DSF steigt auf das Hamburger Sie um

Dem Medienmagazin dwdl.de haben der BÄH-Programmchef Torsten Haux und der Chefredakteur Sven Froberg ein Interview gegeben.

Das interessanteste Detail ist die Aussage von Chefredakteur Sven Froberg, der in normalen Interviews kein Duzen mehr hören will.

Beim DSF will ich das “Du” nicht sehen, weil ich darin eine zu große Nähe sehe. Kumpeljournalismus muss verhindert werden […] Aber im Alltagsgeschäft und unter journalistischen Aspekten kann ich keine Kumpanei tolerieren; da hat das “Du” nichts zu suchen. Es gibt ja die elegante Lösung aus Vorname und Siezen […] Bei unseren Experten wie Thomas Helmer ist es vielleicht auch etwas anders. Wenn der auf Mehmet Scholl trifft und mit ihm spricht, dann sollte man das Duzen nicht verteufeln. Denn ganz offensichtlich kennen sich beide schon seit Jahren. Aber da reden wir über ein Personalityformat und keinen klassischen Spielfeldrand- bzw. Nachrichtenjournalismus.

Die Form des “Thomas, können Sie unseren Zuschauern erzählen, warum …” nennt man “Hamburger Sie“. Nicht dass ich nun sofort Beispiele parat hätte, wo mir einfallen würde wo auf BÄH noch in Grund und Boden geduzt werden würde. Aber die Aussage von Sven Froberg zeigt ein Maß an Sensibilität die man dem krachledernen Sportsender nicht zugetraut hätte.

Die Sensibilität ist nicht bei jedem Thema vorhanden. Programmchef Torsten Haux:

Sport allein lässt sich nicht refinanzieren. Würden wir die “Sexy Clips” und Call In-Formate absetzen, könnten wir – abgesehen von den zusätzlichen Kosten bzw. fehlenden Einnahmen – in den Randzeiten auch keinen Sport zeigen, weil es da nichts zu zeigen gibt. Zumindest live. Am Ende des Tages will man auf der einen Seite ein klares Profil und eine hohe Quote, aber auf der anderen Seite auch einen positiven Deckungsbeitrag. Um hier ganz strikt zu trennen, gilt unser Kernzeiten-Versprechen. Werktags von 17.30 bis 23.00 Uhr und am Wochenende von 9.00 bis 23.00 Uhr zeigt das DSF ausschließlich Sport und männeraffines Programm wie beispielsweise Motor-Magazine.

Ich kann nicht beurteilen wie zwingend notwendig die Shopping- und Call-In-Formate sind und ob es wirklich keine Alternativen gibt.

Aber man muss sich nur mit gesundem Menschenverstand Call-TV-Sendungen ansehen und z.B. die gesammelten Blogeinträge von Stefan Niggemeier zum Thema Callactive – dem Call-TV-Dienstleister u.a. für MTV – durchlesen, um zu hinterfragen wie koscher die Sendungen wirklich sind.

In diesem Frühjahr sind in Großbritannien die Call-TV-Sendungen gleich reihenweise gegen die Wand gefahren worden, nachdem mehr und mehr betrügerische Praktiken bekannt geworden sind. Das Ausmaß ist dabei so groß gewesen, dass von BBC über ITV bis hin zu Five kein Sender ohen Dreck am Stecken geblieben ist.

Alleine schon der gesunde Menschenverstand läßt einem aus dieser britischen Erfahrung heraus bezweifeln, dass Deutschland zum Refugium der letzten ehrlichen Call-TV-Anbieter geworden ist. Es wäre sensationell.

In Großbritannien sind Zuschauer von den Sendern und ihren Dienstleistern bewusst betrogen worden. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit bis diese Zeitbombe hier hochgeht. Dann werden aber die Spritzer nicht nur an den Call-TV-Dienstleister hängen bleiben, sondern an den betroffenen Sendern. Und die Sender werden nach den britischen Erfahrungen sich nicht mehr herausreden können, sie hätten nichts gewusst.

