Tour de France, der Ernstfall

“Rechtzeitig” vor der Tour de France schaltet der in Spanien untersuchte Dopingskandal inzwischen im Stundenabstand einen Ritzel höher und die Tour de France 2006 könnte schnell an die “Skandaltour” von 1998 erinnern, als der Fall Festina aufgedeckt wurde. Knapp 36 Stunden vor Beginn der Tour, kann noch nicht gesagt werden, welche Fahrer an den Start gehen.

Das die Entwicklungen der letzten Stunden:

Gegen 18h des heutigen Tages sickerte aus Genf durch, dass der Internationale Sportgerichtshof im Sinne des umstrittenen Teams Astana-Würth entscheidet. Damit darf das Team vorerst an der Tour teilnehmen und darf die Bitte um Ausladung durch die Tour-Organisatoren ignorieren. Ausschlaggebend für die Entscheidung des Sportgerichtshof, war der Mangel an Beweisen. Die Tour-Organisatoren ASO konnten nicht nachweisen, inwiefern das Team Astana-Würth den Ruf des Radsports und der Tour schädigen. Es hatte hinsichtlich der Untersuchung in Spanien (“Operation Puerto“) noch keinerlei offzielles Statement der spanischen Behörden gegeben.

Damit vorerst grünes Licht für den Start des Mitfavoriten Alexander Vinokourov. Jörg Jaksche aus dem gleichen Team musste aber inzwischen wegen einer Magen-Darm-Grippe seine Teilnahme absagen.

Noch problematischer die Teilnahme von Joseba Beloki aus dem Team.

Joseba Beloki ist einer von 58 Fahrern (andere Medien sprechen von zwölf) die auf einer Liste des spanischen Untersuchungsrichters Antonio Serrano stehen und heute abend angeblich veröffentlicht wurden (andere Quellen sagen, dass die Liste erst in den nächsten Tagen veröffentlicht werden soll). Unterschiedlichen Medien wie z.B. der spanische Öffentlich-rechtliche Radiosender Cadena Ser oder die holländische Zeitung De Telegraaf tragen die Namen zusammen. Auf der Liste stehen die ganz großen Namen des aktuellen Radsports:
Jan Ullrich, Basso, Mancebo, Beloki, Heras, Gutierrez, Botero, Hamilton, Menchov, Lombardi, Perez, Sevilla, Edo, Jaksche und Flecha.

Wie ernst die Angelegenheit ist, kann man daran erkennen, dass die Rhetorik aus dem Radsport diesmal eine andere als sonst gewohnt ist. Bislang wurde vertuscht oder die Sachen klein gehalten, heruntergespielt oder ausgesessen. Paradebeispiel Jan Ullrich, der noch gestern verlautbarte, dass er zu einem DNA-Test bereit wäre, aber bitte schön erst nach der Tour.

Inzwischen werden andere Worte gesprochen. Erik Zabel sprach in einem Feature der ARD am Mittwoch abend von einem: “Flächenbrand, der nicht mehr zu löschen ist“.

Jens Voigt, Teamkollege von Basso sprach heute vor Bekanntwerden der Liste (und der Verwicklung von Basso) laut den Agenturen: “Zieht sie raus und werft sie auf den Scheiterhaufen. Anscheinend ist das eine größere Geschichte als der Festina-Skandal von 1998. Ich hätte nicht geglaubt, dass so eine große Sache jahrelang illegal funktioniert. Da kann was Schlimmes auf uns zukommen.

Phonak legte Botero und Gutierrez bereist vor drei Wochen auf Eis bis die Vorwürfe geklärt sind. T-Mobile will sich nicht festlegen: “Wir müssen jetzt beraten, wie wir weiter vorgehen.

AG2R distanziert sich vorsichtig von seinem Mannschaftskapitän Mancebo und erklärte dass man zu einem Herauswurf bereit sei, wenn sich der Vorwurf verdichte. Hintergrund: der Ethikcode, der von allen ProTour-Mannschaften unterzeichnet wurde, wird von einigen Teamchefs so interpretiert, dass die Teams alle Fahrer gegen die aktuell ermittelt wird, suspendieren müssen.

Doping gibt es schon lange. Aber derartigen Pessimismus hat man im Pelonton seit acht Jahren nicht mehr gehört.

