Schmuddel auch bei den Franzosen
“Operation ‘Saubere Füße'”
Die Geschichte ist zwar 10 Tage alt, aber ich bin erst jetzt dazugekommen die abgespeicherten Seiten durchzulesen und da in Deutschland sowieso keine Sau davon berichtet hat…
Die Libération berichtete am letzten Samstag in großer Aufmachung und seitenlangen Dossiers von Skandalen und Skandälchen die derzeit an jeder Ecke im französischen Fußball auftauchen.
Voreillig
Am Donnerstag vor 10 Tagen wurden Geschäftsräume von 20 Unternehmen, Verbände und Vereine durchsucht um Material zu finden die dann möglicherweise zur Einleitung eines Kartellverfahrens führen. Dabei geht es die Vergabe von TV-Lizenzen zwischen 2001 und 2004.
Angefangen hat es mit einem merkwürdigem Konstrukt: der Pay-TV-Sender “Canal+” gründete für sechs franz. Vereine (Paris Saint Germain, Girondins Bordeaux, Olympique Lyon, AS Monaco, Olympique Marseille, RC Lens) einen “Club Europe“. Canal+ ging damals davon aus, dass in Bälde die Vereine ihre TV-Rechte selber handlen würden (wie in Spanien oder England) und wollte sich mit diesem Club Europe für 250 Mio Euro eine Art Vorkaufsrecht bei den sechs größten franz. Vereinen sichern.
Dumm gelaufen. 2002 wurde die gemeinschaftliche TV-Rechtevergabe via Verband vom Staat in Gesetze gegossen und 2003 hatte der Konkurrent TF1/TPS Erfolg mit einer Beschwerde beim Kartellamt (“Conseil de la concurrence“) und der Club Europe musste 2003 geschlossen werden. Zwar hatte Canal+ bis dato nur 160 der 250 Mio Euro eingezahlt, aber hat dafür null Gegenleistung erhalten.
Mittelsmann des Deals war Jean-Claude Darmon, der mit den Clubs und dem Sender verhandelte. Diesen Namen merken wir uns bitte, wir kommen auf ihn zurück.
So, jetzt schalten wir eine Komplexitätsstufe höher.
Verbandskaste
Just in diesen Wochen fand an der Spitze des französischen Fußballverbandes (FFF – Franz. Fußball Ferband) ein Personenwechsel statt. Claude Simonet gab das Zepter an Jean-Pierre Escalettes ab.
Simonets Hinterlassenschaften sind nun seit einigen Tagen gerichtsnotorisch, denn die Bilanzen waren nicht wirklich so wie man Bilanzen führen sollte. Für 2002/03 waren 62.000 Euro Verlust ausgewiesen, de-facto waren es 14 Mio Euro Verlust. Rechte an der Vermarktung der Nationalmannschaftzuerst wurden unter Simonet an SportFive und später Football France Promotion abgegeben. Die TV-Rechte der Équipe tricolore gingen an TF1 ebenso für lau und ohne Ausschreibung.
Der Chef zuerst von SportFive und dann Football France Promotion: Jean-Claude Darmon. Besitzer von SportFive: Canal+.
Geld? Was für Geld?
Damit zur dritten Skandalfront in Frankreich.
Seit Januar wird nun gegen PSG ermittelt, inwieweit dort bei Spielertransfers alles mit rechten Dingen zu gegangen ist. Zwischen 1998 und 2003 hat es mehr als 100 Spielertransfers von PSG gegeben, die mittels Prämien und Handgelder zumeist so kompliziert aufgebaut waren, dass der Verdacht auf Schwarzgelder oder illegale Spielervermittler aufgekommen ist.
Es gibt im französischen Fußball ein weiteres eigenartiges Konstrukt: der Fernsehsender Canal+ und der Fußballclub Paris St. Germain sind im Laufe der Jahre so eng miteinander verwoben, dass der Verein inzwischen dem Sender zu 98% gehört. Der Senderchef oder der Chefredakteur der Sportabteilung waren häufig genug gleichzeitig Clubpräsident.
Übrigens hat das Modell inzwischen einen Nachahmer gefunden: Girondins Bordeaux wird von M6 kontrolliert. M6 ist der kleinere der beiden Free-TV-Privat-Sender, hat eine Zielgruppe irgendwo zwischen RTL2 und Pro7 und gehört der RTL/Bertelsmann-Gruppe. M6 ist mit dem großen Privatsender TF1 am Canal+-Pay-TV-Konkurrenten TPS beteiligt.
