Die Bundesliga-Lage ist Ernst und Young
Der Unterschied zwischen “alten” und “neuen” Medien: in den Zeitungen und Agenturen werden nur die Versatzstücke veröffentlicht, hier hingegen gibt es den Link zur kompletten Studie des int. Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young über die Lage der Bundesliga: auf die E+Y-Pressemitteilung gehen und unten steht der Link zur 64seitigen Studie.
Das was als Zusammenfassung durch die Medien getrieben wird, läßt mich mit der Schulter zucken: So what?. E+Y kommen zur Feststellung, dass der deutsche Fußball den europäischen Anschluß zu verlieren droht, wenn die TV-Gelder nicht aufgestockt werden.
Das ist ja mal eine echt sensationelle Erkenntnis, nur hätte es dafür keine 64seitige Studie gebraucht, sondern simples Zeitungslesen oder von mir aus auch allesaussersport, denn die Argumentation und Zahlen werden seit einem Jahr von DFL-Granden, allen voran Karl-Keinz Rummenigge, gestreut.
Die Studie von E+Y basiert auf eine Befragung von Manager und Angehörigen der Geschäftsleitung der Bundesliga und Zweite Liga. Und die wollen mehr Geld? Echt? Die Studie verblüfft ja immer mehr!
Was übrigens schamhaft in der Pressemitteilung von E+Y mit der Formulierung “basiert auf einer Befragung von Managern der Klubs der Bundesliga und der Zweiten Bundesliga” abgehandelt wird, ist der Umstand, dass von den 38 Profivereinen nur 17 an der Befragung teilnahmen, also weniger als die Hälfte und weniger als bei einer vergleichbaren Studie von E+Y vor Jahresfrist. Von den 17 Klubangestellten stammten nur 5 aus der Bundesliga, also 27,7%! Die niedrige Zahl der Teilnehmer sagt einiges darüber aus, für wie sinnvoll die Profivereine die Studie von E+Y halten…
Sätze wie “Die Mehrheit der befragten Klubmanager (53 Prozent) sind der Meinung, dass der flexible Anteil an den Spielergehältern zukünftig steigen muss.” sind, mit Verlaub, Vergewaltigung an der Wissenschaft der Statistik. Korrekt müsste es heißen: 9 von 38 Manager äußerten den Wunsch nach flexbileren Spielergehälter.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was soll die Studie soll? Hat sie wer in Auftrag gegeben oder ist es ein “Gold-Job” oder eine Fingerübung um die *cough* *cough* eigene Kompetenz in den Medien darzustellen?
Zumindest der DFL kommt die Studie sehr gelegen, da sie 1:1 in deren Argumentationslinie für einen neuen Fernsehvertrag passt und damit das Diskursgewitter von Rummenigge und Holzhäuser fortsetzt, die seit Monaten verbal die deutsche Öffentlichkeit auf Entzug von zeitnaher Free-TV-Bundesliga vorbereiten. Und Koflers anstehende Preissteigerung für PREMIERE-Fußball-Gucker legt nahe, das Kofler Willens ist, verdammt viele Scheine für sechs Stunden Exklusivität hinzulegen.
Womit füllt man 64 Seiten wenn der an die Öffentlichkeit herangetragene Erkenntnisgewinn gegen Null geht?
Mit Details. Mit vielen Details und interessanten Details. So beschreibt die Studie die verschiedenen Beteiligungsformen von Bundesligisten, über die KGaA von Borussia Dortmund bis hin zu den Genußrechten von Köln, Hertha und Cottbus (bei Letzterem wurde die Ausgabe verschoben). Es wird das Lizenzierungsverfahren beschrieben, umfassend auf neue Stadien und deren Potential eingegangen und für versch. europäische Länder Zahlen zur Aufschlüsselung der TV-Einnahmen und Fußball-Übertragungen geliefert, die allerdings teilweise durch mangelnde Präzision falsch erscheinen. Aber viel Stuff, den man woanders nicht zu lesen bekommt.
