Tour: J moins deux

Papier-Traingslager (Fortstzg.)

Heute nachmittag war es dann im U-Bahn-Kiosk fällig, das TOUR-Sonderheft zur Tour 2005, dass damit meine Sammlung an Magazinen komplettiert. Es kostet 3,50 oder 3,80 (ich habe es im zuhause liegen lassen).

Über den Inhalt braucht man nicht viel zu sagen: mit 160 Seiten schlägt es die Konkurrenz um einige Radlängen. Klar dass schon aufgrund der schieren Quantität so ziemlich alles abgedeckt ist, was auch die anderen Hefte machen.

Das Streckenprofil ist das besste aller Magazin, denn es enthält auch Durchfahrtszeiten. Zu den einzelnen Etappen gibt es zudem Kommentare von Jens Voigts.

Abzüge gibt es in der B-Note für ein etwas einfallsloses Layout, dass aus den gleichen Seitenvorlagen der alten TOUR-Tour-Beilagen produziert wurde. Zumindest hier hat die Procycling die Nase vorn. Also: wer Datenmaterial und Nachschlagewerk haben will, greift zum TOUR-Sonderheft (nicht zu verwechseln mit der normalen Juli-Ausgabe der TOUR) und wer mehr auf ausgesucht schöne Bildsprache steht, greift zur Procycling.

Rominger und sein Ferrari

Heute kaum noch vorstellbar, aber es gab Zeiten ohne Kabel und Privatfernsehen, da war es das Highlight des Jahres, wenn die ARD bei ausgewählten Tour-Etappen von 17h15 bis 17h45 eine Zusammenfassung brachte. Werner Zimmer saß in Saarbrücken und gab an das Watterott und Emig ab. Als der SR und der WDR anfing tatsächlich manchmal in den Dritten sogar eine ganze Stunde vorher auf Sendung zu gehen und der NDR sich ab und zu dranhängte, dann war es ein Feiertag.

Und dann bekam ich 1995 Kabel und damit EUROSPORT und es war wie Weihnachten: jeden Tag von 15h an, zwei Stunden. Und je mehr ich EUROSPORT sah, desto mehr verloren Watterott und Emig an Kultcharakter. Zu verdanken war es Peter Woydt und Rudi Altig die auf EUROSPORT, die den französischen Camembert Camembert sein liessen und stattdessen wirklich über den Radsport parlierten. Leider starb Woydt 1997 völlig überraschend wenige Tage vor der Tour. EUROSPORT improvisierte sich Kommentatoren zusammen (ich glaube damals bereits mit Karsten Migels), ehe es 1998 zugriff und den gerade beim ZDF freigesetzten Klaus Angermann nahm.

Ein Alptraum schien sich anzubahnen, Angermann war seinerzeit meine persönliche Haßkappenfigur, sozusagen der Vorläufer von JB Kerner. Keiner konnte beim Rudern so Deutschnational reportieren, wie der Angermann-Klaus.

Doch dann geschah ein Wunder. Angermann kommentierte und kommentierte unterhaltsam. Mitunter sehr schräg, mitunter hausbacken und altmodisch, aber es hatte einen gewissen Charme.

Dazu trug auch sein Begleiter bei, der Schweizer Tony Rominger. Wo Altig auf inzwischen Äonen alte Erinnerungen zurückgreifen musste, kam Rominger aus der Jetztzeit und konnte ein Radrennen “lesen” wie kein Zweiter. Rominger und Angermann wurden mein Radsport-Traumduo.

Radsport-Kommentatoren sind merkwürdige Vögel. Es gibt keine Spezie von Sportjournalisten die weniger gern von den schlimmen Seiten ihres Sports berichten, keine Reporter die schneller dabei sind, den Mantel des Schweigens über die Schlechtigkeiten zu hüllen.

Und auch dafür standen Angermann und Rominger wie keine Zweiten. Angermann besaß eine Mischung aus Idealismus und Naivität, hlaubte an das gute im Menschen und das Gesunde im Sport. Und Rominger war “mittendrin statt nur dabei”. Als ein Aktiver der nur wenige Jahre zuvor selbst an der Weltspitze gefahren ist und zudem auch als jemand bekannt war, der extreme medizinische Vorbereitungen unternahm, hatte jedes Doping-Gerücht bei der Tour auch ein bißchen mit ihm zu tun. 1997 hörte er mit dem Radsport auf, 1998 wurde er Co-Kommentator von Angermann. Die 98er-Tour war der “Sündenfall”, als erstmals der massenweise Gebrauch von EPO während der Tour aufflog.

