Zeilensport: Streifschuß.
Auf der sonntäglichen Medienseite des Tagesspiegel gibt es einen Artikel von Bernd Gäbler, dem vor kurzem im Streit vom Adolf-Grimme-Institut gegangenen Geschäftsführer: “Die Daumendrückerkolonne“. Der Artikel konstatiert den Niedergang des deutschen Sportjournalismus.
[…] So wie es dem Fernsehen insgesamt ergeht, das durch die vielen Gewinnspiele und Sponsorenhinweise, „Mitmach“-Sender und Shopping-Kanäle immer unruhiger und billiger wirkt, ergeht es auch dem Sport: Ruhe und Sachlichkeit, Hintergrund und leider auch die journalistische Formenvielfalt verflüchtigen sich.
Seine Beschreibung ist zwar zutreffend, aber ergießt sich nur in zeilenlangen Aufzählungen von Ereignissen und Versäumnissen, ohne das die Strukturen dahinter oder Verbesserungen vorgeschlagen werden. Gäbler konzentriert sich auf das Fernsehen, aber wieviel Hochprozentiges gibt es in Zeitungen oder im Rundfunk, die prinzipiell z.B. frei von Zwängen wie tagtäglich überprüfte Quoten oder Sponsorenhinweisen und 0180-Quiz-Spiele sind?
So gesehen schlägt Gäblers Artikel in eine Kerbe, die längst geschlagen war und daher etwas billig daherkommt.
Mir scheint das Problem zu komplex zu sein, als das ein “und wir bemühen es 2006 besser zu machen” hilfreich wäre.
Das Problem der journalistischen Qualität läßt sich zuvorderst an den Journalisten selber festmachen. Es gibt zuwenig Leute vom “Idealtypus” Marcel Reif, der es (zu seinen besten Zeiten) versteht, einerseits intellektuell ansprechende Sprache und Analysen zu liefern, andererseits kraftvoll genug ist, um “die Dramatik eines sportlichen Wettbewerbs zu transportieren” (O-Ton Boßdorf) und damit auch die normalen Zuschauer erreicht.
Intellektuelle Gespräche über den Sport werden nie soviel Publikum erreichen, dass Massenmedien bereit sein werden, Platz dafür freizuschaufeln. Der Erfolg von “11 Freunde” zeigt dass es zwar eine Zielgruppe gibt, aber ich bezweifle dass ein “11 Freunde”-Magazin in “teureren” Medien wie Fernsehen erfolgreich arbeiten könnte.
Daher muss fortwährend der Spagat zwischen Intellekt und Populismus gesucht werden und dazu braucht es Marcel-Reif-eske Journalisten. Nur gibt es von diesen zu wenige und es gibt in Deutschland vorallem keine Strukturen die diese Leute heranführt.
Man schaue sich nur an einem schlichten Sonntag den DSF-Doppelpaß an, was da an Experten und Journaille eingeladen ist, würde ich vorher an die Wand stellen und mit Saktrotan abspritzen bevor sie in mein Wohnzimmer dürften.
Radio komplette Fehlanzeige, Zeitung: dünn, dünn, dünn, Fernsehen: man muß schon glücklich sein, wenn man Kommentatoren hat, die zwei Sätze geradeaus sagen können, ohne dabei in die Phrasenschachtel zu greifen. PREMIERE hat beispielsweise 2003 aus Kostengründen die Kommentatorenschulungen und -analysen gestrichen (keine Ahnung ob sie sie wieder eingeführt haben).
Gebt den Leuten Formate an denen sie üben können. Dies sind aus Kostengründen in der Regel eher Zeitungsformate oder Rundfunkformate. Doch die Kultur der Rundfunkreportage ist selbst in der ARD völlig tot, kein Vergleich zu den 70er- oder 80er-Jahre, die ich als Jugendlicher erleben durfte. Selbst in den Wortsendern wie den Nachrichtenkanälen B5aktuell, MDR-Info, HR-Info, NDR Info etc… oder Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk regieren die Scheintoten. Ich sage nur “Peter C. Fischer” oder “Herbert Fischer-Solms”, die seit Jahrzehnten dort zwar kultiviert aber mit den Charme von Knäckebrot reportieren und moderieren. Das Sport-Feature im Deutschlandradio Kultur, zur völligen Idiotenzeit sonntags 17h30, ist so originell wie ein selbstgestrickter Topflappen.
Hier gilt es den Hebel anzusetzen. Dann bekommt die ARD vielleicht auch mal wieder adäquate Sportjournalisten.
Reaktionen
Hatte das Vergnügen, die letzten Tage auf der Insel verbracht zu haben. Heute morgen (mit leichtem Schädel) “Match of the day” genossen. Kein Gesülze á la Delling/Simon/Wonti/Gronewald, sondern Journalismus. Fakten (Aufstellungen, Verletzungen, usw.) kombiniert mit einem Kommentar, der emotional aber nicht Hansch ist. Kurzum: Diese Sendung hat Würde.
Dass es sowas insbesondere nicht im öffentlich-rechtlichen TV gibt, zeugt vom bemitleidenswerten Geisteszustand deutscher Sport”journalisten”.
Wer dennoch auch in London auf F.v.Thurn und Taxis nicht verzichten möchte, dem sei das Pub direkt an der Station “West Kensington” an Herz gelegt.
“Kurzum: Diese Sendung hat Würde.“. Großer Satz. Wichtiger Satz.