Es gibt solche und solche Finanzierungsmethoden. BÄH und seine Mitarbeiter wissen hoffentlich für was sie sich hierbei entschieden haben und haben ihren Call-TV-Dienstleister an der engen Leine. Der Sender und sein Führungspersonal werden sich auch daran messen lassen müssen.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Der Schritt zum Hamburger Sie ist aber leider auch nichts anderes als eine Nebelkerze. Es kann doch nicht darum gehen, die Kumpanei ziwschen den “Fans, die es in den innenraum geschafft haben” und den Akteuren zu verschleiern, vielmehr sollte mit dieser Kumpanei an sich Schluß gemacht werden. Wenn ich Hofberichterstattung will, kann ich ja immer noch die entsprechenden Fanpages etc .ansurfen. Kritischer Journalismus wird nicht dadurch umgesetzt, daß man den Anschein von Objektivität wahrt, sondern dadurch, daß objektiv berichtet WIRD.

  3. Soll das heißen Wonti sagt zu Lattek ab jetzt immer : Aber das haben Sie doch bereits erwänt, werter Herr? Zu lustig.
    Oder bin zu dämlich um das zu verstehen ?
    Sportlich ist jedenfalls “Du”, das ich bevorzugen würde. Wer das nicht vertragen kann, soll beamter werden. Die Welt ist schon langweilig genug :)

  4. Du bist es!

  5. Scorer hat schon recht, Siezen allein wäre nur Augenwischerei. Hofberichterstattung ist leider eher die Regel als die Ausnahme, ob jetzt per Sie oder per Du. Die meisten Journalisten verstehen sich ja unumwunden als Teil des Systems. Darüber gab es mal einen interessanten Bericht im Fernsehen. Besonders hervorgetan hat sich da Rolf Töpperwien. Laut Gedächtnis sagte er sinngemäß, man sitze zwar nicht im selben Boot, rudere aber in die gleiche Richtung. Entlarvend. Eine nur annähernd so kritische Auseinandersetzung wie momentan mit dem Radsport, ist insbesondere im Fußball so kaum zu erwarten.

    Zum Thema Call-in: Leider kenne ich die britische Medienregulierung zu wenig. Die Ofcom ist mit den hiesigen Landesmedienanstalen kaum zu vergleichen. Bezeichnend aber, dass selbst der eher marktliberalen Ofcom offenbar mehr Mittel zur Verfügung stehen als den deutschen LMAs. Letztere entpuppen sich gerade beim Thema Call-in als zahnlose Tiger, gut dokumentiert bei Stefan Niggemeier. Leider ist dieser Themenkomplex kaum im Bewusstsein der Öffentlichkeit, und schnell mit einem “selbst schuld wer da anruft” vom Tisch gewischt. Aber das ändert sich langsam, nicht zuletzt dank des Internet.

  6. Jo, das “Hamburger Sie” ist natürlich nicht das Maß der Dinge für eine journalistische Berichterstattung, aber in all den Jahren BÄH kann ich mich nicht daran erinnern, dass jemand aus der BÄH-Führungsriege in der Öffentlichkeit für so ein Detail Sensibilitäten zeigte. Deswegen halte ich es für erwähnenswert und man wird sehen müssen, ob da noch mehr kommt.

    Was die Call-In-Sendungen angeht: der Blogeintrag ist zugebenermaßen ein schriftlicher Eiertanz um die Ausdrücke die mir eigentlich in den Kopf rumgehen, die aber derzeit sehr schnell abgemahnt werden.

    Es ist in der Tat zu einfach die Schuld ausschließlich bei den Anrufern zu suchen. Aber spätestens nach der Affäre in Großbritannien stehen nicht nur die Dienstleister in Verantwortung, sondern jeder Sender der so etwas aufnimmt. Jeder führende Mitarbeiter der diese Scheiße zulässt und sie zum Bestandteil seines Geschäftsmodells werden läßt.

