Tour 2005: J-12 – Abrechnung
Ich hatte gestern erstmals in dieser Tour die Gelegenheit die Etappe über weite Strecken im Fernsehen zu sehen und die frohe Botschaft: Peter Leissl und Rolf Aldag lassen sich wirklich gut anhören. Meine Kritik bzgl. der mangelnden Emotionalität bei Leissl nehme ich zurück.
Peter Leissl versteht es gut Balance zu halten zwischen dem aktuellen Renngeschehen und Geschichten aus dem Drumherum und garniert das ganze mit einem angenehm ironischen Ton ohne sich selbst zu wichtig zu nehmen. Insbesondere bei längeren Etappen haben Watterott/Bosdorf und Migels/Hepnner die Angewohnheit nur noch belanglos vor sich hin zu plaudern und dabei das Rennen zu verpennen. Weswegen z.B. der Audio-Stream von EUROSPORT wenig hilfreich ist.
Rolf Aldag kommt genauso gut rüber wie im Film “Höllentour”. Bodenständiger Sarkasmus gepaart mit Kompetenz. Wie gut er inzwischen in seine Rolle als Ko-Kommentator gefunden hat, kann man daran erkennen, dass er sich inzwischen selbständig einschaltet und ein neues Thema aufgreift wie z.B. gestern als er anfing über die Wichtigkeit von Rennhandschuhen zu reden, “weil man gerne am Abend noch etwas essen will ohne das Besteck mit rohem Fleisch anfassen zu müssen, da man sich bei einem Sturz alles Haut abgerissen hat.”
Aldag und Leissl sind die Entdeckung der Tour und das ZDF punktet wieder, nach Klopp/JBK und der Ernennung von Ploog zum Chefkommentator Boxen. Leise und heimlich bringt der neue ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz wirklich Schwung in die Sache.
Zur Etappe von gestern. Es hat mich gewundert wie passiv im Feld gefahren wurde, fast so als hätte man sich mit dem Toursieg von Armstrong abgefunden und wartet für den Kampf um die Plätze zwei und drei des Podium auf die Pyrenäen. Von den vollmundigen Kampfansagen aus dem Hause CSC und T-Mobile zu Beginn der Tour, Armstrong immer und überall anzugreifen, fast so wie einst Cato den Inspektor Clouseau, ist nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben.
Das die gestrige Etappe doch unterhaltsam war, lag daran, dass der Rennverlauf mit der großen Ausreißergruppe, die später in drei Teile zerfiel, viel Diskussionsstoff für taktische Überlegungen bot. Und das Digne-les-Bains ein großartiges Fleckchen Erde ist. Wunderschöne Gegend.
“Verlieren richtig gemacht” könnte ein Buch von Jens Voigt lauten, dem nach seinen knappen Ausscheiden aus der 11ten Etappe allenthalben auf die Schulter geklopft wird. Zurecht: er hat versucht zu attackieren, er hat gekämpft und gebissen und zeigt dann auch in der Niederlage Größe, als er einen Protest von CSC ablehnt (“wenn ich tatsächlich im Rennen geblieben wäre, hätte ich sowieso nicht mehr attackieren dürfen. Denn durch einen Einspruch im Rennen bleiben und dann auf Etappensiege gehen? Nee, das geht nicht. Das würde ich auch nicht wollen“, SZ). Vom “Verlieren” mag man daher nicht reden wollen. Der SZ hat er ein richt demütiges Interview gegeben.
Jens Voigt sagt der FAZ: “Viele sagen zu mir: Jens, ist doch egal. Du hat das Gelbe Trikot gehabt, du warst mal einen Tag im Rampenlicht und nicht drei Wochen lang Feldfüller.”
In dieser Tour ist der Spung vom “Feldfüller” zu Jan Ullrich kein großer. Auch wenn manch einer wie Ingo Kruck im FOCUS-TdF-Blog mit pathetischen Worten sich zum Apologeten von Ullrich aufschwingt: diese Mischung aus Ullricher Bräsigkeit, dem Gefühl von schlampiger Vorbereitung und schließlich zahnloser Teamteaktik könnten vielleicht beim Sponsor T-Mobile den Wunsch nach Tabula Rasa aufkommen lassen. Andreas Burkert über den Goldenen Käfig von Jan Ullrich:
Jan Ullrich nähert sich dem Ende seiner Karriere, zumindest das ist sicher, denn im nächsten Jahr endet der Vertrag mit seinem Rennstall. Und an eine Verlängerung des Kontraktes verschwenden beide Seiten wohl keine Gedanken. Glücklich hat beide Parteien die 2004 wiederbelebte Partnerschaft bislang nicht gemacht. Was wohl in erster Linie an Jan Ullrich liegt, der Magenta ehedem den Rücken kehrte, weil er aus einem „goldenen Käfig“ floh – und diesem Gebäude mit seiner Rückkehr ein silbernes Obergeschoss aufsetzte.
Darin hat er es sich gemütlich gemacht mit Freunden und alten Weggefährten, aber in diesem Klima hat sich der in seinen Gewohnheiten festgefahrene Stoiker ebenso wenig weiter entwickeln können wie zuvor unter der angeblich erdrückenden Aufsicht einer Werksportgruppe.
Der Unterschied zwischen Voigt und Ullrich, der Unterschied zwischen Gewinnen trotz Ausscheiden und Verlieren trotz Podiumsplatz liegt darin, was beide aus ihrem Potential machen und wieweit sie ihr Herz in die Hand nehmen und einfach mal selbst Herr über ihr Schicksal spielen. Die Story von Jens Voigt läßt einen trotz ihres schlechten Endes träumen. Held sein für einen Tag. Über seine Grenzen gehen.
Das bräsige Verhalten von Jan Ullrich hingegen ist grauer Alltag. Den habe ich auch im Büro, da brauch ich keine Tour und keinen Jan Ullrich für.
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