Die Eiertänze die beide um die Dopingfrage herumführten, waren Kleinode in Sachen Verdrängung. Wer Angermann-Rominger hörte, wurde gewahr, wie groß die Beharrungskräfte innerhalb der Radsport-Verbände gegen strengere Dopingkontrollen war. Der ahnte was da alles aufgearbeitet werden musste.

Das alles sind Erinnerungen, die in mir hoch gekommen sind, weil in der aktuellen ZEIT sich ein längerer Artikel just mit der Zusammenarbeit zwischen Tony Rominger und seinem medizinischen Betreuer, dem berüchtigten Dr. Michele Ferrari beschäftigt: “Romingers Qualen“. Ferrari ist jener Arzt der auch Lance Armstrong betreut.

Der Artikel basiert auf Berichte eines anonymen italienischen Dopingfahners und einem Interview von Rominger und versucht den Aufstiegs Romingers mit Hilfe von Ferrari nachzuzeichnen, als prototypisches Beispiel wie Ferrari den gesamten Radsport veränderte, weil er EPO als Dopingmittel einführte. Die Ferrari-Methode:

»Ferrari fragt: Sag mir deine Trainingsmethoden, Resultate, deine Ernährung.« Dann Blutanalysen. »Er sagt: Mit deiner Ausstattung könntest du unter bestimmten Bedingungen viel erreichen.«

Phase zwei, »Ferrari gibt Nahrungszusätze. So lernt er den Charakter des Fahrers kennen. Wozu ist er bereit, wie groß ist seine Intelligenz, sein Hunger?« Ferrari kennt die Sportlerpsyche, er war Mittelstreckenläufer, Nationalteam. Er misst Rominger noch im Dolomiten-Lager aus, sagt ihm, seine Oberschenkel hätten die gleiche Hebelkraft wie die von Eddy Merckx. »An einem Abend«, sagt Rominger später, »ist er zu mir gekommen und hat gesagt: Du könntest ein ganz Großer werden. Er hat sonst nie Komplimente gemacht. Aber ich habe das auch nicht gebraucht.«

Phase drei beginne, sagt der Dopingjäger, wenn Ferrari ganz sicher sei, dass der Fahrer unbedingt wolle und den Mund halte. Dann mache der Arzt, dessen Beiname »Mr. 10 Prozent« laute, den Vertrag, und er erhalte ein Zehntel aller künftigen Einnahmen.

Ferrari ist nicht der erste der lt. ZEIT EPO in den Radsport einführt, aber der erste der es kontrollieren kann. EPO verdickt das Blut, wer nicht genau weiß wie es anzuwenden ist, stirbt den Herztod oder wird zum Dialysepatient. 20 Radfahrer sterben Anfang der 90er Jahre an Herzstillstand.

Rominger spricht in der ZEIT so offen wie nie zu EUROSPORT-Zeiten über den Druck:

Als Leader ist dann alles extrem. 1994 hat das Team Mapei in mich sieben bis acht Millionen Franken investiert, sie haben meine ganze damalige Mannschaft gekauft, nur weil ich dort noch einen Vertrag hatte, Mapei aber unbedingt einen großen Fahrer wollte, der Rundfahrten gewinnen kann. Da ging es nur um mich. Das sind 70 bis 80 Leute. Da muss Leistung da sein. Da müssen Resultate kommen. Das Allermindeste: In einer der drei großen Rundfahrten aufs Podium, besser gewinnen, und dann Siege bei anderen Rennen. Da muss dir jeden Tag bewusst sein: Wenn du nicht vernünftig fährst, sind 70 arbeitslos.

Die Etappen

Ich finde die Streckenführung der diesjährigen Tour sehr unharmonisch, sehr unorthodox. Von der Atlantikküste, knapp “unterhalb” der Bretagne geht es vier Etappen lang direkt ins Landesinnere gen Paris, nichts aufregendes. Nach einer kleinen Überfahrt geht es mit zwei Etappen gen Osten, das heißt der Norden Frankreichs fällt diesmal völlig aus. Etappe 7, 230km nach Karlsruhe ist wie geschnitzt für einen Ausreißversuch für Jens Voigt.

Mit dem ersten Wochenende geht es in Richtung Berge. Von Pforzheim aus geht es 231km in die Vogesen rein. Kurz vor Ende der 231km gibt es einen 26km langen Anstieg auf einen Berg der zweiten Kategorie. Am Sonntag 6 Berge in den Ausläufern der Vogesen ehe es nach einem Ruhetag volle Kanne in die Alpen geht.

