Wie korrupt ist man in der Serie A?

Erinnert sich noch jemand einen einen Berliner Schiedsrichter namens Hoyzer, Robert? Letzten Frühjahr noch das ganz große Ding im deutschen Fußball, der personifizierte Untergang der längst von chinesischer und kroatischer Wettmafia unterwanderten Bundesliga. Und heute? Kaum der Rede wert. Wenn der Name Hoyzer derzeit erwähnt wird, dann nur im Zusammenhang mit dem anrollenden Korruptionsskandal in Italien.

Man sollte die Hoyzer-Geschichte im Hinterkopf behalten, dass alles was nun durch die Medien gejagt wird, mit 2-3 Monaten Abstand möglicherweise(!) nicht mehr die große Story ist.

Jedenfalls erreicht die Fieberkurve in Italien heute neue Spitzenwerte, mehr Namen und Clubs werden in den Skandal reingezogen.

Die neapolitanische Staatsanwaltschaft hat Untersuchungen wegen möglicher Spielmanipulation und “krimineller Vereinigung” in der letzten Saison (Saison 2004/05) begonnen. Gegen mehr als vierzig Personen wird ermittelt.

Vier Clubs werden konkret im Zusammenhang mit dem Skandal genannt: Juventus, AC Milan, Lazio und Fiorentina. Auch gegen den italienischen WM-Schiedsrichter Massimo De Santis (sowie vier weitere Refs) und ehemaligen Verbandspräsidenten Carraro soll ermittelt werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen verschobener Spiele zugunsten von Juventus. Konkret sind lt. italienischer Presse dabei 19 Spiele aus der Serie A und eine Partie in der Serie B in Verdacht. Anderen Medienberichten nach sollen 29 von 38 Juve-Spielen der Saison nicht koscher gewesen sein.. U.a. sollen Schiedsrichter bewusst Spieler verwarnt und so mit Gelbsperren belegt haben, bevor diese in der Folgewoche gegen Juventus angetreten wären.

In mitgeschnittenen Telefongesprächen von 2004 soll der Sportdirektor von Juventus, Luciano Moggi mit Verbandsoffiziellen den Einsatz von bestimmten Schiedsrichtern abgesprochen haben. Infolge dessen ist auch der italienische Repräsentant bei der UEFA, der Juve mit vertraulichen Infos über Schiri-Ansetzungen versorgte, suspendiert worden. Im November 2004 soll Maggio nach einer Niederlage gegen Reggina die Schiedsrichter in einen Raum eingesperrt haben. In anderen Telefonaten hat Moggi den Spielern Cannavaro (Inter) und Ibrahimovic (Ajax) Tipps gegeben, wie sie in ihren Clubs für Stress sorgen können, um dann einen Wechsel zu Juve zu vereinfachen. In Telefonaten mit Ibrahimovic wurde ihm ausdrücklich gesagt, dass er bei den nächsten Ajax-Spielen schlecht spielen soll um danach dem Ajax-Management einen Wechsel zu Juve vorzuschlagen.

Ebenfalls Ziel der Ermittlungen ist die Spielervermittlungsagentur GEA World von Allesandro Moggi. Allesandro Moggi ist Sohn von Luciano Moggi. Luciano Moggi soll angeblich Nationaltrainer Marcello Lippi gezwungen haben, Spieler der Agentur vom Sohn in der Nationalelf einzusetzen. So eine Geschichte mag man angesichts des Images von Lippi gar nicht glauben.

Auf den Nebenschauplätzen werden einigen Spielern von Juventus und Parma illegale Fußballwetten oder Wettbetrug vorgeworfen. Nationaltorwart Gianluigi Buffon, sowie drei Ex-Juve-Spieler sollen hohe Summen von bis zu 600.000 EUR auf bestimmte Spiele gesetzt haben. Es drohen bis zu drei Jahre Sperre.

Der FIAT-Familieclan der Agnellis, Mehrheitsaktionär bei Juventus, will tabula rasa machen und nach dem Skandal den Verein von Kopf bis Fuß umkrempeln. Coach Fabio Capello soll kurz vor einem Wechsel zu Inter stehen.

Viel ist die Rede von einem möglichen Zwangsabstieg von Juventus, bei erwiesener Spielmanipulation. Das klingt nicht besonders wahrscheinlich, aber einen derartigen Zwwangsabstieg hat es in Italien bereits 1980 gegen den AC und Lazio wegen unerlaubter Wettgeschäfte gegeben.

