Erdei – Sahnoune: zu wenig Luft für zwei

Auf der nach oben offenen Schrulligkeitsskala war der gestrige WM-Kampf im Halbschwergewicht zwischen Zsolt Erdei und Mehdi Sahnoune eine satte 7,8, aber unter dramaturgischen Gesichtspunkten ein höchst spannender Fight.

Zsolt Erdei dominierte anfangs den Kampf mit sauberer Technik, während sich der Franzose Sahnoune als ziemlicher Schaumschläger entpuppte. Weite Schwinger, Luftlöcher en masse, Schläge auf dem Hinterkopf, alles dabei was einen technisch schwachen Boxer auszeichnete.

Ich wunderte mich von Beginn an, warum Erdei in den Ringpausen so schwer atmete und merkwürdig in den Eimer rotzte und tippte auf eine Erkältung. Nach der vierten Runde sprach der Trainer von Sahnoune davon das Erdei keine Luft mehr habe und platt sei.

Die 5ten Runde sah einen spektakulären Einbruch von Erdei. Als ob der Mann mit dem Hammer gekommen sei, fing Erdei an durch den Ring zu schlürfen, bekam die Hände nicht mehr hoch und riskierte jeden Augenblick vom leistesten Windhauch umzukippen. Einen so krassen Moment des Absturzes von jetzt auf hier habe ich bislang nur bei Radfahrern mit Hungerast gesehen.

Erdei wurde dem Sahnoune auf dem Tablett zum Abschuss serviert, aber was Sahnoune daraus machte, war unbeschreiblich kläglich und nicht eines WM-Fights würdig. Meine Beobachtung vom Freitag, dass Sahnoune seit zwei Jahren nur noch Kirmesboxer gekämpft hat, wurde damit bestätigt.

Sahnounes “window of opportunity” schloß sich nach der 6ten Runde, denn dann war auch Sahnoune derart konditionell im roten Bereich, dass der Fight endgültig in den Niederungen der Luftlöcher und des Umherstolperns absank.

In dem Maße wie Sahnoune die Puste ausging, gewann Erdei wieder die Oberhand, denn er konnte seine Cleverness und Technik ausspielen, in dem er sich meisten für die letzten 30 Sekunden sammelte und dort für die Punkterichter einige harte Kombinationen schlug. Die einzige Gefahr die von Sahnoune nach Runde 6 noch ausging, war die eines lucky punchs, eines wilden Schwingers der zufällig doch noch treffen würde.

Es war Erdeis Schlußspurts in der 12ten Runde, der die Sache klar machte. Knapp 50 Sekunden vor Schluß trieb Erdei Sahnoune in die Ecke und startete einen Schlaghagel der von Joe Cortez (Ja, DER Joe Cortez! Was hat der bei so einem Fight zu suchen! Wow!) dann irgendwann per TKO abgebrochen wurde.

Nach Punkten sah ich Erdei klar vorne, gab nur die 5te, 6te und 11te an Sahnoune. Wie es zum Zeitpunkt des KOs auf den Scorecards stand, wurde nicht bekannt gegeben, nur der ungarische Beobachter und ehemaliger Weltklasseboxer Kovacs (richtig geschrieben?) will auf den Scorecards Ausgeglichenheit gesehen haben, die 12te Runde hätte entscheiden sollen… wie dieses vermeidliche Unentschieden nach 11 Runden zu Stande gekommen sein soll, ist mir ein Rätsel.

Ja, und warum war nun Erdei derart am Ende?

Wie Sdunek und Erdei im Interview nach dem Kampf sagten, zog sich Erdei in der letzten Woche des Trainings in L.A. eine schwere Rippenprellung zu. Abgesehen dass die Prellung während des Kampfes mit jedem Schlag schwer schmerzte, verunmöglichte sie auch jede vernünftige Vorbereitung in den Tagen vor dem Kampf und behindert bei der Atmung. Das erklärt warum Erdei konditionell so platt schien.

In den französischen Medien wurde von einem “heroischen” Kampf Sahnounes gesprochen. Sahnoune hatte wohl im Vorfeld für den Fall einer Niederlage seinen Rücktritt angedeutet, aber diese Bemerkung in Interviews nach dem Kampf zurückgenommen. Lt. Sportever sagte er zum Fernsehsender Canal+: “Ich fühlte wie der Kampf für mich gut lief, es aber immer härter wurde. Das ist das Boxen. Aber ich werde weitermachen. Ich bin zwar nicht Weltmeister geworden, aber ich bin nicht weit weg davon. Und ich vertraue meinem Coach Houari Amri.

