Bundesliga-Samstag 05: HSV – Werder

Die beiden Hanseaten trennen sich 1:1-Unentschieden in einer mittelmäßigen Partie. Gemessen am Potential beider Mannschaften, war da sehr wenig Spielwitz auf sehr langen 90 Minuten gestreckt.

Werder trat ohne den angeschlagenen Klose und den noch nicht vollfitten Per Merthesacker an. Stattdessen gab es den zweiten Werder-Sturm mit Almeida und Zidan.

Beim HSV kann Atouba immer noch nicht spielen, aber es debüttierte Juan Pablo Sorin. Aus dieser Gemengenlage ergab sich eine unveränderte Viererkette Mahdavikia, Reinhardt, Kompany und Mathijsen. Sorin spielte für den in der Vorwoche unterirdischen Wicky links in der Mittelfeld-Raute.

Dafür das es Sorins erster Einsatz war und Sorin mit seiner Verletzung nicht voll trainieren konnte, war das ein edles Debüt. Sorin machte keine Faxen, sondern lotete aus, was er auf seiner Position machen konnte. Versuchte er in der Halbzeit noch mit Mathijsen ein Tandem aufzuziehen, gab es in der zweiten Halbzeit fröhliches Rochieren mit Trochowski. Dabei tauchte Sorin sehr häufig als quasi dritte Sturmspitze an der linken Strafraumgrenze auf und wartete auf Zuspiele. Ich hatte nicht erwartet, das Sorin die 90 Minuten durchspielen würde, denn schon nach 40 Minuten pumpte er wie ein kleiner Maikäfer. Kleine Schlüsselszene die das Selbstverständnis von Sorin zeigte: zu Beginn der zweiten Halbzeit kam er mit Trochowski aufs Feld, unterhielt sich mit ihm (kann Sorin englisch?), gestikulierte mit den Händen um Spielzüge abzustimmen und gab einen sehr freundlichen, anerkennenden Klaps auf die Schulter. Aus dem Lehrbuch wie jemand versucht, seine Erfahrung einzubringen und sich mit seiner Autorität zu etablieren: auf die Mitspieler zugehen, gespräch suchen, Anerkennung verteilen.

Die Partie blubberte vor sich hin. Erst gegen Ende der ersten Halbzeit gab es erhöhte Sauerstoffzufuhr durch den HSV, der mehr und mehr Oberhand im Mittelfeld bekam, mehr Zweikämpfe gewann und sich eine Serie von Torchancen erarbeitete. Werders Spielaufbau kollabierte dank kompakt stehender Hamburger.

Die zweite Halbzeit begann wieder lauwarm, mit dezenter Überlegenheit des HSVs als aus heiterem Himmel die Bremer Führung kam. Der Ball ging rechts raus zu Fritz, der Mathijsen vernaschte, nach Innen reinzog und Mathijsen, Sorin und Kompany auf sich zog, einen wohltemperierten Flachpass auf den halbrechts in die Lücke hineinstoßenden Borowski schob, der dann völlig freie Bahn hatte, um 2-3 Schritte zu gehen und saftig diagonal abzuziehen, bevor Reinhardt den Schuß hätte abgrätschen können. So kann das gehen: 58 Minuten lang Spielintelligenz gespart und dann mit einem einzigen Geistesblitz ausgegeben.

Der HSV wie gelähmt, ließ sich nun Initiative und Mittelfeld von Werder abknöpfen und kam kaum noch aus der eigenen Hälfte.

Heiterer Himmel Teil 2, wir reden hier immerhin über Herbstsonne und 23 Grad. Ecke HSV. Trochowski wurde kurz zuvor ausgewechselt (gg. Guerrero), nun führte Mahdevikia die Ecke aus, eine Front von drei HSV-Spielern, Reinhardt, Mathijsen und Kompany, rannte kompakt in den 5m-Raum rein. Interessierte Beobachter war die Werder-Innenverteidigung. Mathijsen stand zu weit hinten, Kompany sprang 30cm zu kurz, aber der Ball kam ideal auf Reinhardt, der zum Ausgleich einköpfen konnte (68te Min.), während neben ihm Pasanen wie angewurzelt am Boden kleben blieb.

