Wenn der Fußball schon in die Winterpause geht: HSV – Nürnberg 0:0
Ein Grottenkick vor mehr als 54.000 Zuschauern. Nürnberg mit der identischen Aufstellung aus dem 0:0 gegen Schalke. Der HSV mit drei neuen Spielern gegenüber der Vorwoche für Feilhaber, Guerrero und van der Vaart und munterer Rotation im van-der-Vaart-losen Mittelfeld.
Doll musste einmal mehr tief in den Kader reingreifen und brachte als rechten Verteidiger Volker Schmidt aus den eigenen Amateuren in seinem ersten Bundesligaspiel ever. Links spielte Colin Benjamin – doch nur eine Prellung, kein Bruch in der Vorwoche. Im Mittelfeld wurde umgerührt. Mahdavikia diesmal wieder rechts im Mittelfeld, Jarolim sollte in der Theorie wohl in der Raute links spielen, fand sich aber mehr oder weniger überall oder nirgends. Alexander Laas nach seiner Partie gegen ZSKA Moskau wieder auf der Defensivposition und Trochowski als van der Vaart-Ersatz hinter den Spitzen hängend. Die Spitzen waren die aus der Partie gegen Moskau: Berisha und “Streifenhörnchen” Ljuboja.
Sah es anfangs noch nach einem intensiven Fight aus, verflachte die Partie schnell und wurde in der zweiten Halbzeit zu einem furchtbaren Gebolze. Keine drei Ballstationen ohne Foul, Fehlpaß oder Abspiel ins Seitenaus.
Nürnberg sah souveräner aus, hatte aber null Zug zum Tor. Die Mannschaft hatte taktisch und technisch das Rüstzeug um mit ein Stückchen mehr Ego Gegner wie den HSV an die Wand zu nageln. Aber insbesondere aus dem defensiven Unsicherheitsfaktor Benjamin zogen die Nürnberger zuwenig Nutzen. Mnari und Wolf rückten zu selten nach, Kristiansen war ein Ausfall und Vittek ließ sich zu selten blicken. Unterm Strich kamen (per Statistik) nur zwei Schüße aufs Tor heraus. Was für eine Verschwendung.
All das was Nürnberg qua Können auf dem Kasten hatte, musste der HSV sich mit viel Aufwand erkämpfen. Der HSV hatte sich in dieser Saison immer leichter getan, mit Gegnern die nach vorne gingen und dem HSV Raum zum Agieren ließen.
Wenn der Gegner aber hinten dicht machte, so wie Wolfsburg, Mainz oder Bochum, war schnell Ende. Nürnberg war ein Gegner dieser Kategorie. Zudem ist der HSV derzeit ein zu fragiles Gebilde um einen Totalausfall wie Trochowski mitzuschleppen. Trochowski, der am Mittwoch brilliant aufspielte, fand nie ins Spiel, wusste offensichtlich nicht, was er zentral mit den weit zurückhängenden Berisha und Ljuboja anfangen sollte, wich auf die Flügel aus und entschwand damit völlig aus dem Spiel. Überhaupt war das Timing von Berisha und Ljuboja diesmal völlig für den Arsch. Jener Ljuboja wurde in der Kneipe zum “Pub Enemy No 1”. Das Streifenhörnchen war zwar sehr aktiv und bemüht, aber rannte zu häufig ins Abseits, versuchte zu häufig den Übersteiger, suchte zu wenig den direkten Abschluß, und wenn er ihn fand, sah er unglücklich aus.
Ein weiterer Faktor für die spielerische Armut des HSVs war David Jarolim. Dem muss eine tschechische Riesengebirgshexe wahrgesagt haben, dass ihm bei jedem Direktspiel ein Hoden abfällt, anders ist es nicht zu erklären, dass er nach jeder Ballannahme erst einmal eine Pirouette hinlegte und dann sich nach vorne zu dribbeln versuchte, während gefühlte 200 Mitspieler an ihm vorbeirannten. Wo der HSV noch am Mittwoch straight den Weg zum Tor suchte, blieben heute deswegen nur Mittel aus dem Fußball-Steinzeitalter übrig: den Ball nach vorne dreschen oder sich mit einer kleinen Einwurf-Orgie Meter um Meter nach vorne kämpfen. Der Bizeps von Colin Benjamin ist um mindestens drei Zentimeter gewachsen.