So stellt sich die Lage derzeit da. Der Skandal wird in den nächsten Tagen noch hochtouriger gefahren werden. Aber ob es die wirklich große, umwälzende Geschichte ist, die nicht nur zu einigen Rücktritten, sondern auch zu einem Zwangsabstieg oder sonstigen härteren Bestrafung führt? Zu früh um es beurteilen zu können. Die Parallele zur politischen Landschaft, die in Italien ebenfalls von einigen wenigen Strippenziehern beherrscht wird, liegt nahe.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich weiß nicht, ob man das mit der Hoyzer-Geschichte vergleichen kann, das verhamlost die Sache doch arg. Es ist die Rede von einer kompletten verschobenen Meisterschaft. Was vergleichbares hat es in einer großen europäischen Liga noch nicht gegeben. (Obwohl in Spanien teilweise auch recht merkwürdig gepfiffen wird. Die Elfer, die Barca manchmal so bekommt, versteht auch nicht jeder.) Moggi soll ja sogar die Einsätze der Schiedsrichter kontrolliert haben.
    Aber dass Juve häufiger Spiele durch merkwürdige Entscheidungen gewonnen hat, gehört ja schon länger zur Folklore in Italien. (Birgit Schönau, die das sehr witzige und informative “Calcio” geschrieben hat, schreibt dann auch heute in der Süddeutschen, zum Skandal “fehlt, mit Verlaub, der Überraschungseffekt.”)

  3. Das mit dem fehlenden Überraschungseffekt würde ich auch so unterschreiben wollen. Allerdings würde es mich auch nicht überraschen, wenn die Hoyzer-Angelegenheit in Deutschland nur die Spitze des Eisberges gewesen wäre. Vielleicht sind die Schieber hier einfach nur schlauer?

  4. @Melkus: das was sich abzeichnet, ist in der Tat eine Dimension größer als der Hoyzer-Skandal. Die Frage ist nur was am Ende übrig bleibt. Phasenweise war es auch beim Hoyzer-Skandal so, dass die 1te und 2te Liga mit reingezogen wurde. Erinnert sein an die Schiedsrichter Jansen und Gräfe oder die Beschuldigungen die immer mal wieder gegen Nürnberger Spieler oder gegen Oberhausen erhoben wurden. Da wurde vieles aufgewirbelt, aber nicht alles hatte im Nachhinein Substanz

    Das Verhalten von Moggi ist offensichtlich anrüchig. Aber was am Ende wirklich Spielmanipulation und vor Gericht Bestand hat, da muß man erst noch abwarten. Von den Telefonaten hin zur Spielmanipulation fehlt noch ein Schritt. Von den Anwürfen gegen Lippi von Buffon ganz zu schweigen. Die gerichtsverwertbare Substanz scheint mir momentan kleiner als die Schlagzeilen zu sein.

    Der Ausdruck mit der “italienischen Folklore” gefällt mir. Und stellt in Frage inwieweit der Verband wirklich hart durchgreifen würde.

  5. Mal ganz, ganz spekulativ:

    War der Fehler des schon mehrmals schwer verletzten Torwarts von Werder Bremen, der bei einer ähnlichen Verletzung seine junge Karriere beenden müsste (ohne je richtig Geld verdient zu haben), ein wirklicher Blackout?

  6. Es ist leider so, dass überall wo Geld im Spiel ist, immer wieder versucht wird zu manipulieren. Da ist Fussbal auch kein Ausnahmethema, sondern wahrscheinlich das Gegenteil. Da geht es nicht um Cent-Beträge sondern Milliarden Beträge. Und um diese Stange Geld sind viele bereit über “Leichen” zu gehen.

  7. Ich denke, dass am Ende wenig passieren wird. Und im Prinzip findet man fast alles auch in Deutschland wieder (okay, bis auf die eingesperrten Schiedsrichter). Bloß eben ohne konkrete Manipulationen, einfach durch medialen und verbandsinternen Druck.
    Wer erinnert sich noch an Carsten Jancker, der nach einer komplett durchgerumpelten Saison mit nach Japan/Korea durfte? Bayern hat’s gefallen, Jancker konnte danach teurer verkauft werden.
    Wer erinnert sich nicht an Uli Hoeness, der erklärte, dass bestimmte Schiedsrichter in München nicht mehr pfeifen werden?
    Wie ist das mit Podolski, der bearbeitet wird, bis er sagt, er geht nur zu Bayern, und diese können dann den Preis ohne Konkurrenzangebote anderer Vereine aushandeln?
    Nicht zu vergessen, der geheime Kirch-Deal, der Bayern mal eben um die 20 Millionen Euro brachte, mit denen sie mal eben Leverkusen aufknacken konnten (Ballack, Ze Roberto).
    Nix davon justitiabel, alles ein klarer Fall von so läuft’s Business.

