Deutschland – Australien 4:3. Bestandsaufnahme

Das Spiel war eine Enttäuschung für mich. Ich hatte einen anderen Auftritt der deutschen Nationalmannschaft erwartet.

Nach nicht ganz einem Jahr Amtszeit von Jürgen Klinsmann und Jogi Löw zeichnet sich so etwas wie das “ideale” deutsche Spiel ab. Ein Spiel das sich vorallem über den Raum, Tempo und Aggressivität definiert. Im Idealfall wird der Ball im Mittelfeld abgeknöpft und mit schnellen Gegenzügen Druck aufgebaut. Dabei soll die gesamte Mannschaft agieren und sich ggf. zurückziehen oder nach vorne hin operieren, so dass jeder Ballträger immer drei Anspielstationen zur Verfügung hat.

„Gute Mannschaften erkennt man daran, wie viele Anspielmöglichkeiten der ballführende Spieler hat“, erklärt Joachim Löw. „In Deutschland gibt es Mannschaften, bei denen man das Spiel ohne Ball wenig ausgeprägt sieht.“ Man könnte auch sagen: Mannschaften, bei denen das Spiel ohne Ball funktioniert, heben sich positiv von der Masse ab. Die Bremer zum Beispiel haben das in ihrem Meisterjahr so überzeugend praktiziert, dass manchmal der Eindruck entstanden ist, als hätten sie einen Spieler mehr auf dem Platz.

Solche Überlegenheit ist keine Frage der Begabung, sondern oft ganz einfach das Resultat harter Arbeit. „Wir müssen das Stehen aus den Köpfen kriegen. Bei Top-Mannschaften kann man das gut beobachten“, sagt Löw. „Da sprinten drei Spieler von dem ballführenden Mann weg, die den Ball gar nicht bekommen. Sie reißen nur eine Lücke für den vierten Spieler, der angespielt wird und das Tor macht.“

(Löw im Tagesspiegel)

Da wollen Klinsmann/Löw hin, das ist die Latte an der sie sich messen lassen müssen. Wo war der Fußball vor einem Jahr, wo ist er jetzt. So unwichtig das Turnier für die meisten Mannschaften ist, für die deutsche Nationalmannschaft ist er die erste und vor der WM einzige Möglichkeit zur Standortbestimmung.

So gesehen war das gestrige Spiel enttäuschend, phasenweise sogar grausam.

Der Knackpunkt des Spiels war die Abwesenheit des Mittelfelds. Zu selten gab das Mittelfeld Impulse nach vorne, zu selten war es die erste Abwehrfront die sich vor den Australiern aufbaute.

Es gab gestern die wunderbare Taktikkamera von PREMIERE, die das ganze Spiel aus der Vogelperspektive übertrug. Und sie zeigte die immense Lücke die sich zwischen der ziemlich klassisch spielenden Vierer-Abwehrkette (Hitzslperger, Mertesacker, Huth, Friedrich) und dem Mittelfeld auftat. Wenn Mertesacker nach dem Spiel in einem Interview davon sprach, dass die Australier mit Überzahl angerannt kamen, dann sprach er just von dieser Lücke. Von hinten heraus hatte die Abwehr kaum Anspielstationen und in dem Bereich zwischen deutschen Strafraum und Mittellinie konnten die Australier fast ungehindert agieren.

Das deutsche Spiel war zudem überwiegend statisch, was sich auch an einer hohen Zahl von Flanken aus dem Halbfeld zeigte, die an düsterste Nationalmannschaftszeiten unter Christian Ziege oder Jörg Heinrich zeigte. Das waren Verlegenheitslösungen.

Ich habe einiges an der Startaufstellung nicht verstanden und noch weniger die Einwechselungen nachvollziehen können. Ich bin mir daher nicht über den Stellenwertes des Spiels sicher, ob Klinsmann/Löw ob der vermeidlich schwachen Australier die Partie nutzen wollten um einiges auszutesten oder ob die Aufstellung bereits die Idealformation darstellen sollte.

Es gab für mich zwei Überraschungen in der Startformation: Friedrich als Außenverteidiger und Frings als defensiver Mittelfeldmann.

