Ab durch die Mitte: Zsolt Erdei siegt gegen Thomas Ulrich
Gestern abend gab es einen klaren Sieg von Zsolt Erdei gegen Stallkollegen Thomas Ulrich. Für Erdei sprachen 3:0-Richterstimmen (120:108, 118:110 und 116:112) und eine zu Brei gehauene linke Gesichtshälfte von Ulrich.
Der Kampf war gutklassig, aber “höhepunktlos” in dem Sinn, dass von der ersten bis zur zwölften Runde derselbe Stiefel heruntergeboxt wurde, keine Tempoveränderungen zu sehen war und, abgesehen von der Schlußminute, auch keine Verzweifelungsaktionen von Ulrich zu sehen waren.
Erdei hatte Ulrich sicher im Griff und schnell zeichnete sich ab, das Ulrich eigentlich nur per Schlagkraft, per Knockout würde gewinnen wollen und immerhin besaß er auch noch in der 12ten Runde genügend Druck in den Fäusten, dass sich Erdei nicht völlig sicher sein konnte.
Erdei boxte schon fast stupide und weil seine Hände *immer* durchkamen, gab es auch keinen Grund irgendwas anderes zu versuchen. Sein Jab kam *immer* wieder durch die Deckung durch (Mensch Ulrich, warum hast du die Arme nicht zusammenbekommen) oder als Konter per rechte Gerade aufs linke Auge.
Über zwölf Runden lang erwies sich Ulrich als machtlos diese zwei Waffen von Erdei aus dem Verkehr zu ziehen. Es ging nicht und Torsten Schmitz konnte auf Ulrich einreden ohne dass sich irgendwas änderte. Nach vorne traf Ulrich nur die Deckung von Erdei. Es gab allenfalls 2 Treffer die etwas Eindruck bei Erdei hinterließen. Von daher ist auch die 120:108-Wertung okay gewesen, auch wenn ich Ulrich zumindest die 12te gegeben hätte.
Erdei beeindruckte weniger durch das was er alles auspackt – er brauchte gegen Ulrich nix auszupacken – sondern wie kontrolliert er dass Ding 12 Runden lang nach Hause brachte. Kondition war okay, selbst in der 12ten Runde atmete er noch durch die Nase, boxte konzentriert und bewusst. Ob das wirklich nur der neue Ernährungsberater war… Per Schlagkraft ist Erdei kein Knockouter, aber steter Schlag verformt das Gesicht und das musste man auch erst mal hinkriegen.
Beide Boxer hatten sich nach dem Kampf ganz furchtbar lieb, es hätte nicht viel gefehlt und Ulrich hätte Erdei vor laufenden Kameras eine Packung “Mon Cheri” geschenkt und Erdei hätte sich für den fehlenden Blumenstrauß an die Frau Mama entschuldigt.
Nein, Erdei ist vom Putzigkeitsfaktor nicht unähnlich Abraham und kann man gut anschauen.
Ulrich, so nett er ist, aber boxerisch scheint er ausgereizt zu sein und seine Zukunft allenfalls noch im Tingeltangel als namhafter Aufbaugegner für Talente deutscher Boxställe zu bestehen.
Von Alexander Dimitrenko, großem angeblichen Schwergewichtstalent, gab es in einem eher unterirdischem Kampf gegen Chad van Sickle nicht zu sehen. Van Sickle wurde in der zweiten Runde per TKO aus dem Verkehr gezogen, wobei die Aktionen die zum TKO führten, von einem unabsichtlichen (und nicht geahndeten) Kopfstoß von Dimitrenko eingeleitet wurden.
Dimitrenko sah bei den Schlägen okay aus, wirkte aber merkwürdig ungelenk sobald er in der Rückwärtsbewegung, in der Defensive oder im Clinch war.
Sinan Samil Sam zeigte sich, den kurzen Ausschnitten nach zu urteilen, unaustrainiert und wieder von seiner pomadigen Seite und kam mit den extrem unbequemen Saul Montana nicht zurecht, proftierte von einem gutmütigen Ringrichter, der dieverse Hinterkopf- und Tiefschläge nicht gab.
Wie Dimitrenko aus der Schublade “angesagtes Talent” kommt Gregory Drozd im Cruisergewicht. Er gewann in der dritten Runde gegen Mauro Ordiales per TKO. Für meinen Geschmack kam der Abbruch zu früh, da Ordiales noch stand und alle Sinne beisammen war, “nur” verteidigungslos war, weil er an den Seilen Drozd den Rücken zugewandt hatte (wobei ich nicht weiß ob nach den WBC-Regeln Stehend-anzählen erlaubt ist).
Vitali Tajbert bot einen sehr lebhaften 4-Runden-Kampf gegen Avadja und dürfte demnächst etwas prominenter bei den UBP-Kämpfen zur Geltung kommen. Mal sehen wie lange er noch ohne Verteidigung über die Runden kommt.
