Al-Jazeera plant in Frankreich weiter
Eine der größten Überraschungscoups der letzten Wochen im TV-Rechtemarkt war die Vergabe der Champions League-TV-Rechte in Frankreich (Sommer 2012 bis 2015). Mit der Vergabe des “großen” Paketes an Al-Jazeera France (133 Spiele für 61 Mio Euro) und des First Picks an Canal+ (13 Spiele für ca 50 Mio Euro) ist Frankreich der erste große europäische TV-Markt, wo sich die Champions League aus dem Free-TV verabschiedet (nur das Finale muss per franz. White List im Free-TV gezeigt werden).
Al-Jazeera Sport (AJS), wie die französische Variante aktuell heißt, hat inzwischen ein hübsches Rechte-Paket geschnürt, mit zwei Ligue 1-Spielen pro Wochenende (ab Sommer 2012), der südamerikanischen WM-Quali und den CL-Rechten. Die L’Équipe munkelt dass Al-Jazeera heute auch ein Europa League-Paket von der UEFA bekommen wird.
Die aggressive Einkaufspolitik von Al-Jazeera fängt nun auch an erste Politiker auf den Plan zu rufen, die über eine Ausweitung der “White List” nachdenken, also einer Liste von Sportübertragungen, die im Free-TV auszustrahlen sind.
Weiterhin werden Details zum geplanten Angebot nur per Salamitaktik veröffentlicht. Vom geplanten Sendestart im Januar 2012 ist man inzwischen abgerückt und will nun zwischen Mai und Juni 2012 mit zwei Pay-TV-Sportsendern starten.
In einem Interview mit der L’Équipe wirft Geschäftsführer Charles Biétry weitere Puzzleteile in die Runde.
- Man wird keinen bestehenden Sender übernehmen (es wurde über eine Übernahme von Orange Sports spekuliert, wo sich Orange zum Sommer 2012 zurückziehen will)
- Es werden zwei 24h-Sportkanäle sein, mit Liveübertragungen, Magazinen, Talkshows und Dokus. Es ist kein Sportnachrichtensender geplant.
- Sitz des Senders wird in Boulogne-Billancourt sein (nahe TF1, gegenüber Eurosport am anderen Seine-Ufer)
- Der Abo-Preis soll irgendwo zwischen 4,– und 20,– Euro/Monat liegen.
- Zusätzlich zu den beiden Pay-TV-Kanälen wird es über Kabel und ADSL/IP-TV (Internet?) die Möglichkeit geben bis zu acht weitere Kanäle zu öffnen (z.B. für das PPV-Paket dass die Ligue 1 noch nicht an den Mann gebracht hat oder für CL-Parallelspiele)
- “Wir haben keine unbegrenzten Geldresourcen. Das ist Rhetorik von Canal+. Ich kann Canal+ verstehen, dass sie angefressen sind, wenn sie 420 Mio Euro für zwei Ligue 1-Spiele zahlen und AJS für zwei Ligue 1-Spiele nur 90 Mio Euro zahlt“
- AJS wird nicht um den Ligapokal bieten, nicht um die Tour de France und nicht um die French Open. Für die Europa League hat man nur ein kleines Angebot abgegeben, für den Fall das niemand mitbietet.
- Ein Angebot für die Formel 1-Rechte (werden ab Ende 2012 frei) ist denkbar, aber die Preise sind auf sehr hohem Niveau und TF1 wird nicht noch mehr Sport abgeben wollen.
- Biétrys Statement zur Namensgebung “Al Jazeera Sport” ist etwas interpretationsfähig. Es ist nicht klar, ob es bei diesem Namen bleiben wird. Aber: man will in sehr vielen weiteren Ländern Ableger gründen und ist daher bewusst auf der Suche nach einem Namen der in Asien genauso verstanden wird, wie in Großbritannien.
(Alle Statements aus der Papier-Ausgabe der heutigen L’Équipe, 14.12.2011)
Ich habe vor zwei Wochen in München rumgehorcht, ob angesichts der anstehenden Bundesliga-TV-Rechte-Ausschreibung Al-Jazeera auf dem Radar wäre. Alle verneinten es. Es gäbe keinerlei Indiz für ein Auftauchen von Al-Jazeera auf dem deutschen Markt. Sehr viel eher solle man ein Auge auf die ehemalige Kirch-Firma KF15 (die Firma die einst hinter Sirius steckte) werfen, deren Interesse sich als Zwischenhändler einzuschalten, sehr groß sei.
