sport.ard.de und das zurückgezogene Shevchenko-Interview
Durch eine Meldung von Reuters bin ich darauf aufmerksam geworden: die Internetredaktion der ARD hat ein Interview von Hakan Uzun mit Andrej Shevtschenko (von mir aus auch: Schewchenko) nach vier Tagen zurückgezogen.
In diesem Interview kritisiert Shevchenko seinen Trainer Jose Mourinho:
[… ]Ja es stimmt auch, dass ich mich über Mourinho beschwert habe, doch es gehört viel dazu, um mich dazu zu kriegen. Der Trainer hat nie mit mir geredet oder mich auf der Position eingesetzt, wo ich meine Stärken habe. Es ist auch kein Geheimnis, dass ich eher auf der Wunschliste von Herr Abramovich war als auf der des Trainers. Aber Mourinho gab sich in den Transfergesprächen mit mir zunächst sehr positiv und erfreut. Doch vor wenigen Monaten wurde ich plötzlich zu seiner Zielscheibe, weil er zur selben Zeit auch Knatsch mit dem Präsidenten hatte. Ich denke, ein Trainer sollte objektiv sein und einen Spieler nicht bloßstellen […] Zum ersten Mal in meiner Karriere, sagte ein Trainer in der Öffentlichkeit, dass ich nicht ganz in sein Konzept passe. Das ist nicht gerade förderlich für die Motivation. Warum bin ich dann hier? Unter vier Augen hat er es zwar wieder klargestellt und gesagt, dass seine Meinung verzerrt wieder gegeben wurde. Aber innerlich beschäftigt mich das noch immer […] Ich streite ungern, aber ich vergesse auch nichts. Ich bin Stürmer und will hier nur meinen Job machen. Wenn mich aber der Klub-Chef erneut fragt, was ich vom Trainer halte, dann werde ich für mich persönlich reden. Als Trainer ist er sicher gut, aber als Mensch will ich ihn nicht beurteilen. Er ist halt nur mein Trainer […] Mourinho ist ein sehr guter Trainer, aber ich passe nun einmal wohl nicht in sein System. Auf jeden Fall weiß ich, dass das so nicht weiter gehen kann. Zweifelsohne liegt mir Italien noch immer am Herzen.
Mit Verspätung hat nun der FC Chelsea und Shevchenko Wind von der Sache bekommen und man ist gelinde gesagt extrem angefressen:
Andriy Shevchenko would like to make clear that the interview in question is a total fabrication.
Andriy said: “This is complete rubbish. I have never spoken to this German website or to the journalist who claims to have interviewed me.”
Konsequenz: das Interview ist von der ARD-Website verschwunden. Und zwar kommentarlos. Wer will, kann es derzeit noch in der Suchfunktion der ARD-Website sich auflisten lassen, landet aber auf einer Fehler-Seite.
Man muss schon zum alten Google-Cache greifen, wo die Story derzeit noch auffindbar ist.
Ein getürktes Interview ist natürlich nicht vom obersten Regal des Journalismus. Shit happens, wer kennt schon die näheren Umstände. Aber das Ding derart verschämt und kommentarlos von der Website verschwindet zu lassen, ist so ziemlich der unsouveränste Schritt den sich eine Internetredaktion diesbezüglich leisten kann.
Derartiges Handeln ist aber nicht unüblich in einigen Internetredaktionen der ARD. So zeigt die Panorama-Redaktion des NDRs null Diskussionsbedarf über ein übles Stück aus der letzten Sendung über Computerspiele. Während mittlerweise 180.000 Zugriffe auf die 220 Kommentare der beiden Threads im Panorama-Forum stattfanden, gibt es von der Redaktion nur einen für eMail-Antworten gedachte Formtext (“Wir versuchen, die wichtigsten Fragen, Anregungen oder Kritikpunkte in dieser Mail zu berücksichtigen.“). Auch an diesem Text wurde von der Redaktion nachträglich herumgebastelt, ohne dass es für Außenstehende sichtbar gemacht wurde.