Der Kampf war keine Schönheit, aber dramatisch. Wie sehr Erdei auf die Zähne beißen musste um durch die Runden zu kommen, ließ sich an der puren Freude von Erdei und Sdunek ablesen. Gerade einen Sdunek, eigentlich ein Stoiker vor dem Herrn, war ausgelassen wie selten. Das er Erdei von Runde zu Runde weiterdurchschleuste, darf er wohl auch sich zugute schreiben.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Spannend ist’s geworden, ja.
    Aber hey, dass ein doch ehemaliger Weltmeister wie Sahnoune derart schlecht ist hätte ich nicht erwartet. Ein Handspeed wie nicht von dieser Welt … verdammt lahm und alles was er schickt kommt von weit aussen. Einem Erdei in guter Verfassung (wie z.B. gegen Gonzales) kann man damit nie gefährlich werden.
    Allerdings gab es diesen Erdei nicht zu sehen, jener hätte Sahnoune öfter ausgekontert, eine sehr gute Deckung gehabt und das Ding wohl noch in der ersten Kampfeshälfte klar gemacht.
    Nungut, man will eben nicht zweimal nacheinander einen Kampftermin kurzfristig absagen. Ich glaube aber gegen einen starken Gegner hätt mans gemacht.
    Auf jeden Fall kann Erdei die Zähne zusammenbeißen.

    Sahnoune? Der war einfach schlecht, schlecht, schlecht.
    Einen halbtoten Gegner nicht zu finishen lässt nicht zeigen, dass man reif für einen WM-Titel reif ist, egal ob man vorher ein paar Pappfiguren KO schlug. Technisch war das nix, Erdei hätte sich eigentlich auch ne Hand auf den Hinterkopf halten müssen.
    Wenn Sahnoune immer so ne Leistung bringt, dann bin ich von seinem Management beeindruckt wie gezielt sie die letzten zwei Jahre paasende Journeyman ausgesucht haben, die Sahnoune unter den Top10 der WBO halten.

    Die Punktzettel?
    Also ich hab für Sahnoune die Runden 5, 6 und vielleicht 7, er kann dankbar sein, dass er überhaupt welche bekommen hat.
    Wo der ungarische Kollege aber Mathe gelernt hat ist mir schleierhaft. Damit die 12te Runde wirklich den Kampf entscheidet müsste auf den Punktzetteln ein Draw nach der 11ten stehen. Ohne Niederschläge und ohne Punktabzug ist dies rechnerisch nicht möglich (bei der WBO gibts keine 10-10 Runden, da gibts den guten altbekannten WM-Bonus … der kann auch für die Runden 7 und 11 herhalten). Überhaupt schien mir das eher ne Anemrkung für die ungarische Presse zu sein um hervorzustechen, dass Erdei in der letzten Runde noch mal alles rein gelegt hätte um eine Niederlage zu verhindern (an dessen Rand er zu dem Zeitpunkt eigentlich garnicht mehr gestanden haben dürfte).

    Nunja. Mit dem Erdei-Gonzales-Kampf hab ich mir gestern vorher auch einen anderen Kampf des flinken Ungarns angeguckt. Ich hoffe, ihn mal wieder in der körperlichen Verfassung boxen zu sehen, denn dann wirds boxerisch schon wirklich sehenswert.
    Aber ich hoffe auch, dass Erdei für den Fall einen Gegner bekommt der es Wert ist um den Gürtel zu boxen. Hätte Sahnoune den Gürtel gestern tatsächlich gewonnen, so hätte er ihn gleich weiterverschenken können … er hätte er verloren (so schlecht finde ich ihn).

  3. Achja, Ploog wirkte zeitweise recht gut, aber haut dann Dinger dazwischen wie “Erdei ist sicher der Boxer bei Universum mit den schnellsten und härtesten Schlägen”.
    och neee.

  4. Ich fand es sehr nett, dass Ploog Erdeis heulende Gattin erwähnt hat. DAS sind doch mal kampfentscheidende Details.