Chris Byrd – Wladimir Klitschko: die freundlichen Männer

Klitschko d.J. schlägt Chris Byrd per TKO in Runde 7 und wird neuer Schwergewichtsweltmeister der IBF und IBO.

Solange die ARD-Moderatoren und Kommentatoren den Mund hielten, war es eine angenehm unaufgeregte Veranstaltung. Die beiden Kämpfer gingen auf einen “Steg” zum Boxring, der eine elektronische Anzeigentafel war und per Laufband die Namen, Motto und Grafiken zeigte. Sehr nette Design-Idee! Abgesehen davon hielt man sich mit Show zurück. Nur das Gepfeiffe des Publikums gegen Chris Byrd zeugt von wenig Sportlichkeit.

Wenn aber Waldemar Hartmann und JJ Rieck ihre Stimmen erhoben, nahm der Druck im Kessel sofort zu und entwich in Form von Dampfplauderei, der kein Superlativ zu fremd und zu weit hergeholt war. Eine Frage an die Redakteure: in welcher Scheinwelt lebt man eigentlich, wenn man allen Ernstes Ralf Möller für einen Vorzeigepromi hält? Oder kann sich der durchschnittliche Fernsehzuschauer wirklich an so etwas erfreuen und nur ich bin der “Geisterfahrer”?

Zum Sportlichen: Chris Byrd hat es in dem Interview nach der Niederlage auf den Punkt gebracht: er war nie in dem Kampf drin. Das habe er seit der ersten Runde gespürt.

Byrd mag es als Schutzbehauptung gesagt haben, aber da war viel dran. Ein Byrd ergreift zwar nur selten die Kampfinitiative, aber geriert sich zumindest als “Störfaktor” und macht das Leben seines Gegners unangenehm. Davon gab es am Samstag nichts zu sehen. Dieses “Picken” von Byrd war nicht da und keinerlei der üblichen schnellen Meidbewegungen bei Byrd. Er stand im Grunde genommen nur da, versuchte einige Alibischläge und beschränkte sich ansonsten auf das für ihn typische “Abklatschen” der gegnerischen Schläge mit seinen Armen.

Damit wurde Byrd zu einem idealen Gegner für einen intelligenten, schlaggewaltigen und 17cm größeren Klitschko, der überhaupt nicht gefordert wurde.

Ich will die Leistung von Klitschko nicht madig machen, aber ich sah in dem Kampf eher einen schwachen Byrd als einen starken Klitschko. Klitschkos angezweifelten Nehmerqualitäten wurden nie ausgetestet.

Positiv gilt es zu vermelden, dass Klitschko diesmal mehr Initiative als bei seinen bisherigen Kämpfen der Steward-Ära zeigte. Negativ gilt es festzustellen, dass Klitschko gestern so boxte, als hätte man ihm den Jab eingegipst. Die Führhand war angesichts des Potentials von Klitschkos Linke absolut lächerlich. Klitschko fuchtelte mit der Linken rum um Byrd auf Abstand zu halten, aber das war es. Das der Jab einst die gefürchteste Waffe von Klitschko war, war nicht zu merken. Und sobald der Gegner eine Distanz unterschreitet, geht Klitschko sofort in den Clinch um den Endfight zu vermeiden. Es gibt kein Zweifel mehr, dass ist der neue Klitschko-Style, so hat er auch gegen Samuel Peter gekämpft

Damit setzt sich üblerweise das Hauptthema von Klitschko unter dem Trainer Emanuel Steward fort. Ich habe keine Ahnung warum, aber Steward hat Klitschko um seinen Jab “kastriert”. Mit Jab wäre Byrd bereits drei Runden früher fällig gewesen.

Im Rahmen dessen was man vom Kampf und von Klitschko erwarten konnte, war es nett, aber nicht die boxerische Erfahrung oder ein Kampf der aus Klitschko den unumstrittenen Leader im Schwergewicht macht.

In einem Nebenkampf schlug Sebastian Sylvester den englischen Meister Steven Bendall um den EM-Gürtel im Mittelgewicht durch KO in der Dritten. Eine solide Leistung gegen einen Gegner der trotz gutem Record überfordert zu sein schien.

Die Greifswalder Truppe um Trainer Hartmut Schröder und Winfried Spiering sieht aus wie eine Mischung aus Provinzzuhälter (Spiering) und Führer der Wikingjugend (Schröder), aber geben sich in Interviews sympatisch bodenständig. Würd ich gerne mehr von sehen.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich denke Klitschko hat seinen Jab so eingesetzt, wie er ihm gegen Byrd am nützlichsten ist.
    Ob er früher gewonnen hätte oder nicht, ist dabei nicht so wichtig. Kampfentscheidend war letztenendes die rechte Grade der er auch schonmal nen linken Haken folgen ließ, womit er sich in der ersten Runde noch abwartend zurück gehalten hatte (unsicher ob der Taktik von Byrd, der wohl gehofft haben mag nach der 5ten die Brewster-Taktik anwenden zu können).

