Timo Hoffmann – Paolo Vidoz: Notstrom-Aggregat

Timo Hoffmann gegen Paolo Vidoz war ein erstaunlich unterhaltender Kampf und das lag vorallem und ausschließlich an Paolo Vidoz. Nach einer Magen-Darm-Grippe des eigentlich als Hoffmann-Gegner vorgesehenen Sprott, ist der Italiener erst am Dienstag für den Kampf angesetzt worden und befand sich ergo nicht wirklich im Training (sein nächster Kampf war erst nächsten Monat vorgesehen).

Jedermann war sich bewusst das Vidoz nicht die Kondition für 12 Runden haben würde und erwartete einen Blitzstart. Und wie. Der kleine, bullige Italiener hatte Dampf hinter seinen Fäusten, legte in jedem Schlag sein ganzes Gewicht rein, schlug grandiose Aufwärtshaken. Sollten Timo Hoffmann und sein neuer Coach (der fünfte innerhalb kürzester Zeit) sich je einen Schlachtplan zurecht gelegt hatten, wurde er mit den ersten Schlägen aus Hoffmann rausgeprügelt.

Hoffmann wollte seine Reichweitenvorteile nutzen und aus der Distanz schlagen. Aber die “Deutsche Eiche” zeigte die Agilität eines alten Baumes. Vidoz ging problemlos auf die Nahdistanz und durchbrach immer wieder mit den Aufwärtshaken oder Geraden die Deckung Hoffmanns. Hoffmann agierte nicht mehr. Er machte keine Meidbewegungen, er versuchte nicht durch Klammern Vidoz aus dem Takt zu bringen, er ging nicht aus der Nahdistanz raus, er fügte sich mehr oder weniger seinem Schicksal.

Vidoz legte soviel Dampf in seinen Schlägen, als ginge es um sein Leben, beziehungsweise weil er Hoffmann fällen wollte, denn er wusste, dass sein Akku irgendwann in der 6ten Runde leer sein würde.

Schon für den beherzten Kampf der ersten Runde habe ich Vidoz ins Herz geschlossen. Aber was Vidoz nach der sechsten Runde aus sich rausholte, gehört zu den Dingen, die wenn sie in einem Hauptkampf im Madison Square Garden passiert wären, würden noch Generationen nach uns vom Kampf des Vidoz schwärmen.

Vidoz wurde nach der sechsten Runde immer passiver um seine Kraft für 2-3 “Überfälle” pro Runde aufzusparen. Hoffmann war aber trotzdem nicht in der Lage über Tempo, Schlagkraft oder Aggressivität Vidoz irgendwie zu dominieren. Der Kampf des Italieners war umso bemerkenswerter, weil er über die komplette Distanz fast ohne Klammern o.ä. ausgekommen ist. Es sprang in Runde 6 sogar ein Niederschlag für Vidoz dabei heraus.

Vidoz wankte nur noch in die Ecke, ging wie ein achtzigjähriger Opa. Er bekam teilweise die Fäuste nicht mehr zur Deckung hoch aber fast schien er eine Taktik der “Abschreckung” zu fahren, die Eindruck bei Timo Hoffmann hinterließ: für jeden Schlag den Hoffmann austeilte, schlug Vidoz zwei brachiale Fäuste durch die Hoffmannsche Deckung.

Die Taktik schien Vidoz gut zu tun, den er bekam spürbar mehr Energie, bekam die Fäuste zur Deckung wieder hoch und war dem K.O.-Treffer näher als Hoffmann.

Nach dem Schlußgong war die Stimmung in Hoffmanns Lager niedergeschlagen, bei Vidoz euphorisch. Das Kampfrichterurteil war eine Unverschämtheit: der ungarische Punktrichter sah Hoffmann zwei Runden vorne und wurde ausgepfiffen. Die anderen beiden Kampfrichter hatten ein besseres Auge und sahen Vidoz mit einer bzw. zwei Runden vorne, für mich immer noch viel zu wenig. Vier bis fünf Runden wären angemessen gewesen.

In der Aufbereitung nach dem Kampf waren sich alle Beobachter in ihrem verheerenden urteil über Hoffmann einig. Sauerland bezweifelte sogar, ob er eine weitere Zukunft im Boxring haben wird. Hier noch einmal die Ranglistenplatzierung von Hoffmann vor dem Kampf: WBC auf 14, der IBF an 15 und in der WBO an 9. Ein Witz.

Vidoz war nach dem Kampf minutenlang nicht in der Lage ein Interview zu führen. Nachdem er minutenlang rastlos heulend im Ring umherirrte und den Kranz, der noch die Beschriftung von Sprott besaß, annahm, verschwand er heimlich und leise. Erst eine Viertelstunde später in seiner Kabine, völlig fertig mit der Welt und gepflegt von seinen Betreuern, gab er ein erstes Interview.

Es ist das klassische Märchen vom Boxer der keine Chance hatte und diese nutze. Der angenehme Pathos wie ihn in dieser naiven Art nur der Sport (und die Natur) liefern kann.

