6h vor der Rugby-WM: der Überfavorit Neuseeland

Die Rolle des Überfavoriten – noch stärker als Brasilien bei Fußball-Weltmeisterschaften – nimmt Neuseeland ein.

Es fällt schwer irgendwas zu der Mannschaft zu sagen, denn es dürfte kaum ein Team im Sport geben, welches so mystisch aufgeladen wird, von mir aus auch: gehypet wird, wie die Neuseeländer.

Die All-Blacks. Die schwarzen Trikots. Die Nähe zu den Maoris.

Und natürlich der Haka.

Die Neuseeländer laufen da auf einer verdammt dünnen Kante entlang. Was ist noch normales Marketing, wo beginnt der Ausverkauf und der Verrat von Traditionen? Das sind Fragen die weniger laut gestellt werden, solange die Erfolge da sind. Und derzeit liefern die All Blacks Leistung ab.

Wie alle Mannschaften der südlichen Hemisphäre, sind sie physischer als ihre europäischen Konkurrenten. Ich sah vor zirka 5 Jahren ein Tri Nations-Spiel gegen Australien, was eher die Defintion von Kampfsport als Mannschaftssport erfüllt. Was da in den Gedränge sich abspielte, wie da reingetreten wurde und die Fäuste flogen, spottet jeder Beschreibung.

Die All-Blacks schwächelten Ende der 90er Jahre und zu Beginn dieses Jahrzehnts, aber 2-3 Jahren dominieren sie wieder den Rugby und räumen alles ab.

Trainer Graham Henry hat die Mannschaft nach der letzten WM übernommen, als die Neuseeländer im Halbfinale an Gastgeber Australien ausschieden. Bei aller Dominanz der All-Blacks im Rugby: sie haben erst einmal die WM gewonnen: bei der ersten Ausgabe 1987 auf eigenem Grund. Dieser Stachel der 20 Jahre währenden Erfolgslosigkeit sitzt tief und erhöht den Druck auf die Mannschaft. Die All-Blacks reisen mit einer Bilanz von 38 Siegen und 5 Niederlagen aus den Spielen seit der letzten WM nach Marseille, wo sie ihr Trainingscamp aufgeschlagen haben. Seit 2003 haben sie kein einziges Spiel gegen Länder aus der Nordhalbkugel verloren.

Ein Highlight in diesem Sommer war ein 61:10-Rekordsieg gegen die Franzosen in Wellington. Meine französische Verwandtschaft beeilte sich mir schnell zu versichern, dass die Franzosen nur mit einem B-Team anreisten, da die französische Meisterschaft noch im vollen Gang waren.

Wenn es sowas gab wie einen Moment von Schwäche, dann haben die Neuseeländer ihn im TriNations-Spiel gegen Südafrika gezeigt. Man lag bereits 12:21 zurück ehe man binnen 14 Minuten mit zwei Versuchen noch 26:21 gewinnen konnte. In dieser Partie entschied die reine Physis. Bei den Südafrikanern war nach einer Stunde Spielzeit der Akku leer, während die Neuseeländer nochmal aufdrehten. Nach dem Spiel zeigte sich die komplette Rugby-Welt geschockt über die neuseeländische Aufholjagd.

Graham Henry agiert in Neuseeland als eine Art Mini-Klinsmann und hat einiges auf den Kopf gestellt um diesen WM-Fluch zu beenden. Neben sich hat er einen hochrangigen Trainer- und Beraterstab etabliert. U.a. holte er die neuseeländische Rugby-Legende Sir Brian Lachore, vier Jahre lang Captain und drei Jahre lang Trainer der All-Blacks, als Berater zu sich. Lachore besitzt noch heute eine unheimliche Ausstrahlung auf die Spieler.

Graham Henry hat auch das neuseeländische Spiel refomiert. Im Spiel hat er aus Europa die Erkenntnis mitgebracht, dass die Standards wichtig sind. Einwürfe, Kicks, Situationen beim Gedränge.

Er führte eine Art Rotation ein, um im Laufe von Länderspiel-Serien verstärkt auf frische Kräfte setzen zu können. Mitunter startete er von Spiel zu Spiel mit 15 völlig anderen Spielern. Folge: der neuseeländische Kader ist tief, Positionen sind doppelt und dreifach gut besetzt.