    Letztenendes traf eines der möglichen Szenarien ein. Entweder Byrd erfindet seinen eigenen Punch neu und kommt gut zum Körper durch, oder es wird einmal mehr deutlich, dass er seinen Speed von früher verloren hat.

    Die nette Design-Idee mit dem “Laufsteg” wurde von HBO unter die Kathegorie Naseem-Hamed-Style gesetzt, es hätte laut Lampley und Merchant nurnoch ein fliegender Teppich gefehlt … naja, ich fand den Live-Ticker ganz in Ordnung.

    Leider bekam die ARD an sich ein paar Abstriche. Die Sendung “Brisant” hat nun ihr eigenes Mini-Studio vor der Halle und interviewed Leute ohne Ahnung (Viereck: Klitschko hats nach Punkten schwer wegen den amerikanischen Punktrichtern). Hartmann darf sich von Beyer erzählen lassen, dass Klitschko-Byrd noch nicht der Kampf des Jahres sei bevor er gelaufen ist und dass er es vielleicht auch nicht werde (Byrd und “Fight Of The Year” sind komplementär zueinander). Und Kommentator Witte (oder wars Rieck?) vergisst, dass Klitschko vielleicht vor 4-5 Jahren im Schwergewicht mit dabei war, aber das man ihn damals höchstens als “The Man” im Schwergewicht bezeichnen durfte, wenn man Lewis, Holyfield, Rahman und Ruiz vergaß.

  3. Ich denke Klitschko hat seinen Jab so eingesetzt, wie er ihm gegen Byrd am nützlichsten ist.

    Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass man sich dass extra für Byrd ausgeheckt hat. Klitschko hat seinen Jab genauso eingesetzt wie gegen Peter: nie als klassische Führungshand, sondern als “Abstandhalter” oder um Haken in Kombination mit der Rechten zu schlagen. Und das obwohl Peter und Byrd vom Boxer-Typ nicht hätten gegensätzlicher sein können.

    Ich fürchte Steward macht aus Klitschko einen eindimensionalen Boxer.

    Re: Kommentator
    War JJ Rieck.

    Re: Lampley/Merchand und das Laufband
    Na ja, man muss sehen von wo jeder kommt. Die Amis machen es hauptsächlich nur mit Einmarschmusik. Deutschland hat hingegen erst noch die Jahre RTL-Henry-Maske-Inszenierung zu bewältigen. Ich bin daher für jede ARD/ZDF-Übertragung dankbar, in der nicht halbnackte, Leder-beschurzte Frauen in Käfigen zu Heavy-Metal-Musik Feuer spucken und die beiden Boxer abseilen.

    Hach, ich würd mich schon auf den ersten HBO-Kampf mit Arthur Abraham freuen :-)

  4. Also ich stells nicht zur Diskussion ob Klitschko absichtlich den Jab “so verwendet” hat oder nicht. Ist eigentlich auch relativ egal.

    Wenn nicht, dann war es zufällig genau das richtige. Sah zwar ziemlich lächerlich aus als Klitschko dem Byrd immer wieder die Hand auf die Stirn legte, aber für den gestrigen Kampf war es perfekt. Byrd kam so nie nah ran und damit gab es auch keine Schläge von Byrd.

    Gegen einen gleich grossen Gegner würde die Sache allerdings weit anders aussehen IMO.

  5. Es freut mich für Klitschko das er nach all den Enttäuschungen wieder ganz oben ist. Aber fighten musste er dafür recht wenig. Byrd enttäuschte auf der ganzen Linie. Das mag ich nicht Klitschko ankreiden, aber ob er dahin gehört wo er jetzt steht, werden vielleicht die folgenden Kämpfe zeigen. Dies war jedoch keine “harte” Angelegenheit!

    Gegen einen wie Brewster hätte Klitschko fighten müssen und man hätte vielleicht sehen können, ob er wirklich wieder der alte ist…gönnen tu ichs ihm.

  6. Zuwanderungstest für Firmen?

    Bin in letzter Zeit nur noch lesenderweise im Netz, aktuell gibt’s wichtigere Dinge als Surfen oder Säue treiben. Als Hauptsaumagnet entpuppt sich Marcel Bartels von Mein Parteibuch. Der kassiert Abmahnungen und ähnliches im Wochentakt, das ist