Es gibt für den rechten Verteidiger drei Alternativen (Owomoyela, Hinkel, Friedrich) von denen der Berliner m.E. die defensivste Variante ist. Auch wenn Friedrich sich bei Hertha in dieser Saison verstärkt ins Angriffsspiel einschaltete, ist er von den drei die offensiv schwächste Möglichkeit. Muss man gegen Australien wirklich die defensivste Variante ziehen? Für meinen Geschmack wäre es der ideale Gegner um Owomoyela und Hinkel weiter auszutesten, zumal Hinkel für meinen Geschmack im Russlandspiel deutliche Aufwärtstendenzen zeigte.

Friedrich war fleissig aber im Spiel nach vorne fand er häufig keinerlei Bindung mit Schneider und wirkte öfters kopflos. Aber immerhin konnte er sich zweimal entscheidend in Szene setzen, als sein verunglückter(?) Schuß von Kuranyi ins Tor gelenkt wurde und er durch sein Eindringen im Strafraum einen Elfmeter herausholte.

Wenn Defensivmann im Mittelfeld, dann Ernst oder Frings. In den letzten Testspielen hat m.E. Fabian Ernst den ungleich stärkeren Eindruck gemacht. Frings ist auch gestern völlig untergegangen. Oben erwähnte Problematik, dass die Australier die Vorherrschaft im Mittelfeld hatten, macht sich dann eben auch an Frings fest. Warum Ernst nur als Alibi wenige Minuten vor Schluß eingewechselt wurde, i don’t know.

Wenn es etwas positives zur deutschen Mannschaft zu sagen gibt, dann das sie phasenweise nettes Kombinationsspiel zeigte. In der Ära der Finsternis (a.k.a. Vogts und Ribbeck) wurde Druck meistens qua Kraft oder Einzelaktionen erzielt. Entweder ein Matthäus-Gewaltakt oder irgendeine Flanke die nutzbringend Verwertung fand.

Hier muss man sagen dass alle vier Tore (bzw. Elfmeter) sauber herausgespielt wurden und immer wieder kleine Rohdiamanten im deutschen durchscheinen. Das vierte Tor zum Beispiel: Ballack dringt ein und anstatt den Kunstschuß aus spitzen Winkel zu versuchen, gibt es die Abgabe zurück wo Podolski dort steht, wo er zu stehen hat. Das sind die leckeren Momente im deutschen Spiel gewesen.

Der Angriff: Kuranyi, Podolski
Kann man nicht viel zu sagen. Das was zu machen war, haben sie gemacht. Grundsätzlich hatten sie das Problem, dass sie zu wenig gefüttert wurden. Podolski wirkte besser als Kuranyi, weil er sich vorallem in der zweiten Halbzeit zurückhängen ließ um selber aus dem Mittelfeld heraus Angriffe zu initiieren.

Die Hereingabe von Asamoah war noch so eine Einwechslung die ich nicht verstand. Wenn Stürmer wegen mangelnder Vorlagen verhungern, hole ich doch keinen Asamoah rein. Asamoah ist im Gegensatz zu Podolski keiner der aus dem Mittelfeld heraus was starten kann, sondern eher ein Wühler in Tor- oder Eckfahnennähe.

Offensives Mittelfeld: Schweinsteiger, Ballack, Schneider
Schweinsteiger war der agilste und kreativste, litt aber sichtbar drunter, dass er keinen adäquaten Gegenpart hatte. Nicht umsonst war er immer dann am besten, wenn er sich im Zusammenspiel mit einen Partner in Szene setzen konnte, besonders mit Podolski.

Sinngemäß gilt das auch für Schneider, der offensichtlich nichts mit Arne Friedrich anfangen konnte. Die Auswechslung von Schneider gegen Deisler sieht immer noch mehr nach Beschäftigungstherapie für Deisler aus. Er ist dermassen ohne Anbindung imSpiel. Er hat einen Sprint nach dem anderen angezogen um dann vorne irgendwo zu verhungern. Erst der verloren wirkende Friedrich und dann der einsame Deisler: nach der Einwechslung war die rechte Seite tot, alleine Podolski sorgte für Belebung.

