Selection Sunday vor der March Madness
Heute ist Selection Sunday, heute wird das Teilnehmerfeld für die diesjährige March Madness im College Basketball bekanntgegeben. Es ist eine weitere Eigenart des US-Sports, für die es hier in Europa kein Pendant gibt und es daher eine längere Erklärung bedarf.
Grundsätzliches
Wer bei Collegesport an hiesigen Hochschulsport denkt, greift gleich um einige Größenordnungen daneben. Weil es in den US-Profiligen keinen wirklichen Unterbau mit Auf- und Abstieg und unterschiedlichen Divisionen gibt, existieren andere Strukturen um Nachwuchs heranzuführen. Eben der Collegesport, der deshalb in den USA eine Dimension erreicht hat, die im Grunde genommen schon höchstprofessionell zu nennen sind. Die Budgets der Hochschulen für einzelne Sportarten haben inzwischen Millionenbeträge erreicht. Einige Mannschaften füllen problemlos 80.000er-Stadien oder 15.000er-Hallen. Endspiele sind längst begehrte Prime-Time-Ware für die großen Networks.
Auch die Strukturen innerhalb der College-Sportarten unterscheiden sich vom europäischen Sportbetrieb.
Es gibt eine grobe Einteilung in Division I, Division II und Division III, das sich nach einigen Faktoren wie z.B. Budget richtet. Im Basketball wirklich relevant ist nur die Division I, während im Football auch noch Untergruppierungen der Division I existieren, die die Öffentlichkeit interessieren, z.B. die Div. I-AA. während im Football auch die Div. II noch interessiert.
Es gibt in der Division I insgesamt 31 Conferences, also “Ligen”: ACC, Big East, Big Ten, Big 12, Pac-10, SEC, Mountain West, WAC, Atlantic 10, Conference USA, Missouri Valley Conference, West Coast Conference, Patriot League, Ivy League, etc pp, nur um einige zu nennen. Diese sind ursprünglich mal vorallem unter regionalen Gesichtspunkten entstanden, aber inzwischen gibt es muntere Wechselspiele der Colleges. Gründe die Division zu wechseln, sind attraktivere Gegner und Fernseheinnahmen, wobei es für Colleges kein Sinn macht, in einer starken Conferences keine Siege einzufahren. Dann schon besser in einer mauen Conference gewinnen. Aber dort wiederum ist es schwerer hochklassige Gegner aus anderen Conferences anzulocken.
Um es komplizierter zu machen: die Spielpläne der College-Mannschaften sind nicht streng nach den Conferences ausgerichtet, sondern teilweise frei wählbar.
Nun stellt sich die Frage: wie kürt ein Dachverband mit insgesamt 334 Colleges in 31 Conferences einen Meister?
Im College Basketball hat man dieses mit einem Playoff-System gelöst: der March Madness. 65 Teams werden ausgewählt um an dreiwöchigen Playoffs teilzunehmen.
Diese 65 Teams sind zum einen die 31 Meister der Conferences (automatic bids), sowie 34 weitere Teams die von einem Komittee am Selection Sunday eingeladen werden (at-large berths). Dieses 10 Köpfe starke Komitee schaut dabei auf die Ergebnisse der Colleges und schaut auf die Stärke des Spielplans. Weitere Faktoren sind die von Journalisten und Trainer im Laufe einer Saison erstellten “Polls”, also inoffiziellen Rankings und der “RPI” einer Mannschaft, eine Zahl die nach einer Formel berechnet wird und den eigenen Record und die Stärke des Gegners berücksichtigt.
Diese Methoden bevorteilen die großen, starken Conferences, in der sich die Teams tummeln, die eben auch einen starken Spielplan haben, weswegen ein Großteil der 34 Plätze an DIE sechs großen Conferences ACC, Big East, Big Ten, Big 12, Pac-10 und SEC gehen.
Die großen, bekannten Teams in diesen Conferences, die vielleicht nicht Conference-Meister werden, aber einen hinlänglich guten record haben, können sich ihrer Teilnahme sicher sein. Die Teams die drunter positioniert sind, sind die Wackelkandidaten, die erst mit der Bekanntgabe der Namen am Sonntag um 18 Uhr Ostküstenzeit sicher sein können, ob sie dabei sind, oder nicht, die sogenannten “Bubble Teams“.
