NFL Wildcard 2006/07: Seattle Seahawks – Dallas Cowboys

Wenn man sich für eine Spiele-Preview seine Hirnlappen zermartert, geht man mit bestimmten Erwartungen an ein Spiel.

Ich wollte zwei schwache Teams die eine schwache Partie abliefern würden. Ich bekam zwei schwache Teams die eine schwache Partie ablieferten. Wenn ich mir überlege, wer das gestrige Spiel dominiert hat, welches die Schlüsselfiguren oder -mannschaftsteile waren, fällt mir nichts ein. Klar, es gab 1-2 herausragende Figuren, aber nur aufgrund von Einzelaktionen und von Schlüsselmomenten und nicht weil sie eine dominante Partie gemacht haben.

Dass das Spiel dann doch noch zu einem Unterhaltungswert fand, lag an einem kuriosen vierten Viertel, über dem der Geist von Max Schautzers “Pleiten, Pech & Pannen” lag.

Beide Mannschaften neutralisierten sich und nach dem dritten Viertel stand es 17:13 für Dallas. Keine der beiden Mannschaften schafften es konstant lange Drives hinzulegen oder den Schlüssel für das Lauf- oder Passspiel zu finden.

Dieses häßlich anzuschauende Gleichgewicht des Zuschauerschreckens geriet im vierten Viertel aus den Fugen.

Seattles QB Hasselbeck wirft eingangs des vierten Viertels eine INT und Dallas kann per FG den Abstand in dieser Partie erstmals auf sieben Punkte vergrößern: 20:13.

Mit zehn Minuten auf der Uhr beginnen die Seahawks ihren Drive an der eigenen 27. Etwas später haben sie einen 1st and 10 an Dallas 30 und Hasselbeck versucht einen tiefen Pass in die Endzone. Ein Pass Interference-Geschenk von Dallas, Seattle bekommt ein 1st Down von der Dallas 1yd-Line. Hier ist einer der Faktoren die das Spiel zu ungunsten der Cowboys entscheiden sollten: Fehler durch mangelnde Konzentration und überflüssige Fouls. 8 gegen 3 Strafen für Dallas und meist auch in Momenten wo es besonders weh tat.

Mit 7 Minuten auf der Uhr gelingt es Dallas per Goalline-Stand Seattle von der Endzone fernzuhalten (Vier Versuche an der gegnerischen 1yd-Line mit einem Walter Jones und Sean Alexander nicht durchgebracht? WTF?). Aber anstatt der eigene Abwehr zu vertrauen (Dallas hatte bis dato in der zweiten Halbzeit 3 Drives für insgesamt 58yd Raumgewinn) und konservativ einfach nur ein FG zu nehmen, versucht Mike Holmgren das 4th Down auszuspielen. Ohne wirklich eine 100%ige Variante im Kurzpass-Spiel oder Lauf zu haben. Das ist nicht ein gutsy call, sondern dumm. 4th and 2, der Pass misslingt, Dallas kann mit einer 7-Punkte-Führung in Ruhe seinen Drive starten.

Bill Parcells wollte in Sachen Idioten-Calls nicht nachstehen und lässt als erstes Play QB Romo einen Querpass zum ganz weit links stehenden WR Glenn spielen. Glenn kann den Ball nur unsicher fangen, wird sofort von einer Horde schneller Seahawks-Abwehrspieler angefallen und kann den Ball nicht halten, fumblet in der Endzone, die Seahawks-Spieler versuchen groteskmöglichst den Ball noch auf dem Spielfeld zu halten, es mißlingt ihnen, deswegen “nur” Safety statt Touchdown für Seattle.

Wer den völlig unsicheren QB Tony Romo davor gesehen hat, kann nicht begreifen, wie Parcells zu so einem Spielzug kommen kann. Romo hat durch das ganze Spiel hinweg kaum einen Paß wirklich präzise an den Mann gebracht. Mal zu weit nach hinten, mal zu tief. Dazu kommt, verletzungsbedingte Ausfälle hin oder her, eine eher auf Schnelligkeit aufgebaute Seattle-Defense. Unter diesen Prämissen muss ein derartiger Pass an der eigenen 2yd-Line als Suizidversuch gewertet werden.