Das fehlende Verbindungsstück für Schneider, Schweinsteiger und den Stürmern war Ballack, der zu selten lichte Momente hatte und häufig sehr statisch wirkte. Der quasi abwesende Ballack machte häufig aus Schneider und Schweinsteiger einsame Tänzer auf großer Bühne.

Defensives Mittelfeld: Frings
Das war zu wenig. Diese Position war gestern die Schlüsselstelle und sie wurde von Frings mehr oder weniger aufgegeben und den Australiern überlassen.

Abwehr: Hitzlsperger, Huth, Mertesacker, Friedrich.
Die Abwehr agiert derzeit sehr vorsichtig und bleibt daher immer weit hinten. Im gestrigen Spiel wurde das zu einem echten Problem. Weil die Australier im Mittelfeld schalten und walten konnten wie sie wollten, kamen sie mit hoher Geschwindigkeit auf die Viererkette an der Strafraumgrenze herangeschossen. Dann quicke Kurz- oder Doppelpässe und die Verteidiger waren hoffnungslos ausgespielt, konnten nur noch hinterherrennen. Jedwede Ordnung wurde mit einem Pass komplett ausgehebelt und die Deutschen versuchten nur noch die nächstbeste Lücke zu stopfen.

Das ist ein Problem des fehlenden Mittelfeldes gewesen, aber auch ein Problem der sehr tief stehenden Abwehr, die offensichtlich nicht in der Lage ist, mit der Abseitsfalle solche schnellen Gegenzügen das Gift zu nehmen. Insofern ist es kleinkariert etwaige Kritik an Huth oder Hitzlsperger festmachen zu wollen. Es ist vielmehr die gesamte Abwehr und darüer hinaus ein Folge eines Dominoeffektes der bereits im Mittelfeld startete.

Etwas Bedenkliches kommt aber hinzu. Ich bin durchaus ein Freund der Torwart-Rotation gewesen, zumal sie zumindest bei Kahn zu Erfolg im Sinne besserer Leistung zeitigte.

Was aber gestern bedenklich stimmte, waren die immer wieder auftretenden Abstimmungsproblem zwischen Kahn und seinen Vorderleuten. Symbolisch dabei die 21te Minute, als Huth zuerst einen Freistoß verursachte, weil er einen überflüssigen Bodycheck machte, obwohl Kahn in der Nähe war. Und dann der Freistoß selber, bei dem in der Mitte hochgesprungen wurde. Beides Dinge die auf zuwenig Kommunikation zwischen Kahn und den Abwehrspielern hindeutet.

Zu guter Letzt, um die eher schlechte Laune abzurunden: Im Confed-Cup wird man meines Wissens nach der zweiten gelben Karte für ein Spiel gesperrt. Und gestern wurde einiges vom gelben Karton verteilt: Ballack, Huth, Schweinsteiger, Friedrich. Da rollt ein Problem auf die deutsche Mannschaft zu, hinsichtlich des dritten Gruppenspiels, gegen Argentinien.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. […] Kürzlich habe ich bei Alles außer Sport entdeckt, dass Kai Pahl auch schon vom Konföderationen-Pokal 2005 berichtete. Dieses Turnier war das erste große, das ich live im Stadion erleben durfte. Ich hatte Karten für das Halbfinale in Nürnberg ergattern können und mein Traum wurde Realität: Deutschland zog ins Halbfinale ein. Der Gegner eine Macht: Brasilien – und dieser Kracher würde mein erstes Länderspiel im Stadion werden. Dummerweise wurde es nicht nur das, sondern auch die einzige Niederlage für Deutschland im Rahmen des Turniers. Deutschland wurde schließlich Dritter, Brasilien gewann das Turnier und ich konnte mich darüber freuen, eine aufopferungsvoll kämpfende deutsche Mannschaft gesehen zu haben. Aber zurück zu Allesaussersport und dem Confed-Cup. Wie gesagt schmökerte ich interessiert duch Kai Pahls Notizen zu dem Pokal und wurde an einer Stelle stutzig, nämlich dem Spielbericht über die Vorrunden-Partie gegen Australien. […]