Rund um diesen Auswahlprozeß am Selection Sunday hat sich die US-typische Statistikmanie entwickelt. Es gibt bezahlte Experten die in den Medien alles rauf und runterrechnen um vorauszusagen, welche Teams nun vermeintlich sicher im 65er-Feld sind, welche Bubble-Teams an der Kante sind, und welche nun gerade möglicherweise durch eine Niederlage rausgeflogen sind. Diese “Wissenschaft” nennt sich Bracketology.
Das Auswahlkomittee benennt nicht nur die 65 Teams, sondern legt auch die Setzliste fest, nicht minder in der “Bracketology” diskutiert, allen voran vom “Erfinder” Joe Lunardi von ESPN. Die NY Times:
It is no longer enough to wait for the field to be announced and fill in the bracket with predicted winners. It is now sport to spend the regular season predicting which teams will win bids to the tournament, how they will be seeded and where they will play […]
Millions will watch the conversion today as the field for the N.C.A.A. Division I men’s basketball tournament is revealed during an hourlong program.
Among the interested viewers, tucked emotionally between the teams and millions of eager office poolers, will be a loose army of people who see the unveiling of the bracket as the nexus of their lives, either personally or professionally, and sometimes both.
They are prognosticating bracketologists or tireless trackers of the Ratings Percentage Index. They are sellers of software that run office pools, or people who manage Internet contests that attract millions. They are people who will help fill your bracket for a fee, or who will sell you a T-shirt with the bracket on the back.
Die March Madness
Die March Madness wird in den USA abgefeiert. Collegesport verkörpert dort noch den “reinen” Sport mit erdiger Fankultur dank fanatischer Collegestudenten, die “ihre” Uni unterstützen. Der Kult rund um die March Madness soll in den USA alljährlich zu einem Produktivitätsausfall von 3,8 Milliarden US $ führen. ESPN und CBS Sportsline verzeichnen die höchsten Zugriffszahlen auf ihre Website nicht während der NFL-Playoffs, sondern während der ersten Runden der March Madness. Die NY Times:
If a sporting event for fan interaction were created from scratch, it might mirror the N.C.A.A. tournament. Spanning three weekends, it is long enough for engagement, short enough for wandering minds. It involves 65 colleges of varying sizes. It attracts a demographically friendly fan base of students and alumni; untold millions swept up for the ride; and a large audience of small-time office poolers and high-stakes gamblers.
Dazu ein simples Playoff-System bei dem es nach 40 Minuten Spielzeit heißt: do or die. Keine “Hoffnungsläufe” oder ähnliches. Drama und Pathos sind garantiert.
Das Playoff-System könnte nicht straighter sein. Nach einem Ausscheidungsspiel zwischen der Nummer 64 und 65 (“Play-In Game“), am Mittwoch auf NASN, spielen jeweils zwei Mannschaften gegeneinander. Der Sieger zieht in die nächste Runde. Nach dem ersten Wochenende ist das Feld auf 16 Mannschaften reduziert und die Runden heißen entsprechen: Sweet Sixteen, Elite Eight und dann am Finalwochenende Final Four aus dem dann die beiden Finalisten für die Partie am Montag hervorgehen.
Die Setzliste hat eine feste Struktur, wie man auch dem Bracket bei ESPN ansehen kann.
Die 64 Teams der Setzliste werden vier Regionen (“regional groups“) zugeteilt. Diese Regionen spielen ihren “Sieger” aus und entsenden diesen in die Final Four. Diese Regionen hießen ursprünglich “East”, “South”, “Midwest” und “West”, werden aber inzwischen nach den Städten benannt, in denen die Regionalhalbfinale und -finale ausgespielt werden (also: Sweet Sixteen und Elite Eight). Dieses Jahr sind es Washington DC, Atlanta, Minneapolis und Oakland.
Das Komitte bemüht sich die Setzliste gerecht auf die Regionen zu verteilen, wobei es mehr auf die Spielstärke als Lokalitäten ankommt. Die Nummer 1-4 der Setzliste wandern als Gruppenköpfe in die Regionen. In dieser Saison vermutlich: Duke, UConn/Conneticut, Memphis und Villanova.