Die Neuseeländer gelten als nahezu unschlagbar. Neben den Einwürfen gilt ihre Psyche als Schwachpunkt. Wann fangen die All-Blacks an ihre negative WM-Serie zu denken? Wann steigt die Anspannung und wann kippt die Aggressivität der All-Blacks in Foul-Spiel, Verwarnungen und Hinausstelungen um.

Bei all dem Lärm um die Neuseeländer: die andere Seite ist auch, dass Neuseeland ansonsten nur eine begrenzt große Sportnation ist und die All-Blacks ihr ganzer Stolz sind. Das ist nicht nur eine Siegermannschaft, sondern auch eine in der Gesellschaft verankerte Kultur. Das hat auch etwas Zärtliches was sich in den Werbespots der multinationalen Konzernen ausdrückt. Und es wirkt trotz des Kommerzes erhabener und historisch bewusster als vieles was hierzulande zum Beispiel über die deutsche Fußballnationalmannschaft läuft.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. dass Neuseeland ansonsten nur eine begrenzt große Sportnation ist und die All-Blacks ihr ganzer Stolz sind

    Was man vielleicht auch wuerdigen sollte indem man mal die Einwohnerzahlen vergleicht (lt Wikipedia):

    EN: 50m
    FR: 61/64m (ohne/mit Ueberseegebiete wenn ich das richtig verstanden habe)
    NZ: 4.2m

    und zum weiteren Vergleich:

    Scotland: 5.1m
    Wales: 2.9m

    Da koennen sich diese kleinen Laender eigentlich nur auf eine Sportart konzentrieren um etwas Erfolg zu haben, wobei sie damit meines Erachtens trotzdem ueberproportional erfolgreich sind.

    Es ist natuerlich auch immer eine Sache des nationalen Stolzes, gerade wenn Schottland oder England mal wieder einen Erfolg ueber den “Unterdruecker” England feiern koennen.

  3. Ist ja auch commonwealth. Jetzt weiß ich auch wo Jürgen Klopp seine lustigen Tänze her hat.
    Aber diese sportart hat doch alles: “Fighten bis zum Umfallen”, eine offensichtlich große brisanz, ein großes Fanpotenzial, ein bisschen Hollywood (unheimlich viel Dramatik). Sehr schade, dass die Medienpräsenz so gering ist, hätte mir das gewünscht anstatt Handball zum Beispiel. Noch mal die Frage:
    Werden Spiele im Free TV übertragen ? (Eurosport empfange ich leider immer noch nicht ). Oder gibt es nur so kleine Beiträge bei der ZDF Sportreportage am Sonntag bzw im ASS ?

  4. @Kilian Meller:
    genau dafür gibts hier doch “screensport vom wochenende”. wozu tippt sich dogfood die finger wund?
    da steht z.B. für heute:

    21h00 Rugby-WM, Eröffnung: Frankreich – Argentinien, BÄH (DSF)

  5. Woher soll ich wissen was BÄH ist?
    Aber jetzt weißich’s ja.
    Warum eigentlich BÄH undnicht DSF ?

  6. Schau BÄH, dann weißt Du es.

  7. AAAAA HAhahahah
    Jetztr hab ich’s verstanden
    Da muss ich sagen : ZURECHT ;)

  8. Segeln koennen sie auch noch ein bisschen, die Neuseelaender. Fast so gut wie die “Schweizer”!

  9. […] Inspiriert durch Kais ‘6h vor der Rugby-WM: der Überfavorit Neuseeland’ in dem wie immer wunderbaren allesaussersport, a hat tip to beautiful Anke. […]

  10. War ja wirklich unglaublich, hätte nie gedacht, dass Rugby in Frankreich das Stade de France vollkriegt, was in letzter Zeit sogar der heißgeliebten ecipe tricolorf nicht gelang.
    Ist die Rugbywelle tatsächlich über europa zusammengefallen und hat nur uns verschont ? Oder sollte man das eher mit der Handball WM in Deutschland vergleichen, wo für manche der Zuschauer wohl eher die Party und das nostalgische “Fifa-WM-Gedenkfeiern” im Vordergrund stand ?
    Als Laien hat mich das Spiel schon irgendwie fasziniert, wäre ich etwas regelkundiger, würde es das wohl noch mehr tun.
    Ich finde , das Kommentatorenduo von gestern hat beim Versuch, die wahrscheinlich nicht alzu komplexen Regeln plastisch darzusellen eine schwache Figur gemacht. Muss ich halt noch mal lesen.