So ein Safety hatte für Dallas noch einen Nachteil: man muss den Ball sofort per Kick wieder an Seattle abgeben. Die Seahawks fackeln nicht lange und in Hasselbecks brilliantester Aktion wirft er einen tiefen Pass zu einem 37yd-TD für Stevens. Plus verfehlten 2Pt-Conversion lag damit Seattle auf einmal 21:20 in Führung, mit viereinhalb Minuten auf der Uhr.

Den Schlußpunkt setzte QB Romo. Die Cowboys treiben in den Schlußminuten einen Drive nach vorne. 1st Down an Seattles 11yd-Linie. Sie scheitern an einem neuen 1st Down nachdem beim 3rd Down der Ball nach einer Booth Review wieder auf die 2yd-Linie gelegt wird. Es kommt mit 1’14 auf der Uhr zum siegbringenden FG-Versuch. Oder auch nicht: QB Romo, der Holder, glitscht der Ball nach einem sauberen Snap aus den Händen, Grammaticas Fuß saust neben den Ball, Romo versucht durch einen Scramble noch zu retten was zu retten ist, aber nix… Seattle kann abschließend die Uhr fast komplett herunterticken lassen. Dallas bekommt 2 Sekunden vor Schluß noch die Gelegenheit zu einem Hail-Mary-Pass von der Mittellinie, aber nix.

Seattle gewinnt eine merkwürdige Mutation von Spiel mit 21:20, so wie es beiden Mannschaften würdig war…

Was ist aus der OL von Seattle geworden? Was ist aus den ganzen Pass-Anspielstationen von Dallas geworden? Was aus Jones und Barber? Das war von beiden mannschaften, gemessen an ihrem Potential auf dem papier, schwach. Und noch schwacher gecoacht und dabei zeige ich den Finger noch mehr auf Bill Parcells, dass er es nicht geschafft hat, die waidwunde Seahawks-Secondary auszunutzen, die förmlich darum bettelte mit 10yd-Pässen in das Fenster hinter den Linebackers massakriert zu werden.

Parcells wirkte auch nach der Partie so ratlos wie seit langem nicht. Momentan würde ich eher Geld darauf verwetten, dass Parcells aufhört, als umgekehrt.

(Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Pats, Jets und Eagles heute solch horrende Spiele abliefern, wie gestern die beiden Mannschaften)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Den vierten Versuch an der 2yd Linie auszuspielen halte ich für sehr kalkuliertes Risiko von Holmgren. Schließlich bekommt der Gegner im Falle des Misserfolgs den Ball nur in entsprechend schlechter Raumsituation. Und was letzlich daraus wurde, sehe ich einfach mal als ‘pre-emptive Coaching’ an ;-)
    Dagegen sieht für mich die Möglichkeit eines Fieldgoals zum 16:20, um danach dem Gegner die Chance eines guten Return mit folgendem ‘Clock-Management’ im Late-Game zu überlassen nicht so verlockend aus.

  3. Die Spiele gestern waren echt auf sehr schlechtem Niveau. Keine Mannschaft konnte überzeugen und dazu noch einige zweifelhafte Entscheidungen der Head Coaches. Das zweite Spiel war zwar am Ende spannend, aber die Spannung entstand durch das erschreckende Niveau und nicht durch überragende Offensiv Aktionen der Mannschaften. Nach den Spielen gestern kann man wohl sagen, dass von diesen Mannschaften keine in den SuperBowl kommen wird, außer es passiert was überraschendes.
    Möchte dabei mal die Reporter und Übertragung von TW1/Orf Sport Plus loben, wirklich kompetent, haben Ahnung wovon sie reden und auch von der Geschichte der NFL. Bringen auch viel von den Original Übertragungen an Interviews.

  4. Aber das vierte Viertel hat dennoch einen riesigen Spaß gemacht, da ist mir egal, ob es gewollt oder aufgrund fehlender Nerven zustande kam, im Gegensatz zum ersten Spiel kam bei dem Pleiten-Festival so etwas wie Playoff-Atmosphäre auf. Spannend und aufregend bis zum Schluss (immerhin ging der letzte Punt auch schief!). Lieber so ein schwaches Spiel mit allen möglichen Regelauslegungen, Fehlern und haarstreubenden Momenten usw. als das Gegurke von den Colts und den Chiefs.