Und um die Arbeit für das Komittee noch schwerer zu machen, werden auch die Spielpaarungen an den einzelnen Spielorten austariert. Jede Region besitzt nicht nur einen Spielort für das Halbfinale und Finale, sondern je vier weitere Spielorte für die ersten beiden Runden. Spielt an einem Ort die #1 der Region gegen die #16, sollte der Ort im Idealfall als zweites Match #8 gg. #9 bekommen.
Gleichzeitig versucht das Komitte zu vermeiden, dass Mannschaften aus der selben Conference zu früh wieder gegeneinander spielen. Aber wenn einige starke Conferences teilweise acht oder neun Mannschaften entsenden, kann es schon in der zweiten Playoff-Runde (Runde der 32) zu solchen Zusammenstößen kommen. Und das Komittee versucht zu vermeiden, das Underdogs Heimvorteil gegenüber dem Favoriten geniessen können.
Das läßt ahnen, was für eine hochkomplexe Aufgabe die Setzliste ist und warum der Selection Sunday bereits Wochen vorher für Diskussionstoff und ellenlange Kolumnen sorgt.
Heut ist Selection Sunday
In den Tagen und Stunden vor dem Selection Sunday wird massives Bubble Watch betrieben, also geguckt, welche Teams möglicherweise aus dem 65er-Feld rausfallen und welche rein.
Die meiste Bewegung entsteht dadurch, wenn ein schwächeres Team überraschend gut durch die Playoffs der eigenen Conference kommt und Meister wird. Dadurch bekommt es ein automatic bid, also einen automatischen Startplatz in der March Madness und irgendein anderes Team fliegt raus.
Aktuell gibt es gleich zwei solcher Fälle. Syracuse hat gestern nacht die Big East-Playoffs gewonnen (65:61 gegen Pittsburgh), war davor nur die Nummer 9 der Big East und galt als Bubble Team. Hat es davor sieben starke Big East-Teams gegeben, die eh qua gezeigter Saisonleistung eh in der March Madness waren, sind es nun mit Syracuse acht Stück, mit entsprechenden Kolleralschaden quer durch die ganze Setzliste: wie verteilt man die acht Big-East-Teams auf das Tableau mit den vier regional groups.
Der zweite Fall betrifft die SEC. Die South Carolina Gamecocks stehen im Finale gegen Florida. An und für sich glauben die Experten, dass sechs Teams aus der SEC nominiert werden. Siegen aber die Gamecocks, die sonst keine andere Chance haben in die March Madness reinzukommen, kommt es als siebtes SEC-Team hinzu und wieder muss dafür ein Bubble Team anderenortes daran glauben, vermutlich Hofstra oder vielleicht doch SEC-Rivale Alabama.
Die Auguren sehen in den 24h vor Selection Sunday derzeit nur noch 6 – 8 freie Plätze und 15 Bewerber:
Wichita State und Cincinnati sind drin.
Missouri State, Northern Iowa, Alabama, Bradley, George Mason und Hofstra sind knapp drin.
Florida State, Creighton, Seton Hall, Utah State und Michigan knapp draußen.
Houston und Maryland deutlicher draußen.
Auch wenn es in der Setzliste bei den Spitzenplätzen noch einige Bewegung geben, z.B. wenn Duke das ACC-Finale gegen Boston College verliert, und es von UConn von der Nr. 1 verdrängt werden kann, so scheinen die Köpfe der vier regional groups fix zu sein.
In der Washington DC-Group ist UConn der Kopf, in Oakland ist Memphis der Leader, Atlanta bekommt Duke und Minneapolis die Villanova Wildcats.
Am heftigsten war die Diskussion von Memphis. Mitfavoriten für diesen Platz waren Ohio State und Texas. Beide haben aber das Problem, das ihre Conference Finals erst wenige Minuten vor der offiziellen Bekanntgabe der Setzliste zu Ende gehen. Da das Komittee aber sein Ergebnis an CBS überreichen muss und die die entsprechende Grafik bis 18 UHR EST erstellen müssen, kann das Ergebnis der Finals in der Big Ten und Big 12 nicht mehr berücksichtigt werden.
