Tour-Tag 17: Adieu Alpen

oder: Der Rache des Lance Armstrongs. Eine Nachbetrachtung

Es gab bei der gestrigen Etappe, die letzte Bergetappe, ein Ereignis, dass die französischen Reporter erregte, aber, wie ich später feststellte, bei EUROSPORT und in der ARD-Radioberichterstattung keine Rolle spielte, obwohl die Konsequenzen weitreichend sein könnten.

Armstrong war heuer mit Helfer Floyd Landis vorne zugegen. Bei der Fahrt auf den letzten Berg, dem Col de la Croix Fry, 6km vor dem Ziel, beschleunigte man vorne das Tempo, es kam zu einem Ausscheidungsfahren und es blieben nur noch fünf Mann vorne, u.a. Armstrong, Landis, Ullrich und Klöden.

Bei der Abfahrt attackierte dann Landis und fuhr den anderen davon. Ullrich setzte kurze Zeit hinterher und holte Landis ein. Armstrong fuhr sofort hinterher und als er Ullrich einholte, gab es bei 90kmh einen erregten verbalen Disput zwischen Armstrong und Ullrich. Wie man aus den Gestiken und Mimiken ablesen konnte, wollte Armstrong Landis den Sieg schenken und war sauer, dass Ullrich hinterhergestiegen ist. Ullrich schüttelte mehrmals mit dem Kopf und zeigte immer wieder auf Landis.

Die Reporter von FranceInter sagten zu dem Zeitpunkt voraus, dass Armstrong Rache nehmen wird und bei dieser Etappe keinen Sieg von T-Mobile wird zulassen.

Genau so kam es, Klöden wurde einen Meter vor dem Ziel von Armstrong überholt.

Die französischen Reporter riechen nun gewaltigen Ärger auf Armstrong zu kommen, der mit dieser billigen Racheaktion es sich mit dem Peloton endgültig verscherzt haben soll.

Davon, wie gesagt, kein Wort bei EUROSPORT oder der Radio-Übertragung der ARD. Was aber bei der ARD-Radioübertragung interessant war und was ich so bislang weder bei den französischen Radioübertragungen (schlechte Tonqualität) oder im Fernsehen gehört habe: Lance Armstrong wurde bei der Zielankunft richtiggehend ausgepfiffen.

Wenn das französische Fernsehen ähnlich wie die Radiokollegen reportiert hat, dann wird es für ihn dieses Jahr keinen warmen Publikumsempfang mehr geben.

Ein Wort zu Ullrich und Klöden: auch wenn es “nur” um die Plätze 2 und 3 auf dem Podium in Paris geht, fand ich die Angriffigkeit der beiden heute angenehm. Hiermit ziehe ich meine Kritik an Ullrich während der Pyrenäen-Etappe zurück und gebe ihn noch nicht als hoffnungslosen Fall auf.

Und in dem Maße wie sie sich in den letzten Tagen die Zähne an Armstrong ausgebissen haben, in dem Maße sind sie in Frankreich populärer geworden.


[12h43] — Inzwischen wird der erste Unfall der Tour-Karawane gemeldet. Ein Motorad soll beim Schleudern ein Kind erfasst haben. Über Verletzungen ist noch nix bekannt.

Die Abfahrt vom Col due Glandon ist offensichtlich schwer. Verfolger Astarloza kam ebenso zu Sturz wie Scarponi im Peloton. Gleichzeitig haben Virenuqe und Erzfeind Moreau die Abfahrt genutzt, um aus dem Peloton rauszufahren. Sie liegen nun 45Sekunden vor dem Peloton.

Auch das Spitzen-Quintett profitiert von der Abfahrt und kann den Vorsprung auf 6min30 vergrößern. Die Spitze erklimmt in wenigen Augenblicken den Col du Madeleine.

[12h24] — Letzte Alpen-Etappe. Was wie ein Abgesang wirkt, hat immerhin noch zwei legendäre Bergwertungen: der Col du Glandon (Kat. 1) ist soeben von der Spitzengruppe passiert worden und der Col de la Madeleine (Kat HC). Danach gibt es noch 1x 2te Kategorie und 2x 1te Kategorie. Vom letzten Berg geht es dann 6km runter ins Ziel, nach satten 204,5km.

Wetter: Sonnig, Temperaturen zwischen 20 und 30Grad.

Heute morgen ging Roberto Heras gar nicht mehr an den Start, ein großer Name weniger.

Derzeitige Situation: Fünf Mann an der Spitze: Simoni, Simeoni, Aldag, Martin und Bertoli.

Knapp 3Minuten dahinter versucht Astarloza aufzuschließen, aber der Abstand zur Spitze wird inzwischen wieder größer.

Das Peloton liegt zwischen 5-6Minuten hinter der Spitze.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Interessante Info. Wenn es tatsächlich so war. Egal. Der gewinnt das Ding und kommt nicht wieder. Keiner wird ihm eine Träne nachweinen.

  3. Spaetestens mit der heutigen Aktion gegen Simeoni hat er bei mir den letzten Respekt verloren. Wenn er es noetig hat, seine Ueberlegenheit gegen einen Fahrer einer GSII-Mannschaft zur Schau zu stellen… Aber getroffene Hunde bellen ja bekanntlich.

    Chris

  4. Gerade im ZDF hat Rolf Aldag der Diskussion einen weiteren Aspekt hinzugefügt. Aldag sagte, wenn er im Team Armstrongs wäre, dann würde er auch nicht wollen, dass sein Chef einen Etappensieg verschenkt.

    Tatsächlich bringt jeder Etappensieg rund 7.620 € für die Teamkasse, ein zweiter Platz nur 4.000 € (laut Wikipedia). Das Argument kann ich verstehen.

    Was Armstrongs Aktion gegen Simeoni gestern angeht, muss ich Chris’ Kommentar aber zustimmen: Das war geschmacklos von Armstrong, besonders in Kombination mit seiner Geste, nachdem er wieder ins Feld gefallen war: Er verschloss pantomimisch seinen Mund mit einem Reißverschluss. Das zeigt den billigen Hass gegen einen Nestbeschmutzer, der ja zunächst nicht viel mehr getan hat, als sich selbst des Dopings zu beschuldigen. Dass er den gleichen Arzt wie Armstrong hatte – dessen Pech. Man soll also lieber die Klappe halten, als sich selbst des Dopings zu beschuldigen und damit zur Reinigung des Radsports beizutragen?

    Ein echter Champion müsste sich anders verhalten.

    Viele Grüße,
    SurfGuard

  5. Der Erfolg zählt immer nur eine Zeit lang. Anschließend sind Stil und Persönlichkeit gefragt.

    Moreno Argentin

  6. ich glaube kaum, dass sich ein mann wie armstrong ernsthaft darüber beschwert, dass ullrich seinem teamkollegen landis hinterhergeht. wenn überhaupt, dann in dem zusammenhang, dass sich us postal im gegensatz zu t-mobile fast immer an der führungsarbeit beteiligt hat und demzufolge auch einen tagessieg verdient hätte. aber armstrong ist doch realist – er hätte an ullrichs stelle genauso gehandelt. völlig okay also, die aktion.

    die sache mit simeoni hat da eher was mit rache zu tun. von diesen machtspielchen kann man halten, was man will. die wahrheit kennt niemand. also sollte man das auch nicht überbewerten.

    armstrong möchte jedenfalls gar nicht der liebling sein. er möchte zeigen, dass er der beste ist. und das ist er.

  7. Danke für die Info mit Simeoni, das hatte ich so nicht mitgekriegt (der ARD-Rundfunk sprach in seiner Reportage um kurz vor drei nur von einem Ausreißversuch von Armstrong, der sich dann zurückfallen ließ).

    Zwei Anmerkungen:
    – Es macht für mich den Eindruck, als würde Armstrong verbrannte Erde hinterlassen. Bin mir nicht mehr sicher, ob er nächstes Jahr zurückkehrt (wiewohl die Verträge mit DISCOVERY eher so gestrickt sind)

    – Die Reaktion auf das Manöver vom Armstrong gegen Simeoni fand ich beschämend. Recht wenig Reaktion in den Medien und aus dem Fahrerfeld war keine besondere Stimme zu lesen. Simeoni wurde ja explizit von den Ausreißern aufgefordert, sich fallen zu lassen.

    Dies halte ich für ein Statement des Pelotons. Bei der 17ten Etappe hatten sie Gelegenheit gegen Armstrong und Doping Stellung zu beziehen. Stattdessen haben sie lieber einen vermeidlichen “Verräter”, einen “Judas” abgestraft, der zuletzt nur noch in einem vom Vatikan gesponsorten Kleinstmannschaft einen Job fand.

    Wäre ich Verbandsoffizieller, würden bei mir alle Alarmglocken schrillen, und ich würde die Radsport-Teams in Sachen Doping-Bekämpfung derart in die Mangel nehmen, dass die danach nicht mehr wissen, wo unten und oben ist.

    Vorbild ist hier die USADA, die inzwischen Doping nicht mehr nur mit Doping-Tests, sondern kriminialistischen Mitteln via Indizienbeweis verfolgt. Dies geschieht, von Ausnahmen in Frankreich und Italien zu selten. Die Benelux-Länder und Spanien sind da gefordert.

    Mit der stillen Duldung der Armstrong-Aktion hat das Peloton Glaubwürdigkeit verloren. Ich erlaube es mir, sie in Sippenhaft zu nehmen.

  8. Ich denke, dass die Verbandsoffiziellen nicht reagieren werden – wer saegt denn schon am Ast, auf dem er sitzt? Und stille Duldung… ich darf hier mal Nardello zitieren: “Der spuckt in die Suppe, die wir alle löffeln.” Selbst Heppner auesserte sich auf Eurosport aehnlich, was zu ziemlich heftigen Zuschauerreaktionen gefuehrt hat. Stille Duldung ist was anderes. Ich werde den Eindruck nicht los, dass der ueberwiegende Teil der Herren dort voll bis zur Halskrause ist und eine Heidenangst hat, dass es ruchbar wird. Sehr passend in dem Zusammenhang auch:

    http://cycling4fans.de/index.php?id=12

    Chris

  9. Cooler Link, danke. Ich verweise dass ich aufgrund der BALCO-Geschichte hier auch eine eigene Doping-Kategorie aufgemacht habe.

    Die Verdrängung ist im Radsport ein interessantes Phänomen. Viele die mit dem Radsport beruflich involviert sind, Organisatoren, Fahrer und Journalisten, haben es lange auf Einzelfälle geschoben, bzw. tun es noch. Man erinnere sich wie Generationen von Radsport-Kommentatoren und -Analysten sich bei dieser Frage herumwinden/gewunden haben: Klaus Angermann und Tony Rominger (auch ein Dr.Ferrari-Schützling wenn ich mich richtig erinnere), Watterot und Emig, Jean-Marie Leblanc, der Tourorganisator.

    Da ahnt man, was für gewaltige Beharrungskräfte da am Werke sind. Es gibt neben den juristischen Methoden (vom Staat forciert) ansonsten nur die wirtschaftliche: wenn Sponsoren nicht mehr mit dreckigem Sport in Verbindung gebracht werden wollen. Man sollte meinen, dass die Szene der Team-Sponsoren der letzten fünf Jahre unruhig genug war, damit es in den Birnen der Verantwortlichen geht, dass der Doping diesen Sport komplett ruinieren kann. Wenn der letzte Sponsor gegangen ist.