Aus Frankreich wird dagegen als Gerücht in die Runde geworfen, das Al-Jazeera ein Auge auf EUROSPORT geworfen haben könnte. Was dieses Gerücht nicht unwahrscheinlicher macht, ist die Lage beim EUROSPORT-Besitzer TF1. Der größte französische Privatsender hat in den letzten Jahren durch den Durchbruch konkurrierender DVB-T-Sender und einem Generationswechsel in der Führungsetage viel an Marktanteilen und Werbeeinnahmen verloren. Die Zeiten der 40% Marktanteile in der Prime Time sind vergangen. Wie seriös dieses Gerücht ist, kann ich aber nicht beurteilen.
Reaktionen
Oh… Die Al Jazeera/Eurosport-Geschichte kannte ich noch gar nicht. Das sind ja ungeahnte Dimensionen…
Um die Spekulation mal weiterzuspinnen: Wenn Al Jazeera Eurosport übernehmen würde, hätten sie auf einen Schlag die Bundesliga-Rechte für 22 Länder in Nord- und Osteuropa bis 2015, plus Niederlande ab 2012. Da wäre dann ein Gebot für die deutschen Inlandsrechte nicht sooo abwegig (Synergieeffekte?).
Ob die DFL von dieser Option restlos überzeugt wäre, ist eine andere Frage. Aber immerhin ist Eurosport ein renommierter, “alteingesessener” Sender, der wohl allein schon wegen seines Namens die Tür zu weit mehr Abo-Haushalten öffnen würde als “Al Jazeera”…
Ach ja, und zu den CL-Rechten: Wie sind denn da die Reaktionen in Frankreich? Gibt es einen Sturm der Entrüstung in der Presse, dass der Bildschirm für Millionen Fußballfans schwarz bleibt? Wie sauer ist TF1 – oder wollten die sowieso nicht mehr? Erzielen die hohe oder sogar spektakuläre Quoten mit der CL?
Jedenfalls dürften sich in Frankreich die Übertragungen von ZDF und ITV ab August großer Beliebtheit erfreuen ;-)
Über die ZDF-Übertragungen freut man sich als Franzose aber nur, wenn man kein Deutsch versteht. Aber selbst dann könnte ich mir vorstellen, dann das Rhéty-Geschwafel auf die Nerven geht. Vielleicht führen sie ja den Stadionton ein *Brüller*
Rebus: , dann = , dass
@spoonman: Was hat der Franzose davon, wenn er bei ZDF oder ITV nur die deutschen, bzw. die englischen Mannschaften sieht?
Wie oben geschrieben, fängt die Politik an große Ohren zu bekommen. Schließlich ist gerade ein großer Schwung an Rechten bei Al Jazeera gelandet und es stehen noch ein großer Schwung an Rechten aus (habe ich es richtig mitbekommen, dass die FIFA z.B. auch für Frankreich die Ausschreibung für die WM 2018 und 2022) gestartet hat?
Führt AJS die gleiche aggressive Einkaufspolitik weiter, ohne Zuckerl zu vergeben, kann ich mir vorstellen, dass was passieren wird (z.B. Ausweitung der ‘white list’).
Biètry ist sich dessen bewusst. Deswegen auch die klaren Statements bestimmte “Kronjuwelen” (Tour, French Open) nicht anfassen zu wollen. In den Statements hat Biètry auch sehr stark betont, dass man sich der sozialen Komponente der Sportübertragungen etc. sehr bewusst sei etc… ich fühlte mich so ein bißchen an ARENA und “Fußball für alle” und “wir wollen den Fußball den Fans wieder zurückgeben” und ähnliches Geseiere.
TF1: ich weiß nicht wie sauer sie gewesen sind. Die CL-Einschaltquoten sind wieder gefallen. Im Schnitt haben sie nur 4,8 Mio Zuschauer geholt und die Marktanteile sind unterm Senderschnitt.
Für den aktuellen First Pick am Mittwoch haben sie 25 Mio Euro/Saison bezahlt und sollen essentiell weniger als die 50 Mio Euro von Canal+ geboten haben. So wie TF1 die ganze Saison gejammert hat (es kann durchaus taktisches Jammern gewesen sein), ätten sich 50 Mio nicht gerechnet. Das Verhalten von TF1 erinnert ein bißchen an RTL.
Wer enorm unter Zugzwang war, war Canal+, die die CL halten mussten, um nicht große Stützen ihres Sportprogrammes zu verlieren. Vom Image her, wäre eine CL ohne Canal+ der Hammer gewesen. Für TF1 ist es nicht ganz so schlimm.
Danke, dogfood! Klingt aus Sendersicht auch irgendwie nachvollziehbar.
Trotzdem komme ich über dieses Szenario “CL ohne Free-TV” noch nicht hinweg. In Deutschland würde das doch quer durch alle relevanten Medien ein mittleres Erdbeben auslösen. Schon dieses seltsame Konstrukt “Champions TV, präsentiert von Premiere” hat ja vor Jahren ein ziemliches Murren ausgelöst, und das völlig zu Recht.