  8. Zwei Artikel in der SZ von Birgit Schönau mit einer umfassenden Übersicht zu dem Skandal in der Serie A (“Juventus fürchtet um die Trophäen“, “Dem Rekordmeister Juve droht der Zwangsabstieg“)

    Sogar TV-Moderatoren wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Vor den Sendungen sollen sie von Moggi Anweisungen bekommen haben, welche zeitlupen wie zu interpretieren wären.

    Übrigens ist der Sohn von Marcello Lippi Angestellter oben erwähnter Spielervermittlungsfirma.

    Das System Moggi funktionierte durch die Balance von Duckmäusertum und persönlichem Gewinnstreben. Vermutlich ist nicht einmal viel Geld geflossen. Die Aussicht, Teil von Caligulas Hofstaat zu sein, reichte den meisten aus, denn damit hatten sie ihre Karriere sicher.

  9. Kicker online berichtet inzwischen, das Schiedsrichter de Santis und seine beiden Assistenten vom italienischen Verband für die WM zurückgezogen wurden.

    “De Santis wird beschuldigt im Rahmen des Fußball-Skandals in Italien Spielabsprachen mit dem ehemaligen Sportdirektor Luciano Moggi von Juventus Turin getroffen zu haben.
    FIFA und UEFA wurden vom FIGC inzwischen darüber informiert, dass den drei Schiedsrichtern die Akkreditierung entzogen worden sei.” (Von http://www.kicker.de)

  10. Drum schaue ich kein Fussball aus Italien !!!

  11. […] Wir hatten Hoyzer, Italien hat Moggi. Vergleicht man die Fälle, wirkt unser Experte für kroatische Wettrituale allerdings wie ein Straßendealer im Vergleich zu Al Capone. Der Medientenor des Tages: “Big Luciano” brach im Verhör mit der Napolitanischen Staatsanwaltschaft in Tränen aus. Welch Drama, welch Pein. Und doch irgendwie typisch für unser Klischee von den Stiefelbewohnern. Nach und nach kristallisiert sich das Ausmaß des Serie A-Skandals heraus. Schiedsrichter-Briefings vor Juve-Matches, Nationalspieler die angeblich illegale Wetten abgeschlossen haben, ein Verbandspräsident der ad-hoc zurücktritt, ein Sportminister der bei “Big Luciano” um Referee-Unterstützung für seinen Lieblingsclub bittet, ein FIFA-Schiedsrichter als einer der Köpfe dieses Systems. […]

  12. is halt Profisport. Wenn Geld im Spiel ist ( und wie schon gesagt ist das im Fussball nicht wenig, da kann allein die CL-Quali schon mal 10 Mill bringen ), wird auch betrogen oder aber zumindest im Hintergrund “gearbeitet”.

    Fussball ist ein Geschäft, und warum sollten die Umstände da anders sein als im Rest der freien Wirtschaft. Jeder Verein hat seine spezifischen Interessen, und die werden halt mit den Methoden durchgesetzt, die zur Verfügung stehen.
    Und das dabei die Grenze zur Illegalität hier und da mal überschritten wird, sollte eigentlich niemanden überraschen.

    Was den vorliegenden Fall angeht, stimme ich jedoch zu, das dies eine neue Dimension des Betruges ist, wenn tatsächlich Sportminister, Verbandspräsidenten, Vereinspräsidenten und Schiedsrichter beteiligt sind.

    Die Leute, die bisher noch dachten, dass Sport die einzig verbliebene echte “ehrliche” Unterhaltung im Fernsehen sei, müssen sich jetzt wohl mit dem Gegenteil abfinden…

  13. Lt. dpa soll Juve bereit sein einen Zwangsabstieg in die Serie B zu akzeptieren!dpa zitiert den Juve-Anwalt Zaccone vor dem Sportgericht in Rom.