In der Studie findet sich ein interessantse Statement vom Geschäftsführer von Sportfive, die die Auslandsrechte der Bundesliga vermarktet, Robert Müller von Vultejus:
Die englische Premier League ist beispielsweise in Asien sehr gut aufgestellt und belegt am Wochenende bereits viele Slots, also Anstoßzeiten, bei den Sendern. Folglich sieht man sich dort nicht unbedingt gezwungen, mit der Bundesliga ein weiteres Produkt einzukaufen.
Damit wird erstmals von Vermarktungsseite einem Samstag-Mittags-Spiel die Absage erteilt, weil die Premier League den asiatischen Markt schon gesättigt hat. Mein Reden.
Das Zahlenmaterial wird teilweise exzessiv ausgedehnt, z.B. wenn es um die Befragung der Profivereine bzgl. ihrer Einnahmesituation geht. Eine meines Erachtens sinnlose Umfrage, solange z.B. nicht die Namen der beteiligten Vereine bekannt sind. Ich wage die Behauptung dass die Einnahmestruktur eines FC Bayern Münchens sich so grundsätzlich von der des VfL Bochums unterscheidet, dass Zahlenmaterial basierend auf Befragung von ein Viertel aller Bundesligisten schlichtweg untauglich ist. Das bringt übrigens E+Y dann später auch in Kalamitäten, wenn sie versuchen müssen, den aktuellen Verteilungsschlüssel der TV-Gelder madig zu machen. Denn über die Hälfte der Beteiligten sind zufrieden mit dem Schlüssel wie er jetzt ist. Also muss E+Y an dieser Stelle seine eigene Befragung relativieren… Wenn es denn der Argumentation dient…
Auch andere Behauptungen von E+Y sollten mit Vorsicht zu geniessen sein. Z.B. dass die hohe Abonnentenzahl von Canal+ in Frankreich der Exklusivität der dortigen Fußball-Übertragungen geschuldet wäre.
Dabei unterschlägt E+Y, dass Canal+ seit knapp 20 Jahren über Antenne verbreitet wird und qua Verordnung die Verpflichtung hat, mittags und abends insgesamt 3-4h unverschlüsselt zu senden und dort die Zuschauer auch mit bewusst massenattraktiven Angeboten ködert. Zudem war die Verschlüsselung von Canal+ bis zur Jahrtausendwende so schwach, das Bastelanleitungen zum Decoder-Selbstbau in den einschlägigen Heimwerker-Magazinen veröffentlicht wurden. Die Verbreitung von Canal+ hat also ein ganz anderes Fundament als PREMIERE, dass sich immer als exklusives Kabel/Satellit-Angebot verstand.
Von daher die Exklusivität des Pay-TV-Fußballs als den wichtigsten Grund für die Kundenzahl von Canal+ anzugeben, ist entweder Lüge, Ahnungslosigkeit oder Propaganda. An der Stelle wäre es auch mal witzig gewesen Stimmen der französischen Vereine und Fans zu hören, wie begeistert die sind, dass ihre Liga in der französischen Öffentlichkeit eher unter “ferner liefen” wahrgenommen wird.
Das Papier von E+Y ist dann brauchbar, wenn man es im Kopf von all der Propaganda entschlackt. Über weite Teile liest es sich eher als Rechtfertigungspapier für längst vorgefertigte Meinung. Aus der Zustandsbeschreibung “Deutschland hat den Anschluß verloren” wird schnell die Schlußfolgerung “Mehr TV-Gelder, anderer Verteilungsschlüssel”.
Aber wie sieht es mit anderen Aspekten wie Jugendarbeit, Trainer und Trainerausbildung, professinell besetzte Vereinsorgane aus? Natürlich steht es einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen nicht unbedingt an, über sportliche Faktoren zu urteilen. Allerdings kann E+Y wohl schlecht negieren, dass auch Sport eine Rolle spielt und sich dieser Faktor nicht in ein lapidaren “es müssen mehr Star-Spieler eingekauft werden” erschöpfen kann. Das dieses sich überhaupt nicht in der Studie wiederfindet, entwertet das Papier von E+Y und verstärkt den schalen Nachgeschmack. Buchhaltung meets Sport.
Again: trotz aller Bedenken, es bleibt viel interessantes Material, dass man so mit Sicherheit nicht im KICKER oder der Tageszeitung vom Kiosk nebenan entnehmen wird können.
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