Vidoz, Koc, Beyer und Colajanni

Es kam so wie man es von der Kampfzusammenstellung her erwarten konnte: Die freiwillige WM-Titelverteidigung von Markus Beyer gegen Alberto Colajanni war eine Witznummer.

Der record von Colajanni war nicht ohne Grund so schwach. Colajanni zeigte null Offensivqualitäten und wie er jemals ohne Schußwaffengebrauch zwei Knockouts fabriziert haben soll, wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Colajanni rannte immer vor Beyer weg, während Beyer und Coach Wegner die Harmlosigkeit von Colajanni nicht fassen konnten und immer vorsichtig blieben. Es hat zwölf Runden gebraucht bis Beyer dann eine Gelegenheit nutzen konnte und mit zwei Niederschlägen den Kampf vorzeitig beendete. Bis dato hätte man alle Runden an Beyer geben können. So richtig viel fiel Beyer gegen Colajanni nicht ein. Zur Kampfmitte gab es von Beyer eine Variation als er dem auf einmal immer nach links (von Beyer aus gesehen) ausweichenden Colajanni versuchte den Weg abzuschneiden. Ich hätte mir von Beyer gewünscht, dass er in den späteren Runden noch mehr riskiert und versucht hätte, eine Rauferei mit Colajanni anzufangen.

Nach dem Kampf zeigte sich Wegner völlig verblüfft, dass so jemand eine WM-Chance erhält und überhaupt nichts im Ring riß, während Colajanni vorm Mikro mit wässrigen Augen sich für seine Leistung entschuldigte. Er wäre von den Emotionen und der Geschwindigkeit überwältigt gewesen. Im Hintergrund wendeten sich sein Betreuer und seine Promoterin schon ab. Anscheinend haben die beiden Colajanni schon einen Einlauf verpasst.

Wie gesagt: wie ein Mann wie Colajanni zu einer Titelverteidigung genommen wird, bleibt ein Rätsel. Es riecht nicht wirklich stubenrein. Colajanni war im letzten Jahr lange auf Platz 21 des WBC-Rankings im Supermiddleweight geführt. Für einen WM-Titelkampf braucht es aber minimum Platz 15. Dreimal darf man raten was im Januar-Ranking der WBC passierte: Colajanni sprang, ohne selber geboxt zu haben, um sechs Plätze auf Platz 15 hoch.

JJ Rieck kommentierte den Kampf angemessen bissig, allerdings muss sich die ARD auch die Frage gefallen lassen, wie man allen Ernstes Colajanni im Vorfeld permanent als “ungeschlagen” verkaufen kann, wenn er einen derart billigen record hat? Das ist Verkaufe, aber kein Journalismus.

Im Grunde genommen war aber alles nur Nebenschauplatz für den “eigentlichen” Hauptkampf Vidoz – Koc.

Auch hier meine Kritik an die ARD , die offensichtlich nicht weiß, was sie an Paolo Vidoz hat. Die gesamte Berichterstattung erfolgte aus dem Blickwinkel des Sauerland-Schützlings Koc, ergo war mehr von Rückstand und Niederlage die Rede, statt einen supersympathischen, bodenständigen Bauern aus Gorizia abzufeiern.

Vidoz zeigte einmal mehr seine Limits, aber im Unterschied zu vielen Boxern, kennt er seinen Grenzen und weiß sich ausgezeichnet innerhalb dieser Grenzen zu bewegen. Da gibt es keine Poserei, sondern ehrlich gearbeitet. Vidoz ist das St.Pauli des Boxens.

Obwohl Vidoz alle Zeit der Welt für die Kampfvorbereitung hatte, kriegt er es immer noch nicht mit der Kondition gebacken. Schon ab der 2ten, 3ten Runde begann er wie ein Maikäfer zu pumpen und kämpfte dosiert. Nahm sich immer wieder längere Auszeiten um dann einige schnelle Schläge abzufeuern.

Vidoz ist mit seinen Aufwärtshaken eine Urgewalt. Solche Uppercuts… sensationell.

Koc hingegen merkte man es an, wie Runde um Runde sein Selbstbewusstsein aus dem Ring geschlagen wurde. Als Mann ist er in den Ring gegangen. Von Pause zu Pause hat er dann einen immer kindlicheren Gesichtsausdruck gezeigt und ist am Ende mit großen Augen im Ring gestanden.

Interessant ist die Rolle von Trainer Uli Wegner, der von Ringpause zu Ringpause nacheinander sämtliche Eskalationsstufen beschritt, die ein Trainer gegenüber seinen Schützling haben kann, mit der Folge dass er Koc bereits nach der 6ten und 7ten Runde an die Ehre packte und ausschimpfte und nach der 8ten Runde gar nichts mehr sagte, weil er sein gesamtes Rhetorikpulver schon verschossen hatte.

Wenn Wegners Verhalten ernst gemeint war und nicht im Eifer des Gefechtes passierte, dürfte er Koc nicht mehr trainieren, während Koc den Ernst der Lage im Interview nach dem Kampf nicht realisierte und an noch eine Chance glaubte.

Vidoz gewann den Kampf nach Punkten, zweimal mit fünf und einmal mit vier Runden. Für meinen Geschmack knapper als sich der Kampf darstellte, aber is eh egal.

Vidoz blieb auch nach dem Kampf eine – mit Verlaub – coole Sau und gab ein sehr, sehr lässiges Interview. Nach so einem Gurkenkampf wie Beyer – Colajanni steht er nur noch strahlender da.

