Zeilensport: der Norden-Klinsmann

Im Hamburger Abendblatt erläutert HSV-Jungtrainer Thomas Doll ausführlich seine Philosophie und Grundwerte. Und schau an: es gibt durchaus geistige Nähe zum nationalen Jungdynamiker Jürgen Klinsmann (ich meine mich sogar zu entsinnen, dass das Abendblatt vor einigen Tagen/Wochen geschrieben hat, das Doll inzwischen zwecks Gedankenaustausch auch Kontakt mit Klinsmann aufgenommen hat).

Die Eckpfeiler der Doll’schen Arbeit sind:
Eigenverantwortung der Spieler: “Ich verlange von den Jungs, daß sie Persönlichkeiten auf dem Platz sind, da kann ich nicht kontrollieren, was sie essen […] Jeder muß selbst wissen, ob er viermal pro Woche zu McDonald’s geht und dadurch Probleme bekommt, 90 Minuten Tempofußball zu gehen.

Teamwork der Betreuer: “Wir arbeiten eng zusammen, aus mehreren Meinungen kann man die richtigen Schlüsse ziehen […] Am Anfang mußte ich erst meinen Stil finden, meine Ruhe in der täglichen Arbeit, die Sicherheit. Jetzt werde ich das Know-how der Spieler mehr nutzen. Wir werden uns im Spielerrat regelmäßig austauschen, viel häufiger als vergangene Saison.

Respekt und Distanz: “So etwas wie Freundschaften, das würde nach hinten losgehen. Man muß sich eine Distanz bewahren, obwohl ich noch mit Sergej Barbarez gespielt habe, obwohl Stefan Beinlich mein Nachbar ist. In der Zeit, seit ich Cheftrainer bin, habe ich Paule nicht ein einziges Mal getroffen.

Weitblick: “‘Wir Fußballer leben in einer Traum-, einer Scheinwelt’, sagt Doll. Deshalb sei es wichtig, auch über den Tellerrand zu schauen. Doll glaubt, die Spieler seien offen für neue Sachen: ‘Die hängen nicht nur im Internet rum, sie lesen tolle Bücher, wissen auch, daß es eine Zeit nach dem Fußball gibt.’

Lernfreude: “‘Stillstand wäre für mich Rückschritt. Ich lerne noch jeden Tag, bin offen für viele neue Ideen.’ Eine stetige Entwicklung erwartet Doll auch von seinem Team, menschlich wie sportlich. In der neuen Saison wird das 4-4-2-System zwar die Variante Nummer eins bleiben, aber je nach Spielsituation wird Doll auch mal in der Defensive auf Dreierkette umschalten und einen Mann nach vorn ziehen.

Ich finde spannend, dass wir da möglicherweise den Start einer neuen Trainergeneration in Deutschland erleben, die deutlich Grundmotive aus dem Wirtschaftsleben übernimmt. Unter der Leitung einer Mannschaft eben nicht nur Taktik und Fitness versteht, sondern auch Projektmanagement und Menschenführung und stark auf das Element der collaboration* setzt.

Gerade von einem Thomas Doll bin ich überraschend, denn als Spieler ist er eigentlich nie wirklich als jemand aufgefallen, der viel analysiert oder über sich nachdenkt, sondern eher der “Kumpeltyp” war, anders als zum Beispiel die “Schachbirne” Magath der wahrscheinlich abends bis zum letzten Gurgeln des Mundwassers über alles und jedes nachdenkt.

Man wird diese Saison vielleicht sehen, wie die Generation Doll, Klopp, Rapolder, Magath die alte “Zwischengeneration” Rangnick, Finke, Lienen, deren modernisierende Impulse auf das Taktische beschränkt zu sein scheinen, ablöst.

(* Ich nehme den englischen Begriff “collaboration”, da dieser deutlich positiver besetzt ist, als das deutsche “Kollaboration” das laut Duden sich explizit auf die Zusammenarbeit mit dem Feind bezieht)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp