Otto versaut Frankreich
Frankreich wollte es diesmal besser machen. Das Ausscheiden aus der WM2002 ohne jegliches Tor, war ein Horror. Aber ein erklärbares Desaster. Pires ist kurz vor der WM durch Verletzung ausgefallen, andere Spieler waren angeschlagen und Zidane musste wegen einer Roten Karte ein Spiel aussetzen.
Schlimmer noch: der Titelverteidiger hatte in Asien eine höchst unkonzentrierte Vorbereitung. Ich war damals in Frankreich und hatte am Fernseher erlebt was für ein Theater gemacht worden ist. Kein Tag verging, ohne dass die Nationalmannschaft im Trainingslager Werbetermine absolvierte. Sponsoren wurden zum Essen eingeladen, die Stars sassen mit am Tisch.
Am Ende musste Trainer Roger Lemerre den Kopf hinhalten, weil er nicht eingeschritten ist und es nicht schaffte den Fokus der Mannschaft auf die Gruppenspiele zu lenken.
Schnitt 2004.
Es war eigentlich alles angerichtet. Man hatte nach einer sehr geschmeidigen Qualifikation alle Mann an Bord, keinen Verletzten. Thierry Henry hatte ein Top-Jahr hinter sich, Trainer Santini nach den Erfahrungen von 2002 alle Freiheiten.
Inzwichen weiß man: man hat die letzten zwei Jahre eine Form des Selbstbetruges durchgemacht. Die Qualifikationsgruppe mit Slowenien, Israel, Zypern und Malta dürfte im Nachhinein die Schwächste Europas gewesen sein. Die Freundschaftsspiele (Niederlage gegen Tschechien, lahmes 0:0 gegen Holland) wurden nicht als Warnung wahrgenommen.
Die Mannschaft wirkte während des gesamten Turnieres, exklusive der zweiten Halbzeit gegen England, aber inklusive den Stunden nach dem Ausscheiden, seltsam emotionslos. Als würde ihnen alles am Arsch vorbeigehen.
Nach der Niederlage gegen Griechenland gab Santini ein kühles Statement ab. Von Betroffenheit oder Erregung nichts spüren. Profi-Söldner verrichteten ihre Arbeit. Man ist geistig nie bei der EM eingetroffen.
Die Öffentlichkeit nimmt es, wenn man französische Zeitungen durchliest und die Radiosender hört, kühl hin. In den Radionachrichten ist bereits heute Mittag die Nachricht vom Aussscheiden an siebter Stelle gerückt, noch hinter den Berichten vom neuen französischen Rugby-Meister.
Obwohl es der Schwanengesang einer ganzen Fußballer-Generation ist. Desailly ist zurückgetreten, mit dem Rücktritt von Lizarazu und Thuram wird gerechnet, der Rücktritt von Barthez und Zidane befürchtet.
Was wird danach kommen? Jeder der das Desaster der deutschen Nationalmannschaft beschreibt, schwärmt von der französischen Nachwuchsarbeit, dabei die Möglichkeit ignorierend dass jedes größere Land einmal im Jahrhundert “zufällig” eine Ausnahmemannschaft generiert, mit oder ohne Jugendarbeit.
Wie die Franzosen den Rücktritt zahlreicher Schlüsselspieler verkraftet, wird endgültig zeigen wie gut es um den Nachwuchs bestellt ist. Vereinzelt rückt da etwas nach (Gallas, Saha), aber man wird sehen was sie ohne einem Zidane wert sind.
Der Verbandspräsident wird zurücktreten, der Nachfolger von Trainer Santini wird vermutlich der Altinternationale Jean Tigana sein, der jeweils anfänglich bei Monaco und Fulham gute Arbeit leistete, ehe die Erfolgskurve nach unten ging.
Die Emotionslosigkeit der Spieler und Öffentlichkeit zeigt aber eines: trotz Weltmeister- und Europameistertitel hat der Fußball Frankreich nie wirklich infiziert. Es war ein Boom und der Boom könnte, ähnlich dem Tennis in Deutschland, nun vorbei sein.
Jemand der sich unverhohlen wie der Sieger des Tages fühlt, ist Otto Rehhagel, der Mann mit den zwei “H”s. So wie der Mann sich gestern auf der Weltpressekonferenz und bei Weizenbier-Hartmann aufgeführt hat, konnte das angesichts des Spiels unter liebenswürdige Kauzigkeit abgebucht werden. Rehhagel hat die nächsten Woche verbale Narrenfreiheit.
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