Der Kontakt zwischen dem französischen und spanischen Sportministerium ist vorhanden. Wer weiß, ob diese Liste kurzfristig doch noch in Frankreich aufschlägt… Wer weiß was bei der Zielankunft der 11ten Etappe in Spanien passiert…

(Wegen der Wochenendausgabe von Screensport, Fußball und Kundenterminen, muss ich einen geplanten Eintrag zu diversen Tour-Sonderheften leider auf Samstag verschieben)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Irgendwie schade das erneut der Sport nicht im Mittelpunkt stehen wird. Ich glaube auch das es diesmal schlimmer wird als 1998. Das “Vertrauen” – wenn man es denn je hatte – wird immer mehr erstört. Aber ich muss ehrlich sagen das ich bei keinem (!) Radfahrer meien hand ins feuer legen würde.

  3. Das Feature gestern auf der ARD war schon recht heftig. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass im Radsport scheinbar aus gar nichts gelernt wurde und wird, und dass die Dopingermittlter immer nur die Spitze des Eisbergs erwischen. Es wirkt alles ziemlich “fassadig”…

  4. schade und dass, jetz an die tür von die Tour de France 2006 .

  5. Mal ganz ehrlich: Wie kann man denn die Anstrengungen die eine TdF abverlangt OHNE Dope überstehen? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen dass IRGENJEMAND aus dem Teilnehmerfeld sauber ist.
    Wenn man überlegt mit welcher Phantasie die Radsportler an das Thema Doping rangehen (Eigenblut, Fremdurin, EPO, HMZ, Koks usw…) kann man schon eine gewissen Vorreiterrolle ausmachen im Spitzensport ausmachen.
    Und irgendwann geht es einem doch auf den Keks, nur weil verschiedene Mittel noch nicht zweifelsfrei nachzuweisen sind, zu behaupten: “Nein, nein, ich hab nur Asthma”. Komisch dass so ziemlich jeder Spitzenfahrer unter dieser Krankheit leidet.

    – Armstrong: Hodenkrebs gehabt, Chemo überstanden (zum Glück, nicht dass wir uns falsch verstehen), danach ein jahr trainiert und die Tour gewonnen! Hmm, ich weiß nicht. Dann wird seine A-Probe 2001 postiv getestet, die B-Probe ist aber natürlich unbrauchbar.(vgl. L`Equipe).

    – Tour 1998 (Festina, Willy Voet, Streik, usw). Pantani gewinnt, wird aber später vom Giro ausgeschloßen, weil postiv getestet und stirbt 2004 ziemlich undurchsichtig.

    – die gesamte Historie seit den ersten Dopingkontrollen: Tom Simpson stirbt nach Amphetamineinnahme 1967 (!), Eddy Mercks gibt laut und deutlich zu dass gedopt wurde/wird. Laurent Fignon ebenso. Bjarne Riis redet auch immer nur um den Brei, ein eindeutiges “Nein” gibt es von ihm nicht und der Mann betreut nun ein Team!

    Vielleicht sollte man sich damit abfinden dass solche Extremleistungen wie sie bei der TdF abverlangt werden einfach zuviel für einen “normalen” menschlichen Organismus sind und daher zu leistungssteigernden Präparaten gegriffen wird. Vielleicht sollte die UCI ihre Bemühungen im Kampf gegen Doping einstellen und ihre Position überdenken -mehr hin zu WWF als zu Olympia- ich glaub das Spektakel leidet nicht darunter! Wenn der erste mal mit 80 km/h nach L`Alp d`Huez hochdüst sitzen wir ja doch wieder vor dem Fernseher!

    @dogfood: Zabel hat in der ARD-Sendung grad noch so den Konjunktiv untergebracht :-)

  6. Wer 4.000km in drei Wochen in höchstem Tempo mit dem Rad abspult der muss gedopt sein.
    Ich bräuchte schon Doping um das mit dem Auto zu bewältigen.

  7. Ich denke schon, dass eine Tour ohne das, was wir als Doping verstehen, zu bewältigen ist. Vielleicht nicht in diesem Tempo. Allerdings bin ich mir nicht so sicher, ob eine Mehrfachbelastung wie Giro, Tour und Spanienrundfahrt wirklich zu bewältigen wäre. Und wer sowas gewinnen will, muss wahrscheinlich heute dopen.