Etappe 10, 192km, am Dienstag sieht zwei Alpen-Berge der ersten Kategorie. Zuerst der Cormet de Roselend (20km à 6%) und dann das Ziel am Courchevel (22,2km 6,2%). Der Tag darauf ist nicht minder monströs. Nach einer 30km langen Abfahrt geht es zum Col de la Madelein (HC, 25km, 6%), danach dem Col de Télegraphe (Kat. 1, 12km 6,7%) und Col du Galibier (17,5km, HC, 6,9%). Das Ziel liegt aber hinter einer 30km langen Abfahrt vom Galibier, so daß ich mich frage, ob dort wirklich die Favoriten auseinanderfliegen können. Wenn die Mannschaften auf dieser Etappe attackieren wollen, dann müssen sie es bereis am Col de Madeleine machen und dann gibt es ein Blutbad im Gesamtklassement.

Nach diesen beiden reinrassigen Alpenetappen Mitte der zweiten Woche geht es zu Flacketappen gen Mittelmeer.

Mit dem Samstag kracht es aber wieder, denn die erste Pyrenäen-Etappe ist wie geschaffen für eine Schlacht der verbliebenen Favoriten. 220km lang fängt die Etappe im Flachen an, mit einigen Hügeln, ehe nach der Verpflegungstelle eine immer steiler werdende Steigung zum Port de Pailhères einsetzt. Es geht 50km zum Berg der HC rauf, die letzten 15km mit 8%. Nach einer steilen Abfahrt geht es nocheinal 9km 7% zum Ziel in Ax-3-Domaines rauf. Wenn es heiß ist, werden die Pyrenäen Ullrich die Niederlage beibringen.

Am Sonntag die zweite Pyrenäen-Etappe: ein Rauf-runter-rauf-runter mit 6 Bergen der 2ten, 1ten und HC-Kategorie. Nach 205km wartet St.Lary-Soulan mit 10km Steigung un 8,3%. Aber ich glaube dass zu dem Zeitpunkt bei der Tour schon alle Messen gesungen sind, die Entscheidung über den Toursieger schon gefällt ist.

Nach einem Ruhetag geht es von den Pyrenäen ins Zentralmassiv. Wieder so ein Grund warum die Tour dieses Jahr “unklassisch” ist: Bordeaux ist kein Zielort.

Idiotischerweise gibt es das einzige Einzelzeitfahren am vorletzten Tag, am Samstag. 55km rund um Saint-Etienne, die Ausläufer des Zentralmassivs sind noch zu spüren und es gilt einen Berg der 3ten Kategorie zu stemmen.

Ich bleibe dabei: mir gefällt der diesjährige Streckenverlauf überhaupt nicht und mir stößt es auch übel auf, dass man anscheinend der Quote wegen, auf Krampf die Berge an die Wochenenden legt, mit entsprechenden Folgen für den Streckenverlauf,

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. warum glaubst du, dass bei Hitze die “Pyrenäen Ullrich die Niederlage beibringen” ? Versteh ich nicht.

  3. Als absolute Pflichlektüre kann ich noch dieses Interview mit Rolf Aldag empfehlen. Ich habe jetzt noch Lachtränen in den Augen…

  4. Auch ich erinnere mich noch gut an die alten ARD-Übertragungen. Nachdem ich meinen kleinen Helden “Lucio Herrera” im rotgepunkteten Bergtrikot die Anstiege erklimmen sah, bin ich hinterher aufs Rad und hab mir unseren Feldberg vor der Tür gleich mehrfach vorgenommen (10 Höhenmeter auf 50 Meter Anstieg!:). Tja und heute: wird Eurosport geguckt – trotz Karsten Migels. Immer noch besser als der Oberschleimbolzen Hagen Boßdorf. Na ja, wenn Ulle dann abgetreten ist, werden ARD und ZDF sowieso ihr Engagement überdenken – siehe Tennis nach Becker…

  5. Wahrer Erbe von Angermann ist nicht JBK, sondern Norbert König – genauso klein, keuchend und bar jeder Kompetenz.

  6. Ja, nehme ich größtenteils zurück, Irrtum meinerseits. Ich hatte “Hitze” mit “Kälte” bzw. “Nässe” verwechselt, bei der Ullrich in der Tat Probleme bekommt.

    Ich meine aber dass er auch irgendwann mal in den Pyrenäen bei Hitze mal einen Hungerast hatte… anyway, mein Fehler, nehme ich zurück.