Nach den Det-Riots
Zwei US-Sport-Ereignissen der letzten Woche, nur “zufällig”, aber in den USA in dem ein George W. Bush vorallem von wertkonserativen Christen zum Sieg getragen wurde, liefern sie viel Gesprächsstoff.
Detroit-Riots
Da sind die Ausschreitungen im NBA-Spiel Detroit – Indiana vom Freitag. Ron Artest schubst Ben Wallace, Wallace schubst zurück und es entwickelt sich eine nicht unübliche Prügelei unter den Spielern untereinander. Für eine Eskalation sorgten eh als rüde bekannte Detroit-Fans. Kaum hat sich die Schlägerei gelegt, traf ein Fan mit einem vollen Bierbecher Ron Artest, der nun völlig ausrastete und in die Zuschauer rannte. Nun entbrannte ein Kampf zwischen Spieler und Zuschauer in denen etliches, bis hin zu Plastikstühlen als Wurfgeschosse verwendet wurde. Es gab neun Verletzte (eine “Timeline” der Geschenisse bei CNNSI).
Die Partie wurde abgebrochen, die Security begleitete die Pacers-Spieler, unter einem Hagel an Wurfgeschossen und Flüssigkeiten, in die Kabinen.
Gestern hat nun die NBA offiziell reagiert. Nach Betrachtung sämtlichen Videomaterials hat sie vier involvierte Spieler für unbestimmte Zeit gesperrt hat: Ron Artest/IND, Ben Wallace/DET, Stephen Jackson/IND und Jermaine O’Neal/IND. Zumindest für Artest soll gerüchteweise eine Sperre bis Saisonende im Raum stehen.
Artest ist berüchtigt für Wutausbrüche (letzte Saison drei Spiele wg. Zerstörens eines Fernsehmonitors gesperrt, vor zwei Jahren gerichtlich angeordenete psychologische Behandlung wg. Gewalt in der Ehe) und kam erst in der Vorwoche in die Schlagzeilen, als er seinen Coach bat, ihm doch eine Zeit lang pausieren zu lassen, damit er sein frisch erschienenes Rap-Album promoten kann. Der guckte erstaunt und verbannte ihn für zwei Spiele auf die Bank.
Artest ist der Prototyp von Athlet, der derzeit nicht nur in den USA immer stärker in der Öffentlichkeit präsent ist: ein Individualist der einen Mannschaftssport als Sprungbrett zur eigenen Profilierung benützt.
Dies steht in einem krassen Gegensatz zu den Bemühungen der professionellen Sportligen wie NBA, NFL oder auch dem europäischen Fußball sich als familienfreundliche Dienstleistung zu definieren.
Family Man
Familienfreundlich heißt immer “Konsens” und “kleinster gemeinsamer Nenner“. Alles was gegen die Masse löckt, wird als Gefahr für das Image und damit für das Geld gesehen.
Dummerweise gibt es aber auch die andere Seite der Medaille: bei aller Propagierung Vogt’sche Weisheiten wie “Das Team ist der Star“, in der Regel lassen sich Ausnahmeteams immer über Ausnahmespieler definieren. Gerade jugendliche Fans lieben weniger Mannschaften, diesen komplexen, schwer zu verstehenden “Organismus”, sondern den Einzelspieler, der leichter zu fassen ist.
Daher ist es für NBA und NFL immer ein Eiertanz inwieweit sie Eigenarten wie die eines Terell Owens dulden müssen, um selber vom Glanz der Person zu profitieren. Diese Spieler spiegeln die jetzigen Zeiten des wachsenden Egoismus bzw. Individualismus wieder. Der Sportler als “Ich-AG“.
Persönlichkeits-Coaching
Kein US-amerikanisches Phänomen. Das markanteste deutsche Beispiel ist Oliver Kahn. Nach der gewonnenen Last-Minute-Meisterschaft-Championsleague-Double und den einprasselnden Medienreaktionen, hat er seine “Wichtigkeit” bemerkt und versuchte fortan sein öffentliches Auftreten auch außerhalb des Fußballplatzes zu steuern und dadurch besser zu vermarkten. Da wurden die Klamotten gewechselt, eine neue Frisur verpasst und gewollt wirkende Liebesaffären angefangen.