Transparenz ist bei einigen Redaktionen der ARD eine Sache die beim eigenen Webauftritt aufhört.
Reaktionen
Mhh, vielleicht liegt die Sache aber auch so, dass Sheva Angst bekommen hat, dass dieses Interview sein Standing bei Chelsea nicht grade verbessern würde und er sich daher schnell davon distanziert hat, obwohl er diese Aussagen wirklich getätigt hat. Warum die ARD allerdings dann so einfach darauf eingeht und das Interview entfernt, verstehe ich auch nicht. Nur, um die Kontakte zu Chelsea nicht zu versauen? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen…
Das ist das Problem.
Natürlich kann man einem falschen Interview aufgesessen sein (ob das zu verhindern wäre, ist ein anderes Thema).
Natürlich kann man ein Interview zurückziehen um z.B. der Sache auf den Grund zu gehen.
Aber das macht man im Internet mit Google Cache und Konsorten nicht, ohne was dazuzuschreiben. Entweder sagt man, “Sorry, wir müssen uns erst von der Echtheit überzeugen” oder “Sorry, Interview war falsch, wir entschuldigen uns bei Sheva und Chelsea”.
Aber gar nix zu machen und das Ding still und heimlich verschwinden zu lassen, das ist für ein Medienunternehmen einfach unethisch.
Diese komischen “Neuen Medien” sind halt eine Modeerscheinung…
Dafür müsste man sich mit Internet und Google Cache aber auskennen. Die gehen halt davon aus, dass der Text weg ist, wenn sie den löschen. Was a) natürlich dämlich ist und b) unethisch bleibt.
Nö, dafür reicht aus Blogs zu lesen :-) Es wird immer irgendjemanden auffallen.
zumindest Hakan Uzun müsste ja wissen, was er Shevtschenko gefragt hat und der antwortete.
es sein denn da waren mehrere türkisch – deutsch – russisch – englisch – ukrainisch übersetzter dazwischen und keiner will schuld sein …
da kann man bei der ARD schon mal Panik bekommen
Schreibt Herr Uzun nicht auch für den Kicker?
Jap, soweit ich weiß macht er Türkei-Berichte…
Herr Uzun hat so für einige Publikationen geschrieben.
Aber das ist offen gesagt nur begrenzt das Thema des Blogeintrages. Aus Autorensicht muss die Angelegenheit nicht schwarz oder weiß sein.
Folgende Situation ist denkbar: Chelsea wurde auf das Interview aufmerksam und hat Druck auf Shevchenko gemacht, diese Aussage zu dementieren, egal ob wahr oder unwahr. Das macht er nun auf der Website.
sport.ard.de und Herr Uzun könnten nun in zwei Klemmen stecken:
1/ sie riskieren viel Ärger mit Chelsea & Co. den sie nicht haben wollen
und/oder
2/ sie haben kein Tape und können die Behauptungen nicht nachweisen.
Ich kenne da aus eigener Anschauung einen Fall aus der Bundesliga, wo ich ähnlich naiv war und aus dem Dementi eines Spielers geschlußfolgert hatte, dass der Journalist gelogen hatte. Der zuständige Redakteur mailte mich an und legte die Lage dar (in jenem Fall hatten sie sogar Tape und der Spieler das Interview gegengelesen) und ein anderer Journalist den ich gefragt hatte, bestätigte mir die grundsätzliche Problematik.
Die Lösung muss daher nicht zwangsläufig lauten “Herr Uzun hat uns beschissen” oder “Shevchenko lügt!”. Ein “Die ARD zieht das Interview zurück” auf der Website reicht aus. Alles andere ist einfach mangelhafte Information bzw. Irreführung für den Besucher der Website. Die Leute die das Interview vor 4 Tagen gelesen haben, bekommen keine Informationen über den geänderten Status des Interviews und halten ihn immer noch ohne Einschränkung für bare Münze.
