ist ein Dolch ins Herz der fast 100jährigen kanadischen Institution CFL.

Die ersten Gedanken sind sofort, dass ein CFL-Team nicht an der Seite einer NFL-Konkurrenz überleben kann. Aufgrund der Attraktion der NFL würden dabei nicht nur die Toronto Argonautes in den Strudel gerissen werden, sondern auch die Hamilton Tiger Cats (50km südwestlich) und die Montreal Alouettes (500km nordöstlich) in Mitleidenschaft ziehen und die Neueröffnung einer Ottawa-Franchise (300km nordöstlich) wohl verunmöglichen. Kurz: quasi die gesamte Eastern Division wäre platt und die Fans in den westlichen Provinzen Alberta, Manitoba und Saskatchewan stünden mit leeren Händen da – ohne NFL und nur noch mit halbierter CFL.

Und so bauen einige CFL-Mitglieder sich schon mal mit breiter Brust auf. BC Lions-Präsident Bob Ackles will das kanadische Parlament einschalten. BC Lions-Besitzer David Braley droht: wenn Rogers Communications die CFL beschädigen würde, würden sie es den zahlreichen Unternehmen von Rogers Communications heimzahlen.

Andere Mitglieder in Kanada sehen es halb so wild. Ted Rogers – okay, interessierte Seite – glaubt sogar an einen PR-Effekt für die Argonautes wenn sich ein NFL-Team in Toronto breitmacht.

Der Präsident der Edmonton Eskimos Rick LeLacheur glaubt dass Feintuning ausreichen würde, damit die CFL überlebt, z.B. ein Umzug der Argonautes in den dichtbesiedelten Speckgürtel von Toronto, z.B. nach London (halbe Strecke zwischen Toronto und Detroit) oder Mississauga (20km südwestlich).

Im Übrigen hält er noch nicht einmal einen Umzug der Bills für wahrscheinlich. Die NFL würde vorsichtig agieren. Er selber und seine Kollegen aus Vancouver hätten versucht NFL-Spiele für 2008 und 2009 zu arrangieren, z.B. 2009 in Vancouver als “Warm-Up” für die Olympischen Winterspiele einige Monate später.

Dazu dürften der permanente Stress mit der Ein- und Ausreise über die Grenze und der schlechte Wechselkurs mit dem kanadischen Dollar, das Interesse der NFL stark bremsen. Immerhin müssten Zweidrittel der NFL-Besitzer einen Umzug absegnen.

Der größte Bremsklotz für Toronto dürfte aber Los Angeles sein. Der zweitgrößte TV-Markt des Landes ist seit 13 Jahren ohne Team. Eine Expansion scheint angesichts der noch jungen TV-Verträge ausgeschlossen, denn dann würden die Einnahmen mit einem zusätzlichen Teambesitzer geteilt werden müssen. Bei einem Umzug. bzw. Versteigerung des Teams würde vermutlich auch eine Gruppe aus LA teilnehmen, die wesentlich mehr wirtschaftliches Potential wird abrufen können als Toronto.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Hi Dogfood, mal wieder super zusammegefasst, aber eines würde mich noch interessieren: Wie kann es angehen, dass ein NFL-Team in Toronto gleich vier Teams gefährden würde, zum Teil Hunderte von Kilometern entfernt? Es sind doch jeweils keine 10 Heimspiele, also kann es an den Zuschauern im Stadion kaum liegen… oder doch? Oder woran?

  3. Ad 1: eine Liga die nur aus 8 Teams besteht, aber einen Spielplan mit 18 Spieltagen zu füllen hat, ist für jeden weiteren Verlust empfindlich.

    Ad 2: Ein Team in Toronto trifft direkt zwei Teams: die Argonautes und die nur 50km entfernten Tiger Cats. Wenn ein attraktiveres Konkurrenzangebot da ist, aber das Einkommen oder die Zeit der Leute nicht reicht um sowohl “ihr” CFL- als auch “ihr” NFL-Teams zu unterstützen, werden sie sich entscheiden müssen. Angesichts der Zugkraft der NFL dürfte es eher zugunsten der NFL sein.

    Zwei Teams der Eastern Division riskieren also wohlmöglich pleite zu gehen.

    Ad 3: der finanzielle Schaden würde überproportional groß sein, da Toronto das wirtschaftliche und mediale Zentrum Kanadas darstellt. Eine NFL-Team würde enorm viel Geld anziehen, ergo aus der CFL weglocken. Das betrifft die Liga weit über Toronto hinaus.

    Ad 4: Die CFL ist eine finanzielle etwas wackelige Geschichte, wie man daraus sehen kann, dass es seit dem Ableben 2006 der Ottawa Renegades nur sehr zögerliche Versuche gibt, ein neuntes CFL-Team wieder aufzubauen.

    Wenn es bereits im “Normalzustand” als nicht finanziell tragbar gesehen wird, wird eine NFL-Franchise so nahe an Ottawa die Geschichte verunmöglichen.

    Ad 5: Die Entfernungen in Nordamerika lassen sich nicht auf europäische Verhältnisse übertragen. Die Anziehungskraft der Frankfurt Galaxy war zu Beginn der 90er Jahre in Deutschland so groß, dass ich mit einem Kumpel zu einem Spiel in einen Fans-Konvoy geraten sind… kurz hinter Hamburg. Und selbst auf der Rückfahrt, weit nach Mitternacht auf der Autobahn bis hinter Kassel noch umgeben von Galaxy-Fans waren.

    Wenn selbst in Deutschland das Einzugsgebiet von so einem Team 500km beträgt, kann man sich ausmalen wie es in einem Land wie Kanada und einem “richtigen” NFL-Team aussehen wird. Bei einem durchschnittlichen Zuschauerschnitt von zirka 20.000 bedeuten 2-3.000 Zuschauer schon mal mehr als 10% weniger Zuschauer. Siehe Ad 4: die CFL hat kein finanzielles Polster auf dem sie sich großartig ausruhen kann.

    Kann die Liga trotzdem überleben? Als 5-Team-Liga ohne Montreal, Hamilton und Toronto und nur mit Teams im derzeit prosperierenden Westen? Könnte sie ihren Spielplan um 2-3 Monate vorverlegen und so der NFL aus dem Weg gehen?

  4. OK, danke für die ausführliche Antwort und: krass, ich hatte halt gedacht, die Football-Fanbasis wäre in Kanada groß genug… gerade wo bei anderen amerikanischen Sportarten, die ja auch in Toronto gespielt werden, jede Woche 1-2 Heimspiele sind und sie es da auch irgendwie schaffen, ihre Hallen/Stadien zu füllen. Aber ich denke anscheinend zu sehr in den Dimensionen, die man in Europa vom Fußball kennt und wo es kein größeres Problem darstellt, wenn München mal drei (inkl. Haching) Erstligavereine hat.

    Dass die gesamte Liga ins Wanken gerät, wenn 25 Prozent der Teams flachfallen, leuchtet mir hingegen sofort ein.