  8. @lostincrete: Kleine Korrektur: Pantani wurde nie positiv getestet, sondern aus dem Giro 1999 wegen eines zu hohen Hämatokritwertes herausgenommen. Dies soll nicht heißen, dass er nicht gedopt haben könnte – einen Beweis dafür hat es allerdings nie gegeben.

  9. Ich habe die ARD Reportage gestern abend gesehen und fand sie sehr gut gelungen. Was mir auffiel: Irgendwann in der Mitte sagte ein Arzt, dass die Einnahme von Doping bei Radfahrern zu überdurschnittlichen Leistungen führen würde, so dass manche z.B. ohne das Zeugs nie eine Bergankunft erreichen würden. Insgesamt hatte man während der gesamten Sendung den Eindruck, dass Fahrer, die nicht dopen eigentlich chancenlos sind. Ich erinnere hierbei an die “fiktiven Einspieler”, wo der junge Mann ganz verzfeifelt feststellt, dass er ohne Doping nie an die Großen herankommt.
    Und ich hab die ganze Zeit nur ein Bild vor meinen Augen, nähmlich wie Jan Ullrich damals 1997 den vollgedopten Richard Virenque beim Zeitfahren sogar überholt.

  10. Ich finde finde eine Diskussion um die Zulassung von Dopingmitteln falsch, weil es nicht nur um die Gesundheit der Fahrer geht, sondern vor allem um Betrug. Es ist Beschiss! Das ist der allererste Punkt. Es hat was mafiöses, wenn sich in irgendeinem Madrider Appartement Spitzenteams die Klinke in die Hand geben und Blutbeutel austauschen. Das denen durchgehen lassen, da wär der Sport und die Gerechtigkeit am Ende.
    Stattdessen sollte der Radsport mal das ewige Machogehabe sein lassen und umdenken. Die Helden! Sie sind gute Sportler, aber deswegen noch keine Legenden. Erst recht nicht, wenn derjenige gewinnt, der einfach nur nicht erwischt wurde.
    Jens Voigt hat recht. Ich hoffe bloß er sagt das, weil er das denkt und nicht, weil er sicher ist, daß seine Name nicht auf der Liste auftaucht. Sein Teamleiter war nämlich auch schon oft im Gerede.
    Man wird zum Verschwörungstheoretiker und kriegt irgendwann Verfolgungswahn beim Radsport gucken.

  11. Für Wettfreunde könnte sich jetzt eine gute Gelegenheit bieten: Wenn die beiden Topfavoriten Ullrich und Basso raus wären, blieben für die sonstigen Favoriten fantastische Quoten (z.B. bei betandwin):

    Valverde 7,5
    Vinokurow 14
    Landis 15
    Leipheimer 21

    Denke da würde ein Einsatz lohnen. Ich hab jedenfalls gestern auf alle gewettet. So hätte die Geschichte dann vielleicht sogar noch etwas Gutes.

    Zum Doping nur soviel: Ich glaube auch, dass man sowieso immer nur die Spitze des Eisbergs sieht. Nicht umsonst wird steht die Behauptung dass die Radsportler die Versuchsratten des Dopings seien. Der Meinung von iggipop zum Thema Doping kann ich mich nur anschließen.
    Sei es drum – ich blende das aus und berausche mich an den sagenhaften Leistungen und werde trotz alldem wie schon seit Jahrzehnten die Tour in vollen Zügen genießen;-)

  12. Schade schade. Da freut man sich auf die Tour und dann das wieder. Es macht immer spaß zuzuschauen, aber der Radsport ist nun mal leider dreckig. Leider steht auch dort das Geld vor dem Sport :(

    Sollte Jan nicht starten dürfen gibts eben halt ne kleine TV-Pause. Ohne Amstrong, ohne Basso, ohne Ullrich ist die Tour nicht mehr “die” Tour!