Und um es noch bizarrer zu machen: in Frankreich gibt es keine Städte-Derbys. Daher haben zehn Investoren sich nun den Dritt-Liga-Club Entente Sannois-Saint-Gratien aus Paris geschnappt, erstmal in “L’Entente SSG” umbenannt und stecken Gelder rein. Derzeit gibt der Verein doppelt so viel Geld aus, wie eingenommen wird. Die Investoren? Ehemalige Geschäftsführer von Canal+, ein aktueller Produzent von Canal+ (Quelle: Le Monde)
Inszest
Das nun permanent der Name Canal+ erwähnt wird, kommt nicht von ungefähr. Ähnlich wie PREMIERE braucht Canal+ den Fußball wie der Fußball Canal+ braucht, was den horrenden TV-Rechte-Deal von 600 Mio p.a. erklärt, der vor Monaten abgeschlossen wurde (nähere Erläuterungen zu Canal+ und dem Deal auf aas).
Tut dies wirklich die Irsinnssumme von 600 Mio erklären, zumal Canal+ den vorigen TV-Deal 1998 für 122 bis 375 Mio Euro p.a. machte?
Der Verband der Kleinaktionäre hat deswegen Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, vermutet das Canal+ zuviel gezahlt hat. Sind irgendwo Gelder unter der Hand geflossen?
Es riecht streng. Canal+ gehört Paris St. Germain. Bei PSG präsidiert Francis Graille. Graille ist Präsident des Ligaverbandes LFP (vglbar mit der DFL) und vergab die Recht an… Canal+.
1998 gab Konkurrent TPS ein höheres Angebot für die TV-Rechte ab, aber Canal+ bekam den Zuschlag. Jedesmal mit am Tisch: die graue Eminenz des französischen Fußball-Marketings: Jean-Claude Darmon, da isser wieder, der Name.
Die graue Eminenz
Jean-Claude Darmon ist ein Selfmade-Man aus der Nachkriegs-Generation. Sein erste Geschäftsidee war 1968 ein Jahrbuch des franz. Fußballs, ehe er auf die Idee kam die Werbebanden zu vermarkten. 27 Jahre später geht er mit seinem Unternehmen und einem Jahresumsatz von 100 Mio Euro, an die Börse. Sechs Jahre später, 2001, wird das Unternehmen von Darmon in “SportFive” umbenannt und von Canal+ einverleibt, ja, wieder Canal+. 2004 wird das Unternehmen verkauft, Darmon verläßt SportFive und baut eine neue Marketingagentur auf. Eine Tochter der Agentur ist “Football France Promotion“. Ja, jene Agentur die für die Vermarktung der Nationalmannschaft verantwortlich ist und ebenfalls im Fokus von Untersuchungen ist.
Darmon hat in seinen Jahrzehnten im Fußball-Business ein unvergleichliches Netzwerk an Kontakten und Abhängigkeiten aufgebaut. Er beansprucht für sich der Ideengeber der TF1-Bundesligasendung “Téléfoot” zu sein (vgl. mit Sportschau) oder des jüngeren Canal+-Pendants “Jour de Foot“. Es geht die Legende dass er es war, der 1988 Michel Platini als Nationaltrainer installiert hat.
Mani Pulite
Zwar sind die Ermittlungen in diesen Skandalen in einer sehr frühen Phase und noch weit davon entfernt vor die Gerichte zu landen. Aber es wird auch als ein Säuberungsprozeß angesehen, der die inszestuösen Verbindungen zwischen Fußball, Medien und Wirtschaft aufdecken und beseitigen soll. Vergleichbare Prozeße hat Frankreich in der letzten Dekade mit der Vermischung zwischen Staat, staatliche Konzerne und Politiker gehabt, Stichwort “Total Elf”-Komplex. Oder auch in Italiens Politik, worauf “Mani Pulite” (“Saubere Hände”) und der Libération-Titel anspielen.
Die Affäre wird medial derzeit völlig überdeckt von der “Affäre Barthez”. Bei einem Freundschaftsspiel vor 2 Wochen von Marseille in Casablanca, verließ Marseille in der 80ten Minute das Spielfeld aus Protest gegen die überharte Gangart der Marokkaner. Barthez soll dabei den marokkanischen Schiedsrichter angespuckt haben und die marokkanische Öffentlichkeit macht eine Staatsaffäre draus.
So ein spuckender Glatzkopf ist dann doch plakativer als das beziehungsknäuel von Canal+, Fußballverband und Darmon.
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