Nächstes Boxen am Samstag im ZDF mit Brähmer und Trabant. Davor EUROSPORT am Dienstag mit der italienischen Bantam-Meisterschaft

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Colajanni der wohl immer einen anderen Stil boxt hat sich diesmal überlegt, ständig wegzurennen.
    Ich hatte gedacht, das der Italiener die Zahnpasta von Frank Baumann gefressen hat … soviel wie der gelaufen hat. Scheinbar hat er wohl darauf gehofft, dass sich Beyer nochmal das Knie verdreht, wenn er lang genug um ihn rumläuft und dass er dann durch TKO-Aufgabe gewinnt oder sowas … boxerisch schien Colajanni zumindest nicht gewillt zu gewinnen.
    Nach dem Samurai-Japaner wieder eine wenig rümliche Nummer für Beyer … vielleicht war er etwas unsicher durch die Verletzung (war Colajanni auch schon vorher als Gegner geplant?) … aber dennoch, ein stärkerer Gegner hätte es sein dürfen.

    Paolo Vidoz boxen zu sehen hat wieder einmal Spaß gemacht. Dass er seiner Favoriten-Rolle gerecht würde, war zu erwarten, Koc konnte eigentlich nur darauf hoffen, dass Vidoz’ Kondition nachlässt … aber dazu hätte er das Tempo des Kampfes bestimmen müssen. So hat Koc nur soviel gemacht, wie es Vidoz gerade passte und der hat sich die Kräfte (die begrenzten) nunmal eingeteilt.
    Uli Wegners Art einen Boxer zu Motivieren (Demotivation) war sicherlich Koc nicht hilfreich, wenn es darum geht vielleicht noch nach hinten hinaus zu gewinnen.
    Naja, aber man hat gesehen, dass Vidoz sehr stark im Infight ist … und diese Uppercuts … ja, wer schlägt im heutigen HW schon sowas… fein, fein

  3. Mir kommt es vor, als hätte Beyer ein älteres Problem mit Sauerland, daß die nicht so an ihn glauben. Irgendwo gelesen, Wegener habe den Colajanni
    ausgeguckt. Schöner Reinfall.
    Es kommt mir vor, als hätte diese Promoterin eh vorgehabt, Vidoz
    zu vermarkten.
    So rot vor Stress habe ich Wegener lange nicht gesehen.
    Die Vorbereitung muß die Hölle gewesen sein.

    So taktisch intelligent hat Beyer noch nie geboxt, top.
    Nicht sehr interessant fürs Publikum, aber was sollte er diesem
    Hampelmann eine “Rauferei”-Chance geben.
    Wenn ich einen Mann 12 Runden nicht aus der Ringmitte wegkriege,
    und fast nie ernsthaft schlage, brauche ich einen anderen Beruf.

    Man darf nicht vergessen, daß es für Beyer sicher ein Horror wäre,
    einen klar nach Punkten gewonnenen Kampf durch ein Reinlaufen
    und die berühmte eine Unachtsamkeit zu verlieren. Das Ende sozusagen.

    Vidoz ist ein wunderbar altmodischer Kneipenprügler, dem zuzuschauen
    im Gegensatz zu vielen körperlos schlagenden Boxern immer wieder
    begeistert. Hätte vom Zuschnitt gut gepaßt.
    Koc war 10 Runden wie benebelt, passiv, igelte sich ein.
    Und Vidoz beantwortet eben oft einen Schlagversuch mit 3 Guten.

    Man soll die psychologische Arbeit von Wegener nicht geringschätzen.
    Der schmeißt schon im genau richtigen Stadium den passenden Spruch
    ein. Koc ist an übergroßem Respekt eingegangen.

    Er hat ihm in der 3. oder 4. Runde gesagt, er soll vorwärts,
    Vidoz plattmachen. Er hätte verbal noch deutlicher werden sollen.

    Es hat bis zur vorletzten Runde gedauert, bis er realisiert hat,
    daß er verliert. Und dann ging er los, fast wie man ihn sonst sieht.
    Mangelnde Erfahrung wohl.

    Man kann solche Methoden diskutieren, aber manchmal macht es Sinn,
    einen Boxer schon im Training mal zu verunsichern, damit er lernt, wie
    stark man wird, wenn man die Schlappe überwindet.

  4. @Kai: Ich sehe Vidoz keineswegs als so limitiert an. Schon limitiert, aber nur konditionell. Technisch gesehen wird es nicht viele Boxer geben, die besser sind als Vidoz.

    @Deslizer: Ich glaube nicht, daß Koc in der Lage gewesen wäre, den Kampf zu bestimmen. Und schon garnicht glaube ich, daß Vidoz wirklich komplett eingebrochen wäre – siehe den Kampf gegen Hoffmann. IMO hätte Koc jedes Mal wieder 3 Hände für einen Angriff bekommen…. und das wusste er wohl.

    @Kika: Wenn Du Vidoz als “Kneipenprügler” bezeichnest, müsstest Du wohl 99% der Boxer in diese Kategorie schmeissen. Was genau gibt’s an seiner Technik auszusetzen? Er kontert brillant, schlägt die besten Uppercuts die ich wohl in den letzten Jahren gesehen habe und nimmt kaum Schläge, vor allem nicht in der 1. Hälfte des Kampfes, wenn die Kondition noch stimmt.

    Ich gehe davon aus, daß Koc einige Kämpfe von Vidoz gesehen hat… (jetzt mal abgesehen davon, daß sie sich aus Amateur-Zeiten kennen) und wusste, daß es für ihn am gefährlichsten wird, wenn er selbst viel schlägt. Ab Runde 5 od. 6 hat er schon zur Uhr geschaut…. ob es hoffentlich bald überstanden ist.

    Wie auch immer, ich hoffe wir sehen Paolo bald wieder… ein genialer Typ und ein sehr guter Boxer.

  5. Schreibt doch einfach wie es war,markus rannte hinter einem ferrari im rückwärtsgang hinterher.
    hab selten so gelacht