NASN überträgt heute ab 24h die einstündige Selection Sunday-Sendung von CBS. Am Mittwoch als Aufzeichnung das “Play-In-Game” (#64 gg. #65) und ab Donnerstag die erste Runde als Live-Übertragung.
Links
FOX Sports Bubble Watch
ESPN Bubble Watch
ESPN – Bracketology
FOX Sports – Breaking the Brackets
CNNSI – Bracket Projection
Bracketography
Yocohoops
Bracketology-Blog
Ken Pom Blog
NY Times – Die Industrie, die rund um Bracketology enstanden ist.
Reaktionen
Äußerst lesens- und wissenswert das Ganze.
Was ich aber schon immer mal wissen wollte, und ich hoffe, ich bin hier mit meiner Frage an der richtigen Adresse:
In welcher Form findet Sport in den USA statt, wenn er nicht Profisport und nicht Collegesport ist? Gibt es überhaupt etwas Vergleichbares zu einer deutschen Kreis- oder Bezirksliga? Wo und wie treiben Menschen Mannschaftssport, wenn sie das gerne in einem Verein und mit Wettbewerbscharakter tun?
Sorry, wenn das offtopic ist.
Gute Frage. Ich würde aufgrund von Filmen und Büchern tippen, dass es selbstorganisierte Freizeitligen gibt. Selbstorganisiert meint: ohne veritablen Dachverband und Auf-/Abstieg. Bei bestimmten Varianten wie z.B. Streetball könnte es durchaus auch Organisationen geben, die das in die Hand nehmen und evtl. sogar Preisgelder fließen.
Aber genau weiß ich es nicht. In den Medien tauchen sie nicht auf. Umso stärker ist die Fixierung auf den Nachwuchs. In den USA hat man in den letzten jahren sogar angefangen “Little League”-Spiele im Baseball im Fernsehen zu zeigen, also Spiele von 10-, 12-, 14-Jährigen.
Danke für den absolut lesenswerten Beitrag, dogfood!
Jetzt weiss ich endlich auch mal, was die march madness eigentlich ist :)
Einfach Wahnsinn: genau das wollte ich auch schon immer wissen! Danke.
Danke für diese Superzusammenfassung. Nun begreife ich endlich das Prozedere beim Basketball. Merci !
Ein kleiner Fehler hat sich eingeschlichen. Auch im Football ist die Div. II nicht mehr interessant, aber die Div. I ist in I-A und I-AA unterteilt.
Vielen Dank für den ausführlichen Artikel. Ich kann mich meinen Vorpostern nur anschließen, diese Infos habe ich noch nie so gut aufbereitet in meiner Muttersprache bekommen. Good Job, dogfood. (Wie immer.)
@jai: Stimmt. Ich hab eben nochmal nachgeguckt. NASN hatte seinerzeit Anfang Dezember das Halbfinale und Finale aus der Div I-AA gezeigt.
South Carolina hat das SEC-Finale gegen Florida verloren (47:49). Da auch noch Duke das ACC-Finale gegen BC gewonnen hat (78:76), sollten die Herren vom NCAA-Komittee für die March-Madness-Setzliste nun einen geruhsamen Abend haben. South Carolina draussen und Duke fix an Platz 1.
Ich habe mir gestern das Ganze auf NASN angeschaut, es ging mir zwar alles etwas schnelle, aber scheinbar waren alle erstaunt, dass Air Force dabei ist.
Ja, es gab drei “Themen”. Die Bevorzugung von Air Force gegenüber Cincinnati , die vier Vertreter von Missouri Valley gegenüber vier Vertreter der ACC und schließlich die gute Position von Tennessee in der Setzliste (Nr 2 in der Washington DC-Gruppe).
Ich will heute mehr dazu schreiben, warte aber noch bis zum Abend, in der Hoffnung dass NASN inzwischen die Übertragungen festgelegt hat.
Mann mann,
hervorragend – kann mich dem Vorpost von Henning anschließen – endlich verständlich (komplett verständlich) für mich in meiner Muttersprache.
Danke @dogfood.
Hallo dogfood,
den Artikel kannst Du bitte genauso bei wikipedia einstellen, damit endlich alle wissen, was March Madness ist! ;)
Besten Dank!