Telly
Günter-Peter Ploog kommentierte knapp sechs Runden wieder am Kampf vorbei, ehe auch er merkte, dass der Kampf nicht eng, sondern für Ulrich schon verloren war. So langsam schwenkte er dann auf den Erdei-Bandwaggon ein.
Das ZDF sollte wirklich mal Volker Grube einen Hauptkampf geben. Seine Sprachmelodie gehört nicht zu den dramatischsten auf dieser Welt, aber der Mann kommentiert in den Aufzeichnungen sehr, sehr präzise.
Es gab auch witzige Interviews mit Sdunek und Michael Timm über die Comeback-Versuche von Maske und Schulz. Timm bot Maske an, doch auch mal bei ihm Revanche für eine als Amateur gegen Timm erlittene Niederlage zu nehmen (Michael Timm kommt in Sachen Schlitzohrigkeit und Witzigkeit immer mehr an Großmeister Sdunek ran).
Apropos “Gebt Nachwuchs eine Chance”: Rene Hiepen weilte wohl im Urlaub und dafür durfte Eiskunstlaufexperte Rudi Cerne als Moderator ran. Ich fand es bezeichnend, wie Cerne auf so einer Sportveranstaltung plötzlich auch einen auf Jahrmarktschreier machte und versuchte in der Halle ein bißchen Atmo zu machen (“ULRICH-FANSSSS?????”).
Ich bleibe dabei: IHR seid Journalisten. IHR habt euch nicht in den Ablauf der Veranstaltung einzumischen oder irgendwie mit der Sache von Universum Boxpromotion gemein zu machen! Es ist Sport, ihr habt zu kommentieren, zu analysieren und zu interviewen. Promotion für ein Sportunternehmen ist euer Ding nicht!
Es war so wie ich es am Freitag geschrieben habe: es zerreißt einen förmlich, wenn ZDF-Chefredakteur Nikolaus gegenüber der Tour plötzlich einen auf dicken Max macht und das ZDF dann gleich in die nächste distanzlose Sportberichterstattung rauscht!
Die (in Ermangelung eines besseren Begriffes) “moralischen” Selbstreinigungskräfte der Öffentlichen-Rechtlichen scheinen beim Boxen nicht greifen zu wollen. Man muss dem deutschen Profiboxen eigentlich schon fast einen Massendopingskandal wünschen, damit ARD und ZDF sich wieder auf journalistisch korrekter Distanz begeben.
Reaktionen
Ich fand den Kampf so laaaaangweilig. Da wird jeder Maske Kampf interessanter. Ulrich fand überhaupt nicht statt und Stimmung war auch gleich Null.
“Die (in Ermangelung eines besseren Begriffes) “moralischen†Selbstreinigungskräfte der Öffentlichen-Rechtlichen scheinen beim Boxen nicht greifen zu wollen.”
@dogfood: Du hast ja so recht. Diese internen Stallkämpfe wirken jetzt noch mehr wie WWF als alles vorher. Kohl degeneriert zum Don King. Und die ZDF-Berichterestattung klingt, als wenn Thomas Gottschalk eine Sondersendung über Gummibärchen moderieren würde. Oder als wenn die Aktuelle Kamera über die Olympischen Sommerspiele in Moskau berichtet hätte.
Diese seltsamen Boxställe überhaupt mit der WWF zu vergleichen ist schon eine Beleidigung für die WWF.
WWF? Heißt das nicht mittlerweile anders?
Vergleichen würd ich da auch nich … das eine sind Sportler, das andere sind sowas wie … Künstler, Artisten, Schauspieler, Entertainer …
Die Ansetzung ist nicht verkehrt. Sie trägt sicher eher zum Bekanntheitsgrad von Erdei in Deutschland bei, als wenn er noch 5mal knapp gegen Garay gewinnen würde.
Und Ulrich? Och naja … n deutscher Weltmeister hätte Kohl sicher auch nicht schlecht gefallen und so leicht hätte Ulrich sonst auch keine WM-Chance bekommen.
Is halt ne Win-Win-Situation … wo ist das Problem?
Nuja, der Kampf war eigentlich so wie erwartet. Erdei schneller als Ulrich, Ulrich offener als Erdei. Hätte nur nicht gedacht, dass Erdei mehr mit dem Jab als mit der Rechten punktet … da wurd doch deutlich, dass er ein besseres Distanzgefühl hat als Ulrich.
Das Punkturteil geht ok. Wenn man nett zu Ulrich sein will, dann kann man ihm 4 Runden zudichten (die ein oder andere war knapper, als die meisten), aber ein 120-108 für Erdei is auch nich verkehrt.
Würd mich freuen, wenn es tatsächlich zum zeitweise schon geplanten Kampf Erdei gegen Tiozzo kommen würde … Erdei könnte dann doppelter Tiger-Bezwinger-Bezwinger werden ;)
P.S.: Volker Grube anstelle von Ploog bei nem Hauptkampf würde mir gefallen. Rudi Cerne seinerseits hat sein Ding auch nicht besser gemacht als Hiepen…