Zeilensport: “Indirekter Freistoß”, die WM-Stars und die Antizipation

Die heutige Ausgabe vom “Indirekten Freistoß“, einer Online-Presseschau deutschsprachiger Zeitungen zum Fußball, bringt zwei diskussionswürdige Artikel.

Das wäre ein Artikel bei STERN.de von Klaus Bellstedt über das CL-Halbfinale Barca – AC, der wie folgt zitiert wird:

Jürgen Klinsmann wurde beim Betrachten des mitreißenden Spieles mal wieder vor Augen geführt, wie weit der deutsche Fußball derzeit von der europäischen Spitze entfernt ist. Es schien so, als ob im deutschen Nationalcoach im Blick auf die WM erstmals die Angst vor einem echten Desaster hochstieg. Es war ein Fußballspiel der modernsten Prägung. Wohin er auch blickte: Überall auf dem Feld sah er Spieler, in einer mehr als beachtlichen körperlichen Verfassung.

Mir ist dabei der letzte Satz ins Auge gesprungen: “Überall auf dem Feld sah er Spieler, in einer mehr als beachtlichen körperlichen Verfassung.“. Meine erste Reaktion: so fucking what? Was hat es mit der WM zu tun? Zur Erinnerung: die letzten Weltmeisterschaften und Europameisterschaften zeichneten sich dadurch aus, dass die Stars alle ihren Saisonhöhepunkt bereits hinter sich hatten und bei der WM und EM blaß, sehr blaß blieben.

Nicht umsonst gibt es nach WMs und EMs von FIFA und UEFA immer wieder Überlegungen den Rahmenkalender zu straffen, damit die Stars mehr Regenerationszeit für die Turniere haben (Rummenigge lacht sich noch heute tot). Besonders frappierend war es bei der EM, als die halbe französische Mannschaft, aber auch teilweise die holländischen, portugiesischen und englischen Stars Totalausfälle waren. Im Nachhinein wird dieses auch als einer der Gründe für den Sieg der Griechen gesehen. Unvergessen die Leidenszeit von Ronaldo bei der WM 1998, der nur noch eine leere Hülle war, zum Finale angeblich nur noch mit Hilfe von Spitzen antreten konnte und danach 1-2 Jahre in ein tiefes Loch fiel.

Also: schön das die Spieler vorgestern alle topfit waren. Über die WM-Fitness sollten wir aber erst in fünf Wochen reden.

Ein weiterer sehr schöner Hinweis im “Indirekten Freistoß” ist ein ausführlicher Ausschnitt aus einem Interview, dass Malte Oberschelp für das Magazin “RUND” mit dem holländischen Torwarttrainer Frans Hoek geführt hat. Es geht, natürlich, um Kahn kontra Lehmann.

Kahn war 23, als 1992 die Rückpassregel eingeführt worden ist. Sein Spiel hat er danach nicht mehr grundsätzlich geändert. ‘Reaktionstorhüter’ nennt Hoek diese Sorte Keeper: exzellent auf der Linie, willensstark, physisch beeindruckend, aber fußballerisch limitiert und mit durchschnittlichem Stellungsspiel bei Steilpässen in den Rücken der Abwehr. Das Gegenstück heißt Antizipationskeeper, Prototyp: Edwin van der Sar […]

Er antizipiert besser als Kahn, aber viel weniger als van der Sar’, urteilt Frans Hoek. ‘Kahn ist zu 100 Prozent Reaktionstorhüter, Lehmann zu 80 Prozent.’ Hoek hielte daher Timo Hildebrand für die optimale Lösung. Das Idealbild eines Antizipationstorhüters könnte Hildebrand […]

Die Deutschen halten es eher mit den Helden auf der Linie. Die holländische Spielauffassung nivelliert die Unterschiede zwischen Torhüter und Feldspieler, die deutsche überhöht die Nummer 1 zum Turm in der Schlacht – von Toni Turek Fußballgott bis King Kahn […]

(Ruhig den ausführlicheren Ausschnitt beim “Indirekten Freistoß” lesen)

Antizipationstorhüter. Klasse, das.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Hm, hm, das mit dem Antizipationstorhüter hättest Du vor Monaten schon bei mir lesen können (Was nichts heißen soll, die Diskussion ist alt). Auch wenn Torspieler nicht so hübsch klingt wie Antizipationstorhüter, da gebe ich Dir recht. Von Hildebrand bin ich noch nicht restlos überzeugt. Im Dirigieren der Abwehr sehe ich Vorteile bei Lehmann. Auch im Rauslaufen.

    Den stern-Artikel finde ich etwas daneben, weil er wieder den alten Klischee-Gegensatz von entfesselter Offensive (Improvisation, konstruktives Spiel, Kunst) vs. taktischer Disziplin (Strenge, destruktives Spiel, Ordnung) bedient, der in Deutschland scheinbar nicht aus den Köpfen zu kriegen ist. Es ist doch so: Direktes, offensives Spiel ist Teil einer modernen Fußballtaktik. Auch bei Barca ist wenig entfesselt, sondern viel einstudiert. Ein so hohes Tempo kannst Du gar nicht spielen, wenn Du die Laufwege Deiner Mitspieler nicht aus dem Training genau kennst. Da ist wenig fröhliche Improvisation, wie der stern sie impliziert.

    Zum zweiten gehört auch kompaktes Defensivverhalten zum modernen Fußball. Gerade Barcas Defensivverhalten hat mich ziemlich beeindruckt. Sehr diszipliniert, sehr enge Räume (weil sie schnell mit fast allen Spielern wieder hinter dem Ball sind), teilweise fast rustikal (mit Kaka in Manndeckung sobald er in Strafraumnähe kam), und vor allem mit exzellent defensiv arbeitenden Stürmern.