Ailton und das Medienproblem
Ich habe die gestrige Bundesliga teilweise auf den Einzeloptionen, teilweise via Konferenz auf PREMIERE gesehen. Sehr hübsch waren gestern die Unterschiede in der Berichterstattung zu verfolgen.
Da war einerseits auf der Einzeloption Patrick Wasserziehr als Kommentator. Wasserziehr klingt wie ein eingeschriebenes HSV-Mitglied, der ab und zu sich seine journalistische Unabhängigkeit beweist, in dem er plakativ Kritik an Details des HSV-Spiels vor sich herträgt (gestern das teilweise überharte Einsteigen von Boulahrouz und Klingbeil) um dann im nächsten Moment mit lässiger Selbstverständlichkeit einfliessen zu lassen, dass er mit den ganz großen der HSV-Welt auf “Du” ist. “blabla, das hat mir jedenfalls der HSV-Präsident Hoffmann verraten, als ich ihn noch mal vor dem Spiel sprach.”
Diametral entgegengesetzt war Hansi Küpper, der von der ersten Minute an im Münchner Konferenz-Container mit verschränkten Armen vor den Monitoren saß und sich permanent in seiner eigenen vorgefassten Meinung bestätigte.
Da Küpper, wie alle Konferenzkommentatoren, später auch für die Zusammenfassungen auf “Alle Spiele, alle Tore” zuständig ist, darf man auch dreimal raten was für ein Gesamteindruck die restliche Welt von der Partie hatte.
Und da kommt Ailton ins Spiel. Schon dessen Verpflichtung ließ ja schon etliche Leute ganz tief in die Truhe der Vorurteile greifen. Im Grunde genommen hätte Ailton gar nicht zu spielen brauchen.
Küpper kritisierte in der ersten Halbzeit den HSV scharf für seine lahme Offensive, die “keinen Torschuß” fabrizierte. Ein statistisch fast korrekter Umstand, der aber etwas ganz wichtiges verschweigt:
Der HSV hatte in der ersten Halbzeit sein Offensivspiel komplett auf Ailton abgerichtet, und das hieß: Ailton wartet auf Höhe des letzten Mannes und von hinten kommen die langen Bälle und Pässe geflogen. In der Konsequenz war der HSV in der Partie 5x im Abseits, wobei in der ersten Halbzeit alle Abseitsstellungen von Ailton extrem knapp gewesen sind, zweimal sogar falsch abgepfiffen worden sind. Der Mann ist die Hölle für jeden Schiedsrichterassistenten.
So sachlich korrekt der Mangel an Torschüssen ist, er verschweigt auch, dass mehr Glück bei den Schiedsrichtern, auch zwei Ailton-Tore hätte feiern können. Das relativiert die einseitige Torschußstatistik.
Unterm Strich war der HSV aber glücklicher Sieger dank eines Sonntagsschuß von Trochowksi (zum Ausgleich). Der HSV tat sich enorm schwer gegen eine kompakte Bielefelder Mannschaft die bevorzugt mit technisch guten und schnellen Gegenstößen arbeitete. Ballbesitz: 67 zu 33% zugunsten des HSVs. 12:14 Torschüsse, 24:13 Fouls.
Traue keinem Spiel das du nicht selbst gesehen hast.
Reaktionen
Ist ein generelles Problem mit Livekommentaren, dass die Einbindung der Performance von Mannschaften in einen Kontext meistens sehr eindimensional bleibt. Taktik: Irgendeinen Talking point aufschnappen und sich damit 90 Minuten über die Runden retten. (Beckmann!, der auch ein Meister darin ist, den ganzen Spielverlauf umzudeuten, weil dem Torhüter ein harmloser 40m-Schuß durch die Hände gerutscht ist.) Da kann man es dann besser gleich lassen.
Kontextualisierung erfordert halt eine solide Ausbildung und schnelle Intelligenz (positives Beispiel: Itzel – Reif sowieso, der ist aber zu selbstgefällig) und ist noch ein bißchen schwieriger als das reine “Lesen des Spiels”, das vielen Live-Reportern ja auch schon mißlingt – wahrscheinlich gerade weil sie unter dem Druck stehen, das Geschehen gleichzeitig einigermaßen wahrzunehmen, sprachlich sauber zu beschreiben und auch noch einordnen zu müssen.
Das Rangewanze von Reportern an gerade populäre Vereine zwecks Ego-Boost (Wontorra-Effekt) macht es natürlich noch schlimmer. (Unerreicht in der Beziehung: Rubenbauers Bayern-Spielberichte, wo der Bayern-Gegner zur Folie reduziert wird, auf der sich die jeweilige Verfassung des Kaiservereins abzeichnet.)
Deshalb fände ich die Einführung der Arbeitsteilung wie bei Amis und Engländern gut. (Wobei da leider auch oft mit merkwürdigen Akzenten Dünnes gelabert wird, weil der zweite Mann halt mal irgendwann berühmt war.) Einer alleine ist meistens überfordert. Die Methode Bierhoff bei SAT1 finde ich da eigentlich ganz gelungen.
Was dabei natürlich für Premiere blöd ist: Das kostet Geld.