Dazu kommt noch, dass es m.W. in Frankreich keine zeitnahe Zusammenfassung der Ligue 1 im Free-TV gibt. Damit bleiben dann für die großen Vereine nur noch Coupe de France und Ligapokal als Schaufenster für die breite Öffentlichkeit übrig. Und beide Wettbewerbe führen ja bisher eher ein Schattendasein. Mal sehen, ob die dann im Bewusstsein der Vereine ein wenig aufgewertet werden, nach dem Motto: “Heute gucken ausnahmsweise mal ein paar Millionen Leute zu.”
Verstehe ich das richtig, dass die 61 Mio. € von Al Jazeera und die 50 Mio. von Canal+ pro Saison gelten? Wieviel hat C+ denn bisher gezahlt?
@ 23goalie: Naja, der Franzose wird halt hoffen, dass er deutsche und englische Teams zugelost kriegt ;-) Immerhin wird es davon nächste Saison bis zu 8 Stück geben. Die Chancen stehen also durchaus gut.
Außerdem spielen ja bei den englischen Clubs immer noch genügend Franzosen, plus Frohnck beim FC Bayern :-)
Is eigentlich das Video hier bekannt? 7 Minuten Analyse der Taktik bzw deren Änderung während des Spiels beim Clasico.
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=O2yUxXieLW0
Canal+ hat bislang 31 Mio Euro gezahlt.
Ja, die 111 Mio Euro Gesamteinnahmen aus Frankreich gelten pro Saison.
Was Free-TV & Fußball angeht:
– Fußball hat nicht die ganz so extreme Popularität wie hier in Deutschland
– Pay-TV hat weitere Verbreitung als Deutschkand. Ein Beispiel: TF1 holte am Mittwoch 4,49 Mio Zuschauer (MA 16,5%, okay es Lille, der ‘unpopulärste’ Verein der Drei). Canal+ holte am Dienstag mit dem OL-Spiel 2 Mio Zuschauer.
In Deutschland lautete das Verhältnis 5,81 Mio Zuschauer für ein bedeutungsloses CL-Spiel auf SAT.1 (MA 19,4%) vs 420.000 bei SKY für das wichtige BVB-Spiel.
Fußball im Pay-TV heißt in Frankreich nicht zwangsläufig Verschwinden in die Nicht-Öffentlichkeit.
Okay, 2 Mio. Zuschauer im Pay-TV sind natürlich schon ein Pfund:
Ansonsten: Boah, 111 Mio statt bisher 56 Mio. pro Saison. Damit verdoppeln sich also auch die Einnahmen der frz. Clubs aus dem Fernsehpool, obwohl sie in den letzten Jahren genau gar nix gerissen haben. Irgendwas läuft da gründlich falsch.
Ist denn der deutsche Pay-TV-Markt für große externe Medienkonzerne wie z.B. Al Ja-Jazeera überhaupt interessant oder denkt man sich beim Blick auf die Zahlen von sky, dass der Deutsche wohl nicht so recht zum Pay-TV-Gucker erzogen werden kann? Also sieht man Deutschland so ein bisschen als Sonderling in Sachen Pay-TV und scheut sich daher auch, viel zu investieren?
@ spoonman
Mit dem Finger auf das Geld ausländischer Fußballvereine zu zeigen wird langsam zur Volkskrankheit. Wenn ein großzügiger TV-Vertrag schon unter “Wettbewerbsverzerrung” verbucht wird frag ich mich echt wie die nächste Eskalationsstufe aussieht…
(mal ganz abgesehen davon das ein teil der 111 mio in den selben Preisgeldpool fließt aus dem auch unsere deutschen Kuschelklubs bezahlt werden)
@ Tageskarte:
Wenn du meine Äußerung isoliert betrachtest, mag das so rüberkommen. Ich habe aber schon letzte Woche in Bezug auf Dortmund (epic fail) und Bayern (B-Elf) kritisiert, dass die Garantiesummen für die Teilnehmer der Gruppenphase viel zu hoch sind. Wenn man schon eine derart aufgeblähte (und systembedingt am 6. Spieltag langweilige) Gruppenphase spielt, sollte man die CL-Preisgelder zu einem viel höheren Prozentsatz auf Erfolgsbasis auszahlen, d.h. die Punktprämien massiv erhöhen. Ein Sockelbetrag, der für Clubs aus Tschechien oder Belarus immer noch ein Vermögen ist, kann ja trotzdem stehen bleiben.
Und in diesem Kontext sehe ich eben auch die Verdoppelung der Fernsehgelder aus Frankreich. Wobei man natürlich argumentieren kann, dass dieses Geld vor allem von den frz. Clubs generiert wird und dann auch an diese zurückfließen soll. Insofern ist da natürlich ein bisschen Neid meinerseits dabei ;-)