Sollte die ARD zu der Erkenntnis kommen, vorsätzlich vom Journalisten getäuscht worden zu sein, dann wäre dies erst recht ein Grund die Umstände und den Namen publik zu machen.
Aber das kann ich von außen nicht beurteilen. Daher reicht es erst einmal aus, den Namen zu nennen, auf den Originaltext des Artikels hinzuweisen und auf das Informationsdefizit der ARD aufmerksam zu machen.
in der reuters meldung steht ja , dass das interview per telefon auf russisch geführt wurde.
Shevtschenko als Ukrainer (und noch geboren in der Sowjetunion) kann mal mal unterstellen , das er des russischen mächtig ist
wie gut Hakan Uzun russisch kann , mag ausser ihm selbst keiner beurteilen wollen ….
Die Reuters-Meldung wurde ergänzt. Die Passage mit dem Russisch stand ursprünglich nicht drin (siehe auch das Kleingedruckte in der Meldung “updated on Friday, 8h45am EST“)
“Nö, dafür reicht aus Blogs zu lesen :-)”
Blogs? Sind das nicht diese schrecklichen Internettagebücher von diesen ganzen Möchtegernjournalisten ohne Moral, Ethik und fundierte Ausbildung?
Nein, dass sind die Dinger die die Zugangsdaten der Leute mitschneiden.
Sag ich doch: “ohne Moral und Ethik.”
Ein bisschen Recherchieren brachte folgenden Abbinder am Ende eines Interviews im letzten Jahr bei derselben Redaktion an den Tag: “Carlos Dunga antwortete auf die Fragen von Hakan Uzun in schriftlicher Form.” Da hat man also den Lesern die Arbeitsweise gleich offenbart.
http://sportard.wdr.de/sp/fussball/news200607/25/dunga_interview_250706.jhtml
“Filippo Inzaghi antwortete auf die Fragen von Hakan Uzun in schriftlicher Form” steht unter einem anderen Interview
http://sportard.wdr.de/sp/fussball/news200607/26/inzaghi_interview_260706.jhtml
Schwer zu sagen, wie da gearbeitet wird. Es wirft nur mal wieder die alte Frage auf: Braucht das Medium gedrucktes/geschriebenes Wort überhaupt diese kranke Q&A-Form, wenn erstens sowieso nur Stichworte gegeben werden und keine wirklichen Fragen gestellt? Und wenn am Ende auch noch herumgedoktert wird? Dieses Format ist zu einer Pest geworden. Das geht so weit, dass Pressekonferenzenprotkolle als Interviews abgeschrieben werden. Von einem Fall beim vorletzten Ryder-Cup weiß ich, weil ich neben dem Kollegen saß, dass er nicht eine Frage (an Bernhard Langer) gestellt hat. Trotzdem stand hinterher das Ganze als angebliche geistige Leistung seiner Zeitung im Blatt. Je häufiger den Leuten auf die Finger geklopft wird, desto besser.
Bis zur letzten Saison hat die “Bild am Sonntag” für ihre “Kurzinterviews” zu den Bundesligaspielen auch eine nette Quelle gehabt – man schrieb einfach die Interviews auf, die die Leute PREMIERE gaben…
Hallo,
na ja, ich frag mich, ob die Kommentatoren hier wissen, wie teilweise Berichte Interviews zu stande kommen. Viele Redakteure bedienen sich wirklich an fremdsprachigen Medien und das ist meiner Meinung nach nicht verkehrt. So bedient man sich erster Quelle. Leider kann es dann vorkommen, dass eine falsche Aussage übernommen wird. Ich kann mir vorstellen, dass hier eine Aussage übernommen wurde.
Lieber Jürgen, eine erste Idee wäre es schon mal das Material hier durchzulesen und zu verstehen. Die Rede ist von einem *Interview*, dass der (freie) ARD-Mitarbeiter mit dem Spieler geführt haben will.
Ein Mitarbeiter soll mit Shevchenko gesprochen haben.
Das ist eine Aussage die *null* Interpretationsspielraum läßt.