PS: die Leistung des Paolo Vidoz läßt im Nachinein den Ko-Sieg von Valuev gegen Vidoz einst in Runde 9 auch in etwas besserem Licht scheinen.

Sinan Samil Sam – Peter Okhello

Samil Sam gewann deutlich mit 3:0-Richterstimmen und 3, 5 und 6 Punkten Vorsprung, trotz eines Niederschlages in der letzten Runde.

Ich hatte Samil Sam aus Universum-Stall-Zeiten noch als schlagschwach in Erinnerung. Und so dominant und mit Vorwärtsdrang wie er über 12 Runden hinweg auf Okhello draufging, fühlte ich mich bestätigt. Es war eine dominante Vorstellung allerdings ohne “Pfiff”.

Okhello ist allerdings ein merkwürdiger Gegner gewesen. Sehr agil, mit Nehmerqualitäten, ein grimassierender Schauspieler der allerdings sehr passives Boxen betrieb, kaum initiativ wurde. Ich glaube die Boxwelt wird nie erfahren wie gut Okhello wirklich ist, weil er keine Kampfführung betreibt und nur reagiert.

Ich vermute Samil Sam wird es nie bis nach ganz oben schaffen, weil ihm die Abschlußqualitäten fehlen. Aber es war zumindest “ehrliche Arbeit” und unterschied sich damit von Timo Hoffmann.

Drumherum

Kampfabend mit der ARD, das bedeutet in erster Linie seine Ekelgefühle zu überwinden. Gestern wurde man dafür belohnt.

In Andreas Witte scheinen zwei Persönlichkeiten zu stecken. Der “Herr Andreas” der im Namen des Propagandaministeriums Sauerland Legendenbildung rund um Sauerlands Vorzeigeboxer Valuev betreibt und der “Dr. Witte” der, abgesehen von einigen Ausfällen (“der tapfere Italiener mit dem großen Herz“, “der Bäcker der demnächst kleine Brötchen backen muss“) eine nüchterne und analytisch korrekte Kommentierung bringt.

Wenn es anscheinend nicht um Sauerlands Premiumartikel geht, dann kann sich die ganze ARD zusammenreißen und neutral kommentieren, bis hin zu Sven Ottke, den man selten über einen Sauerland-Boxer so urteilen sah, wie gestern über Hoffmann. So sehr, dass sich sogar Weizenbier-Hartmann aus der Deckung kam und fragte ob ein Hoffmann nochmals in den Ring steigen dürfe.

Apropos “in den Ring steigen”. Einer der schwersten Jobs ist der des Ringsprechers. Was sind schon für große Namen und routinierte Reporter und Moderatoren gescheitert und haben sich zum Hampelmann gemacht: Ben Wett, Waldemar Hartmann, Ben Becker, Karsten Speck. Der grundsätzliche Fehler: mehr aus der Geschichte machen zu wollen, als es ist, weil man glaubt dass man es nur auf der Michael Buffer-Art und Weise machen kann.

Ralf Scholt ist seit einigen Kämpfen der Mann im Ring. Und macht die Sache einfach gut. Kein unnötiges Hochgejazze, sondern straight das vortragen, was vorzutragen ist. Dafür dass die Fallhöhe eines veritablen ARD-Sportchefs (HR) groß ist, macht er es gut.

Das rundete das Bild eines unterhaltsamen Boxabends ab.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ja eine schwere Schlappe für Hoffmann. Er kämpfte wie ein Sandsack, steck viel ein und bewegt sich fast nur wenn er getroffen wurde.
    Eigentlich hatte ich erwartet, dass er gegen Ende des Kampfes stärker wird, ein Sieg bei gnädigen Kampfrichtern wäre noch möglich gewesen (man denke da mal an den ungarischen Punktrichter der wohl Brötchen auf den Augen hatte und nicht mal das Anzählen in der 6ten bemerkte), aber dann lässt er sich auch noch die Runden 11 und 12 entgehen, gegen einen Gegner den man schon nach der 4ten Runde anmerkte, dass er nen Konditions-Mangel hat und der ab der 9ten eigentlich vollends ausgepowert war.
    Letztenendes hab ich den Kampf mit 116:111 für Vidoz gesehen.
    Hoffmann machte einfach genug falsch um zu verlieren und so konnte Vidoz immer mal so in der letzten Minute einer Runde aufwachen und ein oder zwei Serien landen, während Hoffmann ihn nur etwas “streichelte”.

    Nach Trainer hin-und-her und der Unfähigkeit aus der größten EBU-Titelchance die man nur irgendwie haben kann (Ersatz-Gegner mit 4-Tages-Vorbereitung) kann ich mir kaum vorstellen dass Sauerland den Hoffmann noch im Stall behält, besonders angesichts der deutlichen Worte von Sauerland im Interview nach dem Kampf.
    Zurecht war Hoffmann bei den Computerrankings nicht unter den Top30, nun bleiben für ihn höchstens Titelkämpfe bei unbedeutenden Verbänden oder vielleicht auch um die deutsche Meisterschaft … wobei, hm, dem gestrigen Hoffmann traue ich garkeinen Sieg mehr zu.
    Nach dreimaliger Unterlegeheit in Folge (Krasniqi, Mirovic, Vidoz) sollte man sich schon Gedanken über ein Karriereende machen.