  13. Man sollte bei allen Informationen die da gerade auf einen einprasseln ziemlich vorsichtig sein. Zum einen sind es keine offiziellen Informationen sondern stammen alle aus einer angeblich gut informierten Quelle der Zeitung “ElPais”, zum anderen ist dabei auch vieles wiedersprüchlich und eher zu vage konstruiert als das man von wirklichen Beweisen reden könnte. Gestern wurde durch den zuständigen spanischen Untersuchungsrichter das Verfahrensgeheimnis aufgehoben, wohl auch um dem was da gerade in den (insbesondere spanischen) Medien an Wasserglasleserei läuft ein Ende zu machen. Eine der Pareiten die Einsicht in den 500 Seiten dicken Untersuchungsbericht bekommt soll dann wohl (wenn vielleicht auch nur über mehrere Ecken) der Tour-Veranstalter ASO sein.
    Dann wird man sehen a.) wer wirklich beteiligt ist, b.) welcher Natur die Anschuldigungen sind und c.) wie glaubwürdig die Beweislage ist. Die Zuordnung der Beweismittel (Blutbeutel, mysteriöse Codenamen, Visitenkartenrückseiten (!), Viedeos, Telfonate etc.) scheint doch eher schwierig und teilweise äußert spekulativ zu sein. Möglicherweise platzt der ganz große Skandal doch noch wie eine Saifenblase. Die nächsten Tage werden spannend…

  14. (@Jens: nicht böse gemeint, aber kannst du dir evtl. einen anderen Nickname geben “Jens A.” oder so, weil hier bereits häufig ein anderer Jens (der “Pottblogger”) kommentiert)

    Jens, ich sehe die Sache aus zwei Gründen schon ernster:
    zum Einen beruht es nicht nur auf Informationen der “El Pais” (abgesehen davon, dass die El Pais die angesehenste spanische Tageszeitung ist), sondern auch auf der Radio-Station Cadena Ser und der holländischen De Telegraaf.

    Zum Zweiten: wenn man sich die Rhetorik aus Radsportkreisen ansieht, dann ist diese anders als man es gewohnt ist. Daraus schließe ich, dass ein ziemlich großer Schlag bevorsteht. Ein Erik Zabel war einer, der sich bislang viel dezenter gegen Doping ausgesprochen hat. Und so schnell hat man selten Teams sich im Vorfeld von Fahrern distanzieren sehen.

    Die L’Équipe titelt übrigens heute mit “Sturmwarnung”. Die Liste mit den 58 Namen und die Unterlagen werden heute vormittag der UCI, der ASO und dem spanischen Radsportverband direkt übergeben.

    Es gibt verschieden schwere Verstöße. Teilweise sind es Beteiligte an den Bluttransfusionen, teilweise nur ein Auftauchen auf den Überwachungsvideos

  15. Breaking News lt. Lokalradio: U.a. Jan Ulrich vom Team T-Mobile suspendiert!

  16. Danke TS Garp. Ist bestätigt. Wird derzeit von der ARD gemeldet.

    Siehe:
    http://www.allesaussersport.de/archiv/2006/06/30/tour2006-jan-ullrich-suspendiert/

  17. Kein Problem mit dem Nickname! Entschuldige wenn ich dich korrigiere, ich bin über verschiedenste Quellen sehr drin in dem Thema und Ur-Quelle ist fast IMMER “ElPais”. Andere mögen das noch ausschmücken, aber im Grunde läuft es auch das hinaus was El Pais bringt. Die scheinen da eben einen guten Informaten zu haben. Und die Rheorik des Radsports? Nunja, die letzten Wochen waren für alle ziemlich nervenaufreibend und das Drohgebilde am Horizont ist ja in der Tat auch nicht ohne.
    Bei allem stellt sich aber immer noch ein zweites Problem, selbst wenn man Fahrern eine Verbindung zu Fuentes nachweisen kann, welcher Art ist diese? Fuentes ist jetzt ja nicht der berühmte “Kai aus der Kiste”, sondern doch ein durchaus angsehener sparnischer Sportmediziner der auch schon etwas länger im Geschäft ist. Z.B. auch ein guter Kumel von dem berühmten italienischen Armstrong-Arzt dessen Name mir gerade entfallen ist. Man wird gespannt sin dürfen was da kommt.

  18. Uie, jetzt wirds doch hart. Hat man bei T-Mobile neue Informationen oder nur aufgrund von (wie ich ja finde äußerst schwammigen) Zeitungsberichten? Und wo kommt diese P-R Nummer plötzlich her? Das es CSC trifft überrascht aber nicht die Bohne.

  19. Keine Ahnung. Ich hänge gerade in den Streams von Nachrichtensender. Es hat wohl eine eiligst einberufene Pressekonferenz gegeben. Gerade sind die 10h-Nachrichten auf B5 Aktuell…

    …Live-Bericht: es hat ein FAX via ASO aus Spanien gegeben. Dort wurden die Namen Ullrich und Sevilla bestätigt und von schweren Verdachtsmomenten gesprochen.