  5. Tom: Das Problem war aber, dass die Cowboys nichts gezeigt hatten, was darauf hätte hindeuten können. Abgesehen vom zum TD retournierten Kickoff, lag der KO-Return im Schnitt bei normalen 20yds. Es gab abgesehen von dem einen Return keine Anzeichen, dass von den Special Teams der Cowboys nun permanent Gefahr ausgeht.

    Was das “Clock Management” der Cowboys angeht: die Bilanz der Boys in der zweiten Halbzeit bis zu dem Zeitpunkt: 3 Plays für -1yd, 6 Plays für 13 yd und 8 Plays für 46yd und FG. Kein Drive länger als viereinhalb Minuten. Die Seahawks wären also definitiv mit viel Zeit auf der Uhr noch mal aufs Feld gekommen und hätten dann den Drive zum Sieg.

    Holmgren hat 3 sichere Punkte gegen die wage Hoffnung auf einen TD und eine um 20yd bessere Feldposition eingetauscht.

  6. Ich fand das Spiel aufgrund des letzten Viertels auch amüsanter als das öde Colts-Chiefs.
    Ebenfalls meine ich, das das Ausspielen des vierten Versuches durchaus in Ordnung gewesen ist. Da alles sowieso spekulativ ist, selbst wenn die Seahawks nach einem FG beim Stande von 16:20 nochmal ans Ei gekommen wären, sie hätten auch da auf TD gehen müssen. Ob man bei den gestrigen Angriffsleistungen dieses Risiko eingehen kann und davon ausgeht, das man in jedem Fall nochmal dahin kommt? Wenn man schonmal an der 1-Yard Linie ist, dann verstehe ich die Entscheidung allemal.
    Ähnlich wie dogfood finde ich es erschreckend, das die Cowboys so gut wie nie tief geworfen haben. Eine Secondary, die sogar aus einem Sofasitzer besteht der seit einem Jahr kein professionelles Spiel gemacht hat, muss man attackieren.

  7. Wie schon mal gesagt, ich bin wirklich kein Football-Fan und verfolge nur die Live-Spiele nachts ab und zu, wenn ich gerade am PC sitze oder arbeite. Wie auch immer, ich muss Jannes zustimmen: Die ORF Sport+ Kommentatoren machen das wirklich gut. Bisschen mehr für “Neueinsteiger” wäre nicht schlecht, aber ansonsten machen die beiden doch sehr viel Spass.

  8. Ich fand den Kommentator der ersten Partie furchtbar, hat sich andauernd verheddert. Sein Ko-Kommentator war ganz angenehme. Vom ganz kurzen Reinhören hatte ich den Eindruck dass der Kommentator der zweiten Partie wesentlich besser war.

  9. ich mag QB’s die auch den holder machen müssen
    1. Kick ist gut, und ich geh wieder an die sideline
    2. man ich bin der QB, ich darf auch laufen (mehr was für Urlachers patenkind)
    3. ich darf auch passen (da haben die coaches der cowboys ordentlich gepennt).

    wie auch immer, Romo war auf seinen fehler nicht vorbereitet, der hätte auch ins
    backfield laufen können um die endzone, von rechts nach links, nach einem
    freien receiver abzusuchen.

    ganz klarer coaching-point für die seahawks.

  10. @Kai: Welchen Sender meinst Du jetzt? ORF hat doch nur ein Spiel übertragen, oder hab ich da was versäumt?

  11. ORF1 hat das 2h00-Spiel übertragen. Zuvor hat bereits TW1/ORFsport+ das 22h30-Spiel übertragen (und anschließend das 2h-Spiel). Den Kommentator des 22h30-Spiels meinte ich.

  12. Ah ok, sorry… da hab ich das erste Spiel wohl versäumt. Weiss garnicht wer da kommentiert haben könnte, eigentlich haben wir nur einen Kommentator für Football *g*.

  13. Zuerst dachte ich – hallo, Parcells macht hier auf totesstoß und macht nen Fake. Aber dann war doch klar, dass es das nicht war. Zumal es erst so aussah als würde er es schaffen können.