    Vidoz hingegen wird nun von manchen Leuten ins Herz geschlossen worden sein. Sein auftreten vor und nach dem Kampf, sein Einmarsch, sein Kampf … ja, er wurde zurecht im Kampf bejubelt.
    Mit einer erfolgreichen Pflichtverteidigung gegen Sprott kann er sich weiter in den Rankings verbessern.

    Sam?
    Ja den hab ich nun das erste Mal erst gesehen. Ein etwas kleinerer stämmiger quirliger Typ. Der zeigt etwas interessanteres Boxen als so manch anderer SE-Stallgefährte … aber die Wucht in den Schlägen fehlt wohl in der Tat.
    Ein Gegner wie Okhello nützt ihm auch in keinster Weise etwas. Eigentlich konnte nur der Afro-Japaner (lustige Leute hat der mitgebracht) was gewinnen. Mit solchen Gegnern fällt Sam im WBC-Ranking eher zurück, als dass es für ihn aufwärts ginge (wobei von Klischko, Rahman, Barrett wahrscheinlich 2 Boxer noch dieses Jahr nen Kampf verlieren werden).

    Ansonsten kann ich nur zustimmen, dass die ARD-Übertragung überraschend gut war. Der Witte-Faktor hielt sich in Grenzen, Ralf Scholt fällt weiter angenehm auf und Waldi und Ottke haben noch nie so wenig Müll gelabert.

    Am Rande notiert:
    Tysons Karriere ist zuende, ihm fehlt das Feuer, er hatte keine Lust mehr. Für McBride sein bisher größter Erfolg. Wer gestern auf ihn und Vidoz setzte hatte gute Quote.

    UBP-Welterweight-Boxer Abdullaev hingegen konnte seinen Olympia-Erfolg gegen Cotto nicht wiederholen. Er konnte zwar mithalten aber nach der 9ten war ein Auge völlig zugeschwollen.

  3. Sorry, keine Ahnung warum du in der Moderationsschleife hingst.

    Bei den Aussagen von Sauerland bin ich mir nicht sicher, ob es taktische Aussagen waren, um den Preis für eine Vertragsverlängerung zu drücken. Mit Verlaub, es läuft soviel Müll in den deutschen Boxställen herum, dass alleine schon ein Name wie “Timo Hoffmann” auch nach der neuerlichen Niederlage, einiges an Vermarktungsmöglichkeiten verspricht. Für die ARD könnte es reichen…

    Abdullaev: ich wusste gar nicht dass er bei UBP ist und war überrascht als ich gestern bei NASN im “Sportcenter” den Sdunek beim Wiegen gesehen hatte.

    Tyson: ich lese gerade den Bericht in der New York Times durch. Abgesehen davon, dass ich meine Probleme mit einem 38jährigen Schwergewichtler habe, der zudem noch Mike Tysen heißt, hat Tyson wohl wieder die Contenance verloren und ab der 5ten Runde ziemlich dreckig geboxt, inkl. Arm umdrehen und Kopfstössen. Tyson hat zwei Punkte Abzug wegen der Kopfstöße bekommen. Und wie bei den letzten Kämpfen, hatte auch diesmall Tyson wieder wenig Benzin mit sich und zeigte früh konditionelle Probleme.

  4. Ich hab mir den Kampf grad angesehen.

    Nun McBride holte sich die beiden ersten Runden, was schon die wenigsten erwartet hätten. Tyson wurde in der dritten besser und holte sich die folgende vierte Runde klar. In der 5ten Runde wars eigentlich nicht dreckiger, jedoch ging diese wiederum klar an McBride.
    Und nachdem die sechste Runde spektakulär anfing kam dann die Armbiegerei … Tyson vermochte wohl nicht zu akzeptieren, dass McBride so stark sein würde. Nachdem der Kampf vom Ringrichter wieder freigegeben war, kam gleich als erstes von Tyson ein Teifschlag, wenige Sekunden später dann der Kopfstoß mit Cut.
    Die sechste Runde war dann zeitweise wieder ausgeglichener, aber am Ende kam McBride wieder auf und landete ein paar Treffer. Ob nun Tyson davon beeindruckt war und sich deswegen gefällig von McBride niederdrücken ließ ist schlecht festzumachen, ein Anzählen hats nicht gegeben, doch Tyson hatte da schon kaum Lust aufzustehen und blieb dann kurze Zeit später in seiner Ecke … keine Lust mehr.
    Kondition hmm … Tyson schien gut trainiert zu sein. Ich würd mal sagen McBride war einfach auch gut dabei … und Tyson eben nicht mehr das was er mal war.