Nun war es am HSV einige Pfund mehr in die Waagschale zu werfen, doch der Elan währte nur 6 Minuten, als Flying Mahdevikia derart in Diego reinrauschte, dass er mit der roten Karte von Schiri Stark noch gut bedient war: aus vollem Tempo reingegrätscht, den Fuß in Kniehöhe. Wenn Mahdevikia voll getroffen hätte, hätten die Ordner Diegos Knie von irgendeiner Werbebande abkratzen können.

Damit war das Spiel eigentlich auch schon ziemlich tot. Beide Mannschaften kriegen es nicht gebacken, der Partie irgendwelche spielerischen Impulse zu geben. Im besten Fall wird alles was sich auf das Tor zubewegt, herzhaft abgegrätscht und die Null gehalten, während vorne der Ball irgendwie ins Tor reingewürgt wird. Im europäischen Vergleich fällt auf, das deutsche Spitzenmannschaften offensichtlich nicht in der Lage sind, Spiele auch mal mit nur 70% für sich zu entscheiden.

Wenn alle Stricke reißen, gibt es immer ein probates Mittel: Standard-Situationen.

Die waren beim HSV rar gesät, aber relativ gut ausgeführt. Trochowski verstand es anfangs Freistöße scharf und gefährlich vors Tor zu bringen, aber mangels Variationen lösten seine Kicks nach einer Halbzeit Gähnen bei den grünen Jungs von der Weser aus, ehe Mahdevikia mehr Pep reinbrachte. Es mag daher kein Zufall sein, dass just der erste Nicht-Trochowski-Standard zum Ausgleich führte.

Wesentlich schwächer waren die Standards von Werder, die sich als Kirschstein-spezifischen Gag haben einfallen lassen, einfach mal mit 8 Mann in den Fünfer reinzulaufen, in der Hoffnung das Kirschstein irgendwo hängenbleibt und jemandem der Ball an den Kopf springt. Das hatte man beim HSV dann nach der zweiten Ecke auch schon begriffen.

Ein Wort zu Schiedsrichter Stark. Nein, nicht die rote Karte, die völlig berechtigt war. Aber ich bekomme hektische Flecken wenn ich sehe, das Stark förmlich jede Bewegung im Strafraum als Stürmerfoul abpfeifft. Stürmer mit Mundgeruch? Freistoß für den Torwart. Reinhardt an den Schultern nach unten gedrückt? Freistoß Werder. Was Stark im Strafraum alles abpfeifft, ist Kindergeburtstag, vorallem wenn er nicht mit der gleichen Elle auch Abwehrfouls pfeifft.

Mahdevikia ist mit Rot für schätzungsweise 4 bis 6 Wochen draußen (die dritte Rote Karte des HSV in dieser Saison!). Wann ist Demels Sperre abgelaufen? Wenn es nicht nächste Woche ist, droht in Frankfurt Klingbeil. Oder Atouba wird wundergeheilt und die komplette Abwehr rückt um eine Position nach rechts.

Noch ein Wort zu den HSV-Wichsern, formerly known as “Fans”. Nicht in der Allgemeinheit, aber die Fraktion der Feuerzeug- und Flaschenwerfer in der Nordkurve, hinterm Wiese-Tor. Der HSV sollte sich vielleicht überlegen in solchen Fällen Fangnetze hochzuziehen. Ein entsprechender Mechanismus sollte ja eigentlich dank der Football-Spiele vorhanden sein und die Nordkurve kann sich ja mal überlegen, ob sie mit Sichtbehinderung leben will oder die Werfer aussortiert. und wer einen nervösen Wurfarm bekommt, weil er sich von Wiese irgendwie provoziert fühlt, sollte sich vielleicht mal mit einem Psychologen sprechen.