    (Und um entsprechende Fragen zuvorzukommen: ich beurteile das aus der Warte eines Freiberuflers, der sich auch bei Aufträgen überlegen muss, was machbar ist und was finanziell notwendig ist und sich im Falle eines größeren Auftrages für eine PR-Kampagne in Schulen für genmanipulierte Lebensmittel gegen die Annahme des Jobs entschieden hat)

  7. – Sicher ist ein Verbot des Duzens kein Allheilmittel, aber es ist erstens auch kein Mittel zur subtilen Gesprächsbeeinflussung, das schon von vornherein zum Scheitern verrurteilt wäre (sprich: besser als gar nichts) und zweitens verringert es selbst bei effektiver Nutzlosigkeit immernoch den Nervfaktor einer jeden Übertragung. Und Sportberichterstattung ist wie Herrenmode: gut sieht aus, was nicht blöd aussieht.
    Also, bei mir hat diese Aussage seinen Zweck der Imageverbesserung voll und ganz erreicht.

    – Da dürfte Herr Helmer aber enttäuscht sein, wo er sich doch seit Jahren so viel darauf einbildet, jetzt Journalist zu sein…

    – Wahrscheinlich lässig abmahnfähig, aber hier ja schon mal kritiklos stehengeblieben: Tod und Verdammnis der BLM!

    btw: PR-Kampagne _in Schulen_ für genmanipulierte Lebensmittel?! Gibt es dazu einen Schwank (auf deinem blog?) aus deinem Leben? Klingt nach einer unglaublichen story.

  8. so weit ich weiß, ist das ja gar nix neues. das siez-gebot gab es bei BÄH schon länger. hat sich wohl nie jemand dran gehalten…mal schauen wie es in enem halben jahr aussieht. scheint das der neue chefredateur im markt einfach nur ein bisschen profil gewinnen möchte. und wenn es nur mit so was ist – bitte sehr…

  9. Kein ‘Sie’ der Welt kann einem wie Jörg Dahlmann ein Rückrat verleihen.

    Insofern: Gut gemeint, aber mit dem aktuellen Personal IMHO vergebliche Liebesmüh’.

  10. ich habe gestern abend mal wieder erlebt, warum bäh seinen namen vollends verdient hat: 2. liga, zusammenfassung. daß sie das interview mit daum einigermaßen ausschlachten, war ja zu erwarten gewesen. ist auch okay.
    aber dann: vor dem köln-spiel nochmal werbung mit vorheriger ankündigung, gleich folge das irrste (wortlaut nicht mehr im kopf) spiel der noch jungen saison. nach der halbzeit (1:3) nochmal werbung, mit der ankündigung, gleich folge eine wahnsinnige spannende zweite halbzeit. oder sensationell, ich mag mir die marktschreier-attribute nicht immer merken. was soll das? fußball ist so toll, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. wenn ich köln-fan wäre oder nicht vorher gewußt hätte, wie das spiel ausgeht, hätte ich mich maßlos geärgert, wie hier ein tatsächlich bemerkenswertes spiel totgepusht wurde, mit dem schüren und überhitzen von erwartungen. man hätte als unwissender vor dem fernseher sitzen können, je nach sympathie amüsiert oder verzweifelt über den spielstand und in der 2. halbzeit dann zunehmend in wallung geraten können. so aber wird schon vorher von bäh alles kaputtgemacht, weil man ja weiß, daß etwas passiert, was dann nur zwei alternativen zulässt: entweder die totale demontage von köln oder der fc dreht das spiel.

    so macht man fußballberichterstattung kaputt. da ist mir auch egal, ob die sensationsgeilen fragen mit einem sie beginnen.

  11. Junge Neue müssen gezwungenermassen immer neue Strategien auf den Weg bringen. Das ist halt so in unserer Ellenbogengesellschaft. Aber die Einschätzung des Sven Froberg über den der „Kumpelei genervten“ Deutschen Fernsehzuschauer ist das Lächerlichste, was das Jahr 2007 bisher geboten hat. Kann sich denn ein 35-jähriger Jungstudierter schon so weit weg von der fernsehenden Basis entwickelt haben, wie ein Politiker von seinen Bürgern?