  11. Man kann Rugby nur insofern mit Handball vergleichen, als dass es nur in manchen europaeischen Staaten eine hohe Popularitaet hat. In Europa sind das eben die “Six-Nations”, Italien mit Abstrichen. Handball interessiert dann in England keine Sau.
    Da schwappt nicht wirklich so viel nach Resteuropa, denke ich.

    Von Nostalgie bei einer Veranstaltung zu reden, die Ende der 80er das erste Mal ausgetragen wurde, macht definitiv keinen Sinn.

    Die Regeln sind uebrigens wesentlich komplexer als z.B. Fussball. Schon allein die “Standardsituationen” (Gedraenge=Scrum, offenes Gedraenge=Ruck, Paket=Maul, Einwurf =Line-Out, etc.) sind eine Wissenschaft fuer sich. Muss man aber nicht alles parat haben, um dem Spiel folgen zu koennen (kann ich auch nicht).

  12. So hat hald jedes Land seine eigene Sportart die er bevorzugt das ist aber auch gut so. Das kann für uns Sportverrückten eigentlich nur gut sein.

  13. gut, hab ich mir schon gedacht, bin schon dabei mich besser zu informieren.
    übrigens Nostalgie war auf die Fußball WM 2006 Feiern bezogen. So eine euphorie wäre sicher nicht ausgebrochen, würde man sich nicht sehnsüchtig (also sozusagen “nostalgisch”)
    an die WM vom letzten Jahr erinnern.

  14. Handball interessiert dann in England keine Sau.

    So kann man’s auch sagen.

    Gestern nachmittag fragte mich mein Manager welche Sportarten denn in Deutschland sehr populaer waeren. Fussball natuerlich #1, habe ich gesagt. Als ich dann zu den weiteren Plaetzen kam und Handball erwaehnte hatte er keine Ahnung wovon ich sprach. Hatte er noch nie von gehoert.

  15. die inselbewohner versuchen da aber gerade ein bißchen aufzurüsten und wollen zu den olympischen spielen in london eine gemeinsame britische mannschaft aufstellen. dürfte trotzdem nur dritt- bis viertklassig sein.

  16. Scheint aber kein grosses Medienecho auszuloesen, die Britische Handballnationalmannschaft. Zumindest habe ich davon noch nichts mitbekommen. Da hoere ich selbst hier unten in England mehr ueber Shinty.

  17. Die grasen in den “Handballländern” in den vierten Ligen und so nach britisch-stämmigen Spielern. Ich glaube sie haben in Deutschland einen Torwart gefunden.

  18. GB ist im Moment auch dabei sich eine solide Basketballmannschaft aufzubauen, war gerade hier ein Thema in den letzten 3-4 Wochen anläßlich der Aufstieggspiele zur A – Europameisterschaft.

  19. Das Geruecht einer Britischen Fussballmannschaft fuer die Olympischen Spiele in London taucht ja auch immer wieder mal auf ;-)

    Keine Ahnung (und zu faul um das jetzt zu recherchieren) was da der letzte Status ist.

  20. Servus Sportsfreunde,
    wer wusste das Argentinien eine so erfolgreiche Rugbynation ist?
    Dank Rugby WM werden wir hier in Suedamerika zur Zeit mit wirklich super emotionaler Werbung unterhalten. Wir haben mal unsere persoenlichen Charts aufgestellt ;-)
    “Rugby World Cup” mit argentinischer Leidenschaft und (Werbe-)Kreativitaet
    Viel Spass bei anschauen, wir konnten nicht genug davon bekommen. Die spielen nicht nur gut Fussball und Rugby, die sind auch super kreativ!