Tour 2005: J-9. Es wird gebalgt.

Ja, damned. Ausgerechnet am einzigen Tag an dem fernab von jedem Fernseher in Kölner Kirchen und Festsälen weile, balgen sich die Favoriten auf einer ersten Anhöhe in den Vogesen.

Auf Etappe 8 bekam anscheinend Discovery Channel erstmals die Angriffigkeit der restlichen Mannschaften zu spüren und mit einem Mal war Armstrong mutterseelenalleine auf dem Anstieg zum Col de la Schlucht. Am Ende des Tages kein Zeitverlust von Armstrong auf die anderen Granden der Tour, aber ungewöhnlich ist es schon dass am ersten seriösen Anstieg Armstrongs Team derart auseinanderfällt, schließlich ist das bis dato immer die Stärke der Entourage rund um Armstrong gewesen.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich halte Armstrong für einen derartigen Fuchs, dass ich mir vorstellen kann, dass das Zurückfallen des Teams nur Schauspielerei war. Bis auf Armstrong kein einziger DSC-Fahrer auf den ersten 35 Plätzen der Etappe???

Was aber die Etappe gezeigt hat, ist die größere Angriffigkeit des Mannschaften. Interessant sind dabei T-Mobile und CSC. T-Mobile hat mit Ullrich, Vinokurov und Klöden mehrere Joker. Wenn T-Mobile in den Alpen keine Mannschaftsstrategie ausgibt, sondern das Rennen für alle drei freigibt, bekommt ein angeschlagenes Team Discovery Channel Probleme hinter jedem Angriff von T-Mobile hinterher zu fahren.

Insofern dürfte Armstrong richtiggehend dankbar sein, das CSC vor den Alpen das gelbe Trikot übernommen hat und damit die Last der Kontrolle des Feldes zugewiesen bekommen hat. Aber ist es wirklich das was CSC vor hat? Ich kann es nur nochmals betonen: ich halte Bjarne Riis für den einzigen Teammanager der in Sachen Schlitzohrigkeit Armstrong das Wasser reichen kann.

Es gab in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein großes Interview mit Bjarne Riis, dessen Ansichten zu Ullrich ich völlig teile.

Was hat Armstrong, was andere nicht haben? Es kann ja kein Zufall sein, wenn einer sechsmal in Serie die Tour gewinnt.

Er ist ein Superathlet, er ist selbstbewußt, er hat einen Willen, er ist ein Kämpfer. Er hat ein Auge für die Situation, er kann seine Gegner genau analysieren. Und alles, was er macht, ist zu hundert Prozent organisiert. Aber er hat auch Glück.

Wieso Glück?

Als er Fehler gemacht hat, wie 2003, war Jan Ullrich nicht bereit. Er hat keine Verantwortung übernommen und keine Entscheidungen getroffen, und dann war es zu spät. Wäre er damals mit Sastre mitgegangen, hätte er an dem Tag in Gelb fahren können.
[…]
Hat Ullrich da Defizite?
[…]
Ich sage das nicht gerne, aber er fährt einfach nur mit. Er konzentriert sich nur auf sich selbst und schaut nicht, was um ihn herum läuft. Er guckt sich Armstrong nicht an und fragt sich: Wie sieht der aus? Er achtet auf keine Details. Er glaubt, er muß nur hundert Prozent fahren, dann geht das schon. Der Rest interessiert ihn nicht.

Geht ihm dieses psychologisch-strategische Moment völlig ab?

Das lernt man nur durch ständige Analyse. Und man muß es einfach auch probieren und keine Angst haben.

Stimmt der Eindruck, daß Jan Ullrich viel zu selten die Initiative ergreift?

Ja, und wenn er es tut, dann ist das nicht entschlossen genug. Nach dem Motto: So Lance, jetzt fahre ich los, fährst du auch? Was er letztes Jahr bei seiner Attacke gegen Armstrong gemacht hat, war vielleicht nicht das Intelligenteste, aber das war zumindest ein sehr guter Versuch. Die Idee, daß T-Mobile was machen mußte, war richtig […]

Sein Problem ist, daß ihm diese Angriffslust fehlt […] Ullrich ist zufrieden. Als er 1997 ins Gelbe Trikot gefahren ist, ist er am Berg abgezischt wie jetzt Armstrong. Aber das schafft er nicht mehr. Er ist zu schwerfällig geworden. Er ist durch die vielen Kilometer langsamer geworden. Und wenn man wirklich etwas werden will, dann muß man auch an seinen Schwächen arbeiten. Das macht Basso.

Aber [Ullrich] ist ja gerade im Einzelzeitfahren von Armstrong eingeholt worden. Hat Sie das überrascht?

Nein. Es war taktisch ein großer Fehler und vollkommen unnötig, Ullrich nach seinem Trainingssturz direkt vor Armstrong starten zu lassen. Der hat das voll ausgenutzt. Es ist psychologisch schwer zu verkraften, wenn man eingeholt wird.

Es gibt mehrere Strategien, um ein Unternehmen Tour-Sieg anzugehen. Was halten Sie von der sogenannten Doppelspitze, mit der T-Mobile antritt?

