Schon mal für de Schublade vorbereiten: Todesanzeige für NFL Europa
Ich bin mit der Story spät dran. Jürgen Kalwa hat was dazu geschrieben, Leonhard Kazda in der FAZ, und der John Clayton auf ESPN.com hat sie losgetreten: die Todesanzeigen auf die NFL Europa. Nur ich habe es im “französischen Exil” nicht mitbekommen, wo sich die L’Équipe immerhin zu zwei Kurzmeldungen zum World Bowl aufraffen konnte.
Der süssliche Leichengeruch ist inzwischen so stark geworden, dass selbst Mike Carlson auf NFL.com nicht umhin kam in zwei Kolumnen das Überleben mehr oder weniger deutlich in Frage zu stellen ([1], [2]).
Die deutschen Medien melden hinreichend viele Indizien. Der abgetretene NFL-Commissioner Paul Tagliabue war neben einigen Clubs wie die Kansas City Chiefs der größte Befürworter. Tagliabues Nachfolger hielt es hingegen noch nicht einmal für nötig zum World Bowl zu fliegen. Das Hamburger Abendblatt will in der Woche vor dem Spiel von einem Meeting erfahren haben, in dem die Liga ihren “Ligatrainern” (was auch immer das sein mag) geraten hat, sich nach einem anderen Job umzusehen.
Wie John Clayton ausführt, gibt es nicht mehr viele Argumente für die NFL-Clubs jährlich eine Million US$ in eine Veranstaltung zu investieren, die nur noch in Deutschland “Relevanz” hat.
Das Argument der Nachwuchsveranstaltung ist weggebrochen. Zuwenig Spieler schaffen inzwischen den Sprung in den Kader. Zudem hat sich der Kader der NFL-Teams z.B. um den Pratice-Squad vergrößert, in dem man Talente im Training heranführen kann.
Alle wirtschaftlichen Kennzahlen – Uwe Bergheim mag da widersprechen – stagnieren. Sollte die Liga jemals als Instrument für eine bessere NFL-Vermarktung in Europa gedient haben, ist das Argument nach der Konzentration auf dem deutschen Markt weggefallen und hier hat sich in den letzten drei Jahren in Sachen TV-Vermarktung kaum was getan. Die ARD überträgt die Super Bowl, aber wohl kaum wegen der NFL Europa. Die Berichterstattung über die regular season in der NFL und NFLE bleibt unverändert dünn. Abseits von NASN und den Halbstunden-Happen auf BÄH nichts. Nach Recherchen des Hamburger Abendblatts hat der NDR in seinem dritten Programm die Sea Devils in der regular season de-facto ignoriert, was eigentlich nicht ganz im Geiste der vereinbarten Kooperation zwischen NFL und der ARD sein dürfte.
Wirtschaftlich kann sich die NFL Europa nicht von alleine halten. Nur die Frankfurt Galaxy konnte dieses Jahr eine schwarze Null wohl erwirtschaften. Bei einem Zuschauerschnitt von 33.000 Zuschauern pro Heimspiel. Die hatten Rhein Fire auch mal, aber seit dem temporären Wegzug wegen Stadionumbaus kämpft man sich derzeit mühevoll an die 25.000-Marke heran.
Der Zuschauerschnitt 2007 wurde allenthalben gefeiert, hinterlässt aber einen schalen Nachgeschmack. Alle Vereine hatten an ihrem ersten Heimspiel absurd hohe Zuschauerzahlen, was den Eindruck hinterläßt, dass das Kommando ausgegeben wurde, Tickets um jeden Preis an den Mann und die Frau zu bringen. Wie man sowas aufziehen kann, zeigen die Kommentare in dem Blogeintrag um das erste Heimspiel von Berlin Thunder (30.000 Zuschauer bei einem Schnitt von sonst 12.000 Zuschauer). Zuschauerschnitt-Doping.
Der Zuschauerschnitt 2007 sieht brilliant aus, weil die Rahmenbedingungen nun besser sind und nicht weil die NFLE per se das attraktivere Produkt ist. 2005 waren Galaxy und Köln durch Stadionumbauten beeinträchtigt. 2006 wurde die Saison WM-bedingt drei Wochen früher bei schlechterem Wetter ausgetragen.
So gesehen, sind die Zuschauerzahlen 2007 sogar schlecht. Die Amsterdam Admirals fahren nach 12.877 und 13.421 mit 11.678 Zuschauer den schlechtesten Schnitt seit drei Jahren ein.
Berlin Thunder vermeidet nur dank der künstlich aufgepumpten Heimpremiere ein ähnlich schlechtes Resultat. Nach 16.848 und 13.819 nun 15.718 Zuschauer. Ohne dieses merkwürdige erste Spiel läge der Schnitt bei knapp unter 12.000.