    Solche Ideen kann man eigentlich nur entwickeln, wenn man als junger, dynamischer, wissensdurstiger Mensch zu lange und zu heftig dem Einfluss aus dem gelobten Land Amerika ausgesetzt war. Diese scheinheiligen Doppelmoralisten zwingen permanent der ganzen Welt auf, dass man mehr Wert auf Schein als auf Sein zu legen hat. Und bist Du nicht mit uns, dann bist Du….. Verzeihung, natürlich Sie böser Feind.

    Herr Froberg verlangt „kritische und informative Interviews“. Darauf warte ich schon seit Jahrzehnten. Aber auch mit einem verlogenen Sie wird er die derzeitige Befragungsqualität definitiv nicht erhöhen können. Will er ja auch gar nicht. Wir werden wohl weiterhin mit einstudierten sensationsgeilen und dummdreisten Fragen (Wie glücklich sind Sie?) leben müssen.

    Es ist immer wieder amüsant zu verfolgen, wenn Ralf und Michael Schumacher den bunten PapaKai Übel in entwaffnender Weise duzen. Froberg: „Der (Zuschauer) sieht das und denkt sich: da reden zwei Spezies miteinander, die gleich nach dem Interview zusammen einen heben gehen.“

    Ist es nicht lächerlicher und peinlicher, Herr Froberg, wenn sich zwei Menschen, die sich gut kennen, vor der Kamera siezen und man weiss, nach dem Interview gehen sie zusammen einen heben?

    H

  12. Gegenfrage: warum sollte der Sportjournalismus so anders gepolt sein, als Journalismus in den Bereichen Poltik, Wissenschaft, Kultur oder Wirtschaft? Möchte ich Ulrich Deppendorf Fragen stellen hören “Angela, was nimmst du aus deiner China-Reise mit?”

    Wenn Ebel mit den Schumachers einen Heben geht und ein alter Jugendfreund der beiden ist, dann ist nicht das Siezen das Problem, sondern Ebel selber und er hat in der Boxengasse nichts zu suchen.

    Nicht das wir uns mißverstehen: Kommentierung von Spielen & Veranstaltungen ist ein anderer Schnack als das Kommentieren einer Bundestagssitzung, ohne Frage. In Feuilletons möchte ich bei einer Rezension einer Platte auch nicht wissen wie lange die einzelnen Stücke sind und wieviele Instrumente aufgenommen wurden, sondern einen individuellen bericht lesen.

    Aber bei Interviews, Moderation und Analyse? Wer Duzerei will, kann zu 9live gehen.

  13. moment mal, die länge der stücke und die zahl der instrumente können sehr wohl eine interessante information sein!

  14. Mir würde es ja schon reichen, wenn die Printjournalisten damit aufhören würden, ihre Riemen “Stücke” zu nennen. Ein Stück schreibt man vielleicht für’s Theater, aber nie für irgend so eine schmierige Zeitung, merkt euch das, ihr elenden Wichtigtuer!

  15. ich finde, der profane warencharakter wird dadurch gut rübergebracht. erinnert mich immer an stückgut.

  16. Haha, genau das kenn ich.
    Sportjournalisten sind auf der Beliebtheitsskala über Boulevardpaparazzi und unter Parkenten anzusiedeln.
    So wird man wohl bei Zeiten auch behandelt werden.
    Wenn man auf Ansehen Wert legt, sollte man sich jedenfalls einen anderen Job suchen.
    Und sternburg, du tust aber auch wirklich alles um das “crawling dogs” image
    weiter salonfähig zu machen.
    Für manche Journalisten trifft dieser Begriff auch tatsächlich zu aber es gibt auch genug Gute. Sortjournalist ist einer der weitesten Begriffe, die ich kenne !

  17. Stückgut? Bei vielen ja wohl eher Schüttgut. :)

  18. muah,ha,ha..wollen die sich jetzt wirklich einen seriösen Anstrich verpassen ;-)