Alexander Winokurow ist sehr stark, ich glaube, stärker als Jan. Der kann in den Bergen richtig gefährlich werden. Das kann Jan nicht. Für mich gibt es fünf, sechs Fahrer, die das unter sich ausmachen könnten: Armstrong, Winokurow, Basso, Landis, Heras.

Meines Erachtens eine brilliante und stimmige Analyse.

Glückwünsche an dieser Stelle an Jens Voigts. Fahrer von seinem Schlage gönnt man jeden Tag im gelben Trikot. In diesem Sinne Daumen-Drücken für die 10te Etappe am morgigen Dienstag wenn es dann mit Karacho in die Alpen raufgeht. Ab Kilometer 77 (von 192) geht es mit zwei Anstiegen auf Berge der ersten Kategorie rauf. Dienstag ist ZDF-Tag, ZDF und EUROSPORT übertragen die ersten Live-Bilder ab 14h45. Am Mittwoch und Donnerstag gibt es dann komplette Etappen ab Mittags.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. …wunderbarer, spannendster Radsport am Wochenende! So soll es weitergehen.

    Riis ist ja zweifelsfrei ein absoluter Fachmann in Sachen Radsport, aber ob Ullrich tatsächlich so schwach ist…?
    Doch Ullrichs schwerer Sturz gestern ist schon ein wenig tragisch. Hoffentlich kann er überhaupt noch volle Pulle fahren.

    Taktik von Armstrong allein am Berg zu fahren?
    Oha! Hört sich so an, als wenn die Bayern mal wieder absichtlich bis zur 93. Minute gewartet haben um den Siegtreffer zu erzielen, wer’s glaubt wird seelig.

  3. Come on: was heißt “Berg”. Es war ein Anstieg der zweiten Kategorie von denen “nur” die letzten 10km richtig heiß waren. Es war also ein kalkulierbares Risiko.

    Wir haben ja von Armstrong schon öfters erlebt, das er Schwäche vorgetäuscht hat und sich zurückfallen ließ um dann von hinten Tempo aufzunehmen und alle in Grund und Boden zu fahren. Armstrong ist ein Meister der Psychotricks. Ich erinnere an dieses kurze Umdrehen und Ansprechen von Ullrich, als er vor 1-2 Jahren am Berg zur finalen Attacke antrat.

    Wenn Armstrongs Jungs nach nur einem solchen Anstieg schon wegfallen wie tote Fliegen, dann braucht Armstrong gar nicht erst in die Alpen reinfahren. Nein, nein, die Geschichte mit der “Schwäche” glaube ich nicht. Bei einem Fahrer vielleicht, aber nicht bei drei Fahrern der Güteklasse Azevedo und Hincapie.

  4. Sicher, das DSC-Team mag bisher nicht zu überzeugen. Es ist nicht mehr wie eins gegeben, dass Azevedo und andere Helfer mit die Top10 des Klassements besetzen … da findet man nun vornehmlich CSC-Fahrer.
    Aber ich stimme zu, abschreiben darf man DSC nie, obs ne Taktik ist, ist fraglich.
    Dennoch sind potentiell viele Angriffe gegen DSC möglich.

    Ich denke die Arbeit bleibt weiter an DSC hängen. Zumindest glaube ich nicht, dass CSC vor hat das gelbe Trikot Voigts krampfhaft zu verteidigen, da er dies wahrscheinlich eh nicht übermäßig lang wird tragen können.
    Eher denke ich schon, dass C.A. interessiert ist den Moreau weiter vorne zu halten.

    Da ist viel möglich morgen … und auch übermorgen. Diese beiden Etappen können viel entscheiden, ebenso wie auch die Etappen 14 & 15.

  5. Come on: was heißt “Berg”
    … nun wenn allerhand Profifahrer ein viertel Stündchen später im Ziel ankommen kann der Anstieg nicht soo mau gewesen sein.

    Klar ist und bleibt Armstrong der Favorit – spannend ist, wann er das Klassement wieder “gerade rückt”… und wirklich attackiert.

  6. Zu meiner Ehrenrettung: auch Jörg Hanau von der FR will nicht so richtig am Discovery’schen Schwächeanfall glauben.

    Gestern kraxelte die blau-weiße Entdecker-Crew als putzmuntere Phalanx den Ballon d’Alsace hinauf. Als wäre nichts gewesen. Tags zuvor waren all die im Hochgebirge erprobten Armstrong-Jünger im Mittelgebirge “fliegen gegangen”, wie die Radsportler sagen? Da waren Kletterspezialisten wie José Azevedo, Yaroslav Popovych, José Luis Rubiera, Paolo Savoldelli und Manuel Beltran mysteriöserweise nicht in der Lage, “le Patron” bei einer durchschnittlichen Steigung von 4,4 Prozent zur Seite zu stehen. Seltsam.

    Hanau spekuliert: wenn es keine Schauspielerei war, dann hat das Team dem hohen Durchschnittstempo der Etappe (47kmh) Tribut zollen müssen. Vielleicht werden wir es morgen erleben, wie die anderen Mannschaften versuchen das auszuloten.