Zeilensport: Leckt Siegenthaler!

Ich lese sie immer noch am liebsten: Interviews mit dem “DFB-Chefscout”, dem Schweizer Urs Siegenthaler.

Spieler aus Mitteleuropa können nicht tanzen. Das muß man üben. Als ich vor 30 Jahren hier an der Sporthochschule Köln mal eine Trainingseinheit mit Musik machen wollte, da bin ich verspottet und verhöhnt worden. Dabei ist die Rhythmisierungsfähigkeit im Fußball ganz wichtig. […] Es gibt Stürmer, die stehen schon am Pfosten, wenn die Flanke von außen erst unterwegs ist. Da denke ich: Leck mich, der muß doch den Rhythmus des Flankengebers übernehmen!

Die WELT hat in Form von Jens Anker gestern ein schönes, langes Interview mit Urs Siegenthaler geführt

Alles, was Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten ausgemacht hat, die Dynamik und die Fitneß, das haben heute alle Mannschaften. Ich war neulich beim Spitzenspiel in Costa Rica, das an einem Sonntagmittag stattfand. Ich wollte mir das Abschlußtraining ansehen, am Samstag um 7.30 Uhr. Da dachte ich: Schön, erst das Training, dann gehst du frühstücken. Um zehn Uhr haben die immer noch trainiert. Da bin ich gegangen. Das war natürlich kein Training unter ständig hoher Belastung, sondern mit viel Taktik dabei. Aber, verstehen Sie, die anderen liegen nicht auf der faulen Haut.

En passant reißt er auch meinen Glauben von “Systemen” ein:

Ich schaue nicht auf das System. Es gibt eine Grundordnung beim Anpfiff, danach müssen die Spieler entscheiden. Wenn sich eine Mannschaft vor dem Anpfiff in einer Reihe aufstellt, soll ich dann nach Hause gehen und sagen: “Mensch, die spielen ein tolles neues System: 11-0?” Nein. Wichtig ist, daß jeder Spieler weiß, was er zu tun hat. […]

Das 4-4-2 ist die Mutter der Systeme, alles andere sind Varianten davon. Man muß das Grundsystem perfekt beherrschen, um es dann zu vergessen […] Ajax bringt seit vier, fünf oder sechs Generationen immer wieder Weltklassespieler heraus – an der Idee [des 4-3-3] muß also was dran sein. Aber noch einmal: Das ist eine Grundaufstellung, alles andere ergibt sich aus dem Spiel. Dann zieht sich ein Stürmer zurück, schon sind wir beim 4-4-2. Oder die Außenverteidiger rücken vor, dann sind nur noch zwei Mann hinten. Das Gerede von den Zweier-, Dreier- und Viererketten ist Quatsch. Es gibt keine Ketten im Fußball […] Es gibt 4-4-2, alles andere ist variabel.

Interview lesen!
(Gefunden via Indirekter Freistoss)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Der interessanteste Satz ist aber ein sehr unscheinbarer, wie ich finde:

    “Das muss man üben.”

    Es gibt ja in Deutschland die weitverbreitete Ansicht, dass man etwas entweder kann oder eben nicht. Ich unterrichte jetzt seit fast fünf Jahren nebenberuflich Schreiben und mache Kreativtraining und treffe immer noch auf Leute, die mich entgeistert fragen, wie man so etwas lernen kann (ist ja angeblich ein angeborenes Talent, Genie und so)
    Im Fußball sehe ich da ähnliche Vorurteile: Deutsche Spieler können dies nicht, deutsche Spieler können das nicht…
    Ich glaube, deswegen schätze ich Klinsmann so: Der lässt sie es halt üben, wenn sie es nicht können. Mit Viererkette spielen z.B.

    Mit den Systemen ist das so eine Sache. 4-4-2, 4-5-1 oder was auch immer, ist natürlich immer nur eine Startaufstellung. Aber sie definiert auch die Aufgaben, die ein Spieler zu erledigen hat, davon abgesehen interpretieren die Spieler so ein System natürlich immer durch ihre individuellen Fähigkeiten.

  3. Das mit dem “Ueben” ist allerdings auch nicht gerade ein neues Konzept ;-)

    Dafuer scheint man den Wert davon hier drueben sowohl bei einigen Spielern als auch in der Presse erkannt zu haben: Man mag von Beckham halten was man will, ein Punkt der hier von der Presse immer wieder mal erwaehnt wird ist dass er seine Freistoesse usw wirklich endlos geuebt und trainiert hat. Extraschichten im Training geschoben hat und wenn die anderen schon unter der Dusche waren noch Flanken geschlagen hat. Klar, etwas Talent gehoert auch dazu, aber er hat auch hart daran gearbeitet. Aehnliches liest man hier immer wieder mal ueber erfolgreiche Spieler, diesen Willen und die Bereitschaft noch etwas mehr Arbeit reinzustecken um etwas zu lernen oder perfektionieren.

  4. Frag mal nach beim Pensum des besten deutschen Basketballers. Der ist auch nicht nur durch Talent so weit gekommen, sondern weil er sich Jahr für Jahr verbessert. Durch werfen, passen, dribbeln, verteidigen bis zum Exzess. Im Sommer!

  5. Logisch ist “Üben” kein neues Konzept. :-)

    Es wird halt nur viel zu wenig angewandt.

    Zidane ist ähnlich wie Beckham dafür bekannt, Standards und Ballarbeit beständig zu trainieren und es erzähle mir niemand, die Jungs von Barca würden die hohen Bälle mit dem Fuß so gekonnt runterpflücken ohne das trainiert zu haben.

  6. Stefan@ Die Jugendlichen aus den südlichen Ländern spielen auf dem Bolzplatz ganz anders als wir! Bevor die aufs Tor schiessen umspielen sie den Gegenspieler lieber noch 10x. Dadurch wird die Technik trainiert. Das hat schon etwas mit Mentalität zu tun.Ich glaube, dass es nicht mehr lange dauert und wir wieder absolute Weltspitze sind, weil jetzt mehr auf die Jugend gesetzt wird.

  7. @PatsHerrmann: Die Jugendlichen hierzulande spielen auf dem Bolzplatz genauso. Nur wird ihnen das im Verein dann abgewöhnt. Doch selbst in den Amateurligen scheint da langsam ein Umdenken einzusetzen…

  8. Eben dies konnte/kann man diese Woche auf Arte von Zidane persönlich hören, der bei der 5-teilige Doku mit dem Titel “Die Fussball-Akademie” öfters zu Wort kommt. Sein Tenor … üben bis zum Umfallen, wieder aufstehen und weiterüben.

  9. Weil der Trainingsfleiß bzw “Üben, üben, üben” thematisiert wird:

    Nach einem höllisch schlechten Spiel 4 wurde Nowitzki am nächsten Nachmittag in der Video-Session von Coach Avery Johnson zusammengefaltet. Nach der Session ging er gemeinsam mit seinem Freund und “Haustrainer” Gschwindner abends in die Halle um nochmal Extraschichten einzulegen.

    Am darauffolgenden Abend, Spiel 5 (heute nacht gewesen), kehrte Nowitzki aufs Spielfeld und *zerstörte* die Suns im Alleingang mit 50 Punkten und einer Leistung, bei denen bei den US-Medien reihenweise die Kinnlade nach unten geklappt ist.