Sonst so

Keine Ahnung, habe mich eigentlich nur auf das eine Spiel konzentriert. Scheint aber sonst auch nicht doll gewesen zu sein. Sechs Spiele, zwei Siege, viermal 1:1. Die beiden Spitzenreiter hatten am 5ten Spieltag der letzten Saison 15 und 13 Punkte auf ihrem Konto. Diese Saison haben Bayern und Schalke 10 Stück (Nürnberg kann auf 11 kommen). Es sieht wie Mittelmäßigkeit aus, es riecht wie Mittelmäßigkeit, ich glaube, es ist Mittelmaß.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Es sieht wie Mittelmäßigkeit aus, es riecht wie Mittelmäßigkeit, ich glaube, es ist Mittelmaß.

    Ist es das nicht schon seit Jahren ?

  3. An sich schon, aber in den vergangenen Jahren war wenigstens eine Elite in der deutschen Balltretzunft zu erkennen, sozusagen die Einfüßigen unter den Lahmen, aber selbst das ist jetzt scheinbar hinfällig.

    Durchschnitt allerorten und ich bezweifle mal, ohne seit dem ersten Spieltag auch nur ein Spiel oder mehr als ein paar Minuten Zusammenfassungen gesehen zu haben (mutig, ich weiss ;-) ), dass sich die Nürnbergs und Gladbachs oder Berlins dem Niveau der Bayern und Werderaner angeglichen haben.

    Naja, so lange die zweite Liga noch schlechter ist, kann man ja den Menschen vor der Flimmerkiste auch das neue Einheitsniveau als Premiumprodukt verkaufen.

  4. Wer vorher auf PREMIERE Liverpool – Tottenham gesehen hat und danach auf die ARENA Konferenz umgeschaltet hat (so wie ich), der hat brutalst den Qualitätsunterschied erleben dürfen.

    Premier League:

    Zug, Action, technische Stärke, taktisch hochklassig, konstanter Spielfluss.

    Bundesliga:

    Schaun mer mal, Bälle springen zehn Meter vom Fuß, defensiv oftmals katastrophal, ohne Spielwitz, kaum eine Mannschaft weist eine Ordnung im Spielsystem auf.

    Ich musste oft schreien, so weh tat das, was ich in der “deutschen Eliteklasse” (alles relativ) sehen musste.

  5. @dogfood der “Netzmechanismus” existiert in der AOL Arena nicht, da es weder in der GFL, noch in der NFLE üblich ist sowas einzusetzen.

  6. In der Sportschau haben Sie etwas von “trotz Fangnetzen” erzählt.

  7. @Reality: Gerade läuft Everton-Ncastle und das Tempo dort habe ich in der BuLi lange nicht mehr gesehen. Zudem hast du recht, dass technische Fehler mir in der BuLi irgendwie häufiger auffallen. Zufall?

  8. Nein, kein Zufall.

    Technisch bessere Spieler können auch schneller spielen. Wenn hier z.B. Cottbus (Energie-Fans bitte sich nicht auf den Schlips getreten fühlen) den Stil von Arsenal auffahren würde, das Spiel würde mit 150 Einwürfen für den Gegner enden.

    Außerdem ist in der Premier League Vorschrift, dass der Rasen vor dem Spiel gewässert werden muss – was ihn schneller macht. In Deutschland obliegt diese Entscheidung dem Heimverein – technisch beschränkte Teams machen das natürlich nicht und lassen den Rasen auch gerne mal ein wenig länger wachsen.

    Die kleinliche Spielleitung der Schiedsrichter tut dann ihr übriges, dass in der Bundesliga kaum Spielfluss aufkommt.

  9. Mal abgesehen von dem grenzdebilen Koksbarden “Lotto King Karl”, der sich in der Hamburger Arena als Stadionsprecher gerieren darf: Der hatte die Fans süffisant gebeten, die Getränkeversorgung für Wiese einzustellen. Zitat aus der TAZ

    Unglaublich