Rhein Fire auf dem Weg der Besserung aber weit entfernt von den guten alten Zeiten: 22.532, 22.020 und nun 24.457 Zuschauer.
Auch Frankfurt Galaxy kommt wieder zurück: 29.377, 28.118 und nun 33.043. Wobei auch hier der Ausrutscher nach oben bei der Heimpremiere (38.125 Zuschauer bei sonst 29, 30, 33 und 35k Zuschauer) dem Ticketing einen faden Beigeschmack gibt.
Ich bleib dabei: es ist für mich eine grandiose strategische Fehlentscheidung der NFLE gewesen, zu spät auf dem Hamburger Markt zu setzen und eine Marketing-Idiotie wie die Cologne Centurions zu begehen. Die Hamburg Sea Devils knacken nach 17.920 und 15.082 Zuschauer nun die 20k-Grenze: 20.874 Zuschauer. Selbst wenn man das letzte Spiel (31k) rausrechnet, das nach meinen Eindrücken mit reichlich Freikarten gesegnet war, kömmt noch ein proprer Schnitt von 18k heraus.
Cologne Centurions. Das wird allen Ernstes vom besten Zuschauerschnitt ever gesprochen. Ja: 14.352 in diesem Jahr sind besser als die 14.232 von 2005 (2006: 13.538). Was ist aber mit Kölner Footballfans los, die derart inkonstant zum Football gehen??
Hier die Zahlen zu den einzelnen Spielen (kaufmännisch aufgerundet).
2005: 9.500, 10.800, 8.900, 9.500, 32.500(!)
2006: 17.300, 17.000, 9.200, 11.800, 12.438
2007: 16.400, 10.000, 22.200, 10.200, 12.900
Die Zuschauerzahlen in Köln schwanken ja mehr als eine Horde besoffener Karnevalisten am Rosenmontag. Da mag jeder seine Rückschlüsse daraus ziehen.
Die Zuschauerzahlen zeigen: die NFL Europa hat sich durch die Konzentration auf Deutschland, in eine Sackgasse hinein manöviert. Köln und Berlin machen deutlich, das Football nicht überall funktioniert. Die Zuschauerzahlen in Amsterdam müssten eigentlich die Schließung des Standortes bedeuten und durch die Fixierung auf Deutschland sind die Alternativen für neue Franchises begrenzt, zumal mir aus der hohlen Hand auch kein geeigneter neuer Standort mit “Football-Kultur” wie in Hamburg einfallen würde, wo eine neue Franchise sich schnell etablieren würde. Wenn es sein müsste: am allerehesten Dresden.
Als die NFL-Klubs im Oktober 2005 die sogenannte “Bestandsgarantie” bis 2010 gaben, galt es als mittel- bis langfristige Option die Teams an Privatinvestoren zu verkaufen. Uwe Bergheim hält diesen Ansatz laut Hamburger Abendblatt nicht für praktikabel.
Schaut man sich an, wie weit die Teams von den Bilanzen der Galaxy mit seinem Zuschauerschnitt und seiner enormen Verdrahtung mit der lokalen Wirtschaft sind, war der Optimismus 2005 verfrüht. Die Konsequenz kann nur lauten: Stecker ziehen.
Reaktionen
Dazu gibt es mehrere Dinge zu sagen. Verschiedene Entscheidungen in den letzten Jahren haben zu ihrer desolaten Situation beigetragen. Bis zur Saison 2000 hat man mit der NFLE zumindest noch rudimentär eine eigenständige Form mit Farmligacharakter für die NFL angestrebt. Nach der Saison 2000 hat man die Liga vollkommen auf Ausbildungsliga für die NFL getrimmt. Gedankt wurde dies aber nicht durch Abstellung besseren Spielermaterials für Europa, ganz im Gegenteil wurde das Spielermaterial Jahr für Jahr schlechter und gipfelte in der Saison 2006 mit dem schlechtesten „professionellen Football“ der jemals in Europa präsentiert wurde.
Die Spiele der ersten Saisonhälfte der NFLE kann man, seit Verkürzung der Vorbereitungszeit der Teams in Florida von 6 auf 3 Wochen getrost in die Tonne kloppen. Die NFLE selbst hat den Wettbewerbcharakter zwischen den von der NFL abgestellten Spielern vollkommen aufgehoben und ließ, ganz nach sozialistischem Gedanken, jeden, aber auch wirklich jeden Spieler mal ran. Das es ja nun überhaupt keinen Sinn macht einen Cornerback zum 15ten Mal aufs Feld zu schicken, wenn er leistungsmäßig nicht mit dem gegen ihn spielenden Reciever mithalten kann, ist auch irgendwann den NFL Coaches in den Staaten aufgefallen. Konsequenz daraus, den Minicamps der NFL Teams in den Staaten, die von einem Großteil der amerikanischen Coaches sowieso bevorzugt wurden, haben noch mehr Gewicht erhalten.