Das Spiel pendelte sich auf ein Niveau ein “Nürnberg wollte nicht und der HSV konnte nicht” ehe Thomas Doll mit eine Reihe von Einwechslungen eine Schlußoffensive einleitete. Zuerst brachte Doll mit Sanogo einen dritten Stürmer für den desolaten Trochwoski (64te). 8 Minuten später kam Guerrero für den völlig ineffektiven Berisha. Die langen Schläge des HSVs fanden nun endlich Abnehmer, Sanogo gewann vorne zahlreiche Zweikämpfe (67%). Doch dann schlug die Seuche beim HSV wieder zu: langer Schlag in den Strafraum, Guerrero rennt hinterher, Torwart Schäfer rennt raus und in Guerrero rein. Guerrero blieb liegen, von Schäfers Knie in der Rippengegend getroffen, und musste ausgewechselt werden. Doll blieb bei drei Stürmern und brachte Benny Lauth. Die Kneipe schüttelte sich vor Lachen. Frankie, der Wirt, gab ein “Benny-Bier” aus. Aber Lauth hatte immerhin zwei gute Aktionen. Mathijsen ebenfalls mit einer guten Chance.
Mit sehr viel Wohlwollen kann man sagen, dass der HSV aufgrund seines Mutes für die Schlußoffensive und den 3-4 Torchancen in den letzten Minuten, vielleicht drei Punkte verdient hätte. Aber so falsch ist die Punkteteilung für die 90 Minuten nicht gewesen. Der HSV hat mit seiner Rumpftruppe so gespielt, wie man nunmal mit dem dritten Anzug spielt.
Der Atouba
Wenn die Fernsehbilder repräsentativ waren (mancher Regisseur ist da etwas eigenwillig), suchten die HSV-Fans die große Atouba-Versöhnung. Auf zahlreichen Transparenten wurde Atouba gefeiert. Die HSV-Führung scheint die Atouba- und Rassismus-Geschichte bewusst auf kleiner Flamme zu kochen. Einerseits wird Atouba nicht sonderlich abgestraft, andererseits die Ausfälle vom Publikum zum Einzelfall deklariert. Wer aber am Mittwoch den Nicht-Torjubel von Sanogo beim 3:2 gesehen hat, als jener schroff alle Gratulanten von sich wies, ahnt, das Atouba nicht der einzige Spieler ist, der sich auf Kollisionskurs mit dem Publikum befindet.
Der Schmidt-Volker
Das was der HSV-Amateur auf der rechten Seite ablieferte, war zwar erdig, aber beherzt und beste Zweikampfbilanz aller Akteure auf dem Platz (81%!). Einer der “Grasfresser” die Mannschaften auch brauchen. Schmidt gab später auf ARENA auch ein bemerkenswert feuriges Interview pro Thomas Doll ab.
Der große Martin
Kommentator auf der Einzeloption bei ARENA war Martin Groß. Groß ist nüchtern. Groß ist präzise. Groß spricht nur, wenn er was zu sagen hat und Groß hat ein Auge für nicht unbedingt offensichtliche Details. Ich mag ihn.
Die Liga
6:2 für Werder Bremen in Frankfurt. Das ist brutal. 45 Tore nach 16 Spieltagen. Fast drei Tore pro Spiel. Mehr als dreimal soviel wie der HSV. Stuttgart bleibt die Mannschaft mit dem größten Momentum (sozusagen der “HSV der Saison 2006/07”) ohne aber wirklich den Gegner in grund und Boden spielen zu können.
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