Zeilensport: Fußball für den Krieg
Insbesondere zu Welt- und Europameisterschaften oder aber nun auch als Sogwirkung in Folge des Klinsmann-Brimbaborium wird viel über die Wechselwirkung zwischen Sport und Politik bzw. Sport und Gesellschaft geschrieben. Bishin zu den von Menotti kolportierten These dass nur Linke einen guten, kreativen Kick spielen können.
Auf wenige Schlagwörter verkürzt, lassen sich all diese Thesen schnell ins Lächerliche ziehen und damit in den Papierkorb werfen. Aber gerade das “Experiment Klinsmann” bietet faszinierenden Stoff für ein Deutschland das gleichzeitig reformhungrig aber auch enorme Beharrungskräfte besitzt.
In “Football oder Fußball – Lernen für den Krieg” geht Jürgen Kalwa von FAZ der Frage nach, was Militärs von Sportarten lernen können.
In Wirklichkeit zeigt [Football], daß in den Vereinigten Staaten eine erstaunliche Begeisterung für ein Menschenbild existiert, in dem der einzelne gar nichts, sein Trainer jedoch alles ist.
Sie sind die Feldherren, die mit Stäben von mehr als zehn Assistenten dem Spiel soviel Spontaneität wie möglich austreiben. Sie sind es, die wie Schachspieler jeden Zug vorausdenken. Und die am Ende wie Feldherren gefeiert werden wollen, wenn ihre Spieler als anonyme Figuren auf dem knapp hundert Meter langen Rasenrechteck ihre Anordnungen ausgeführt haben.
Es sind schon viele Traktate darüber geschrieben worden, weshalb diese Strukturen von Befehl und Unterordnung in einem Land, in dem individuelle Freiheit großgeschrieben wird, Millionen in die Stadien und vor die Fernsehschirme locken. […]
Der englische Philosoph Bertrand Russell wies in seinem Buch “Eroberung des Glücks” darauf hin, daß sich der übertriebene amerikanische Sportsgeist aus einem sozialen Umfeld speist, in dem “eine unangemessene Kultivierung des Willens auf Kosten der Sinne und des Intellekts” stattfindet.
Da kann man einiges von unterschreiben, anderes wiederum stimmt schlichtweg nicht, weil es die immer stärkere Fokussierung auf Starspieler und die Geschichten um sie herum unterschlägt. Wieviele haben am Sonntag von Dungy, Sherman und Tice geredet?
Auslöser für Kalwas Artikel ist ein Aufsatz in einer Militärzeitschrift aus dem Jahr 2003: “Football contra Fußball: Amerikanische Kriegsführung in einer Zeit unkonventioneller Bedrohungen”.
Der Standpunkt der beiden Autoren, Jöl F. Cassmann […] und David Lai […] ist eindeutig: Fußball sei das Modell, an dem man das Verhalten von terroristischen Organisationen und bewaffneten Aufständen wie im Irak studieren könne. Wie bei einer guten Fußballmannschaft würden Geduld, Improvisation und Überraschungsangriffe eingesetzt, ohne zentrale Kommandostelle, mit einem Minimum an technischer Ausrüstung. “Amerikanische Gegner, die Fußballstrategien anwenden, betrachten gewöhnlich die ganze Welt als das Spielfeld und greifen dort an, wo die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten verwundbar sind.” […]
Ihre Absage an die schablonenhafte Strategie des Footballs brachte den beiden Vordenkern jedoch vom Militärestablishment kaum Lorbeeren ein. Football, das unter seiner Oberfläche ein faszinierendes Tauziehen zwischen Machismo und Mathematik, zwischen Schach und Schinderei verbirgt, gehört zur DNA der amerikanischen Streitkräfte. […]
Das Hauptargument der Traditionalisten: Die Strategie massierter Formationen, die auf überwältigende Feuerkraft und Unterstützung aus der Luft angewiesen sind, begrenze das Ausmaß der Verluste bei den eigenen Truppen. Ein Oberst und ein Major unterstrichen in ihrer Replik: “Die USA sind gut beraten, sich bei militärischen Auseinandersetzungen nicht auf 1:0-Fußballsiege einzulassen.” Amerika solle lieber auf für Football typische Kanterresultate wie 49:0 abzielen. Begründung: “Dann haben