Ich kann keinen Golf II mit 90 PS in die Vertragswerkstatt bringen und verlangen einen Ferrari draus zu basteln. Selbst tiefergelegt mit 150 PS und Breitreifen bleibt es ein Golf und Kritik an der Werkstatt aufgrund des „fehlerhaften Umsetzens“ scheint zumindest mir falsch. Gerade aber die Owner und Kritiker der Liga, die den geringen Spieleroutput aus der NFLE bemängeln verhalten sich wie im Golfbeispiel.
Das man viele, viele durchaus interessierte Fans damit verprellt hat kann auch der getunte Zuschauerschnitt von 2007 nicht kaschieren.
Das viele alte Ziele der Liga wie Eroberung des europäischen Marktes, erhöhen des Spiellevels außeramerikanischer Spieler etc., gar nicht oder nur noch unzureichend erfüllt werden ist ebenfalls deutlich sichtbar.
Wie eine Verhöhnung der am Sport interessierten Footballfans in Europa erschien mir die Choreo der Fans beim WorldBowl.! „We love NFLE“ war auf der Tribüne zu lesen, in dem Zustand der Liga leider schon lange nicht mehr.
Die Umstellung wurde auch ab irgendeiner Saison deutlich — ich weiß nicht mehr welcher — als gerüchteweise von einer internen Anweisung die Rede war, dass der Headcoach in jedem Spiel beide seiner QBs einsetzen sollte. Da haben etliche Mannschaften, ich meine es betraf zuerst massiv die Galaxy, etliche Spiele verloren, weil der Backup eben nur lau war.
Galaxy hat aber diese Saison reagiert und diese lächerliche Anweisung nicht mehr befolgt.
In den letzten Partien spielte solange es eng war immer o`Sullivan.
Trotzt der durchaus berechtigten Kritik würde ich mir Spieler wie Bramlet, mal in der NFL ansehen.
Wenn dort Leute wie Cleo Lemon als Quaterback of the Future gehandelt werden, dann kann es mit der Talentsichtung nicht weit her sein.
Ich verwette mainen Hut, dass Casey Bramlet zumindest als zweiter QB in einem NFL Team taugt. Und das er das einigen zeigen konnte verdankt er der NFLE.
Im Prctice Squad gibt es keinen Druck, da kann man nur bedingt zeigen ob man mental in der Lage ist in der NFL zu spielen.
Ich fänds schade, wenn das das Ende der Liga wäre, aber der deutsche Football Fan zählt ja eh wenig bis nichts.
Auch wenn hier im Forum eine andere Meinung vorherrscht, das Dolphins-Giants Spiel hätte nach Deutschland gehört.
…mir fällt hingegen sofort Kaiserslautern als zusätzlicher Standort ein.
Trotz Amerikaner sehe ich dort aber auch nicht mehr als 20.000 im Schnitt.
Ich denke das in 2-3 Jahren Schluß ist mit der NFL Europe. Und ehrlich gesagt, obwohl ich Football liebe, live bin ich seit Jahren nicht mehr bei der NFLE, das ganze Party Gedöns nervt…
B.Z. meldet: NFLE stellt den Spielbetrieb mit sofortiger Wirkung ein.
Ich finde derzeit noch keine Bestätigung. Auf der BZ-Website sehe ich nichts, aber der Express hat einen ähnlich lautenden Artikel.
http://www.express.de/servlet/Satellite?pagename=XP/index&pageid=1079341859650&rubrik=218&artikelid=1182012932810
Der Kölne Stadt-Anzeiger meldet das ebenfalls:
http://www.ksta.de/html/artikel/1183068071168.shtml
offoizielle Pressemeldung bei den Hamburg SeaDevils:
http://www.hamburg-seadevils.de/template_details.php4?contentId=2666&table=content
Yup, gerade auch gesehen. Die Sea Devils sind die einzige NFLE-Website. Bei den anderen herrscht noch Friede ,Freude, Eierkuchen. Die Admirals schreiben: “2007 Succesjaar voor League”
Ganz alt sieht gerade Rhein Fire aus, die eine Entscheidung für nächste Woche angekündigt haben und optimistisch noch schreiben: “Dabei geht es um neue Konzepte für die weitere Zukunft der NFL Europa. Wir von Rhein Fire – allen voran ich selbst, gehen fest davon aus – dass die Gespräche im Sinne von Rhein Fire und der NFLE positiv ausgehen und einer erfolgreichen Zukunft unserer Profi-Football-Liga nichts im Wege steht.“. Geschäftsführer Sammy Schmale ist derzeit mit Feuereifer dabei, seinen Sozialplan durchzulesen.
Jetzt auch die von sport1.de betreute deutsche NFL Europa-Website:
http://www.nfleuropa.de/de/artikel/Artikel_9652.html