Der “Backlash” begann mit der WM 2002, Stichwort Finale, und bis heute leidet Kahn an der von der Öffentlichkeit empfundenen Diskrepanz zwischen gewollter Wichtigkeit und abgelieferter Leistung. Kahn hat sich in Mannschaft und Öffentlichkeit durch die eigene Überhöhung ins Abseits manövriert.
Der wachsende Egoismus der Spieler birgt gefahren für die Interessen von Mannschaft und Verbänden. Vereine und Verbände riskieren zu Geiseln von Spieler und Spielergewerkschaften zu werden.
Ein familienfreundlicher Konsens läßt sich eher aus einer gesamten Mannschaft herausdistillieren, als aus einem einzelnen Twen, der qua Definition andere Interessen hat als der Bevölkerungsdurchschnitt. Wäre sich der Zuschauer bewusst, was für Rap-Kids in der NFL regieren oder wie stark der testerongeschwängerte Männlichkeitswahn im NFL-Kader verbreitet ist, ob es ihn nicht doch lieber zu den sympathischen Jungs und Mädels vom Hallen-Halma zöge?
Also müssen immer wieder Mechanismen greifen, um die Auswüchse an Individualismus zu beschneiden.
Aus Sicht des Hard-Core-Fans sind diese Maßnahmen meistens unverständlich. Als Beispiel sei die FIFA-Anweisung genommen, wonach ausgiebiger Torjubel verboten ist, explizit das Trikots-Ausziehen.
Einerseits nachvollziehbar, da das Ausziehen selber immer mehr zelibriert wurde, immer abgewichster und geplanter wirkte, bis hin zu einem Totti, der nach einem Tor minutenlang an den Kameras der RAI rumfuchtelte und auf eigene Fans rumzoomte. Das war keine Zelibrierung des Tors, sondern des eigenen Ichs.
Andererseits ist die Regelung zu pauschal, da viel Torjubel statt es bei einem geschäftsmäßigen Händedruck zu belassen, immer noch gemeinschaftlich gefeiert wurde und als solches wiederum das Mannschaftsgefüge festigte. Vulgo: es waren einfach geile Szene.
Am abgefucktesten in Sachen Jubel ist die NFL, wo mitunter Handys oder Stifte auf dem Spielfeld oder der Kleidung versteckt wurden, um im Falle eines TDs, in der Endzone vor laufenden Kameras die Mutter anzurufen oder Bälle zu unterzeichnen. Hier schritt die NFL nun ein und hat einen Passus für übertriebenen Jubel mit Hilfe von Fremdgegenständen untersagt. Das was Joe Horn und Terell Owens getrieben haben, war eben eine andere Größenordnung als der simple, gutmütige “Lambeau Leap” in die Zuschauer rein.
Mit ihrem Anliegen um gerade zu jeden Preis familienfreundlich zu bleiben, wird aber einiges übertrieben, werden überkommene moralische Vorstellungen propagiert.
Ein Rücken ist keine Titte
Womit wir wieder bei den wertkonserativen Christen in den USA sind und deren Vorstellungen von Moral die derzeit als Konsens in der Öffentlichkeit durchgedrückt werden und die so wenig mit europäischen Empfindlichkeiten zu tun haben.
Unter der Woche gab es große Aufregungen um einen Teaser zum NFL Monday Night Game, als Nicollette Sheridan den Eagles-Spieler Terell Owens umarmte und dabei das Badehandtuch fallen ließ und ihr blanker Rücken zu sehen war.
Man hätte in der Tat darüber diskutieren können, inwieweit die neuerliche exponierte Darstellung eines Owens dem Mannschaftsgefüge und der Sportart gut tut, denn – Hand aufs Herz – wer möchte einen solchen Egomanen als Nachbar haben?
Tatsächlich entzündete sich aber die Diskussionen um den nackten Rücken. Ganz vorne wieder mit dabei: Michael Powell, Bruder vom (Ex-)US-Außenminister, der der FCC vorsteht, einer Art staatliche Medienaufsicht.
ABC tat betroffen, die NFL empörte sich. Ein Blick auf eine Karte mit den Ergebnissen der US-Wahl und ein Vergleich mit den NFL-Standorten läßt ahnen, dass die Entschuldigung mehr als nur pflichtschuldig war.
So weit so gut, die Aufregung schien sich gelegt zu haben, …
Eine Rassenfrage
… ehe Colts-Headcoach Tony Dungy ein neues Faß aufmachte. Dungy ist eine der ganz wenigen schwarzen Headcoaches in einer Sportart die von Schwarzen zumindest nominell dominiert wird und Dungy gilt als Intellektueller unter den Cheftrainern.
Dungy machte den Trailer zu einem Rassenproblem. Wohlgemerkt: den Trailer selber, nicht die Aufregung!
In einer routinemäßigen Pressekonferenz wurde er zu seiner Meinung zum “Towelgate” befragt. Dungy empfand die von ABC im Trailer dargestellten Stereotypen als rassistisch: der Schwarze Womanizer der in der Umkleidekabine erst eine Weiße heiß macht und sich dann aus der Verantwortung schleicht (“ich muß aufs Spielfeld”). Gerade im Lichte des Kobe-Bryant-Prozeßes (mutmaßliche sexuelle Nötigung. Strafrechtliches Verfahren wurde eingestellt, es kommt aber zu Schadensersatzklage gegen Bryant).
Zum den verwendeten weiblichen Stereotypen sagte Dungy nicht. Es würde auch angesichts der diversen Cheerleader-Photos auf der Colts-Website Hypokrisie in Reinkultur.
Dungy lieferte Nahrung damit die Debatte weiter ging und Dan Rooney, eine der alten Garde von NFL-Besitzern (die Rooney-Familie ist Besitzer der Pittsburgh Steelers seit 1933) bekam in der NY Times Gelegenheit sein Entsetzen Ausdruck zu geben und die generelle Richtung der NFL zu hinterfragen. Womit wir wieder bei dem Problem der immer extravaganteren Spielertypen im Profisport sind.
I thought it was disgraceful. Worst was that it used one of our players in uniform in the locker room – who claimed that “the team’s going to have to win without me.” That is not N.F.L. football. The Steelers, and the 31 other clubs that make up the league, are a team. We play as a team. This promotion simply did not belong in that context, and that’s what sparked my reaction. […]
Our game represents special values: tough but fair competition on a level playing field, teamwork, an extraordinary work ethic and a diverse meritocracy. We represent achievement and excellence based on performance, not on extraneous outside personal factors.
The National Football League sits atop football, but the league’s values have their roots in football at many other levels, in Pennsylvania and in thousands of communities across America. Its values are nourished in urban, suburban and rural communities; in thousands of football teams, leagues, and organizations; and with millions of coaches, players, and parents at the youth level.
Der Sport muss sich angesichts der “neuen” Spieler die Frage stellen, was für Werte er transportieren will. Ob er versucht die Gesellschaft als “role model” zu beeinflußen oder aber sich der Gesellschaft anpasst in dem er extrovertierte Spieler ihren Freiraum läßt.
Pimp my ball
Ein Kolumnist der NY Times, William Rhoden, fasst es gut zusammen:
“Kids don’t know he’s acting,” Dungy said, referring to Owens. “They don’t know that he doesn’t act like that. My 12-year-old son loves Marvin Harrison. He wears his hat the way Marvin wears his hat, he walks the way Marvin walks, he talks the way Marvin talks. You can’t tell me there are not a lot of kids in Philadelphia who look up to T. O. the same way.”
With all due respect to Dungy, children know better than their parents that much of what they see and hear is an act, a drama. That’s why one of the most enduring slogans of this generation is “Get Real.”
The N.F.L. had better get real.
Owens is narrowing the gap between the “Pimp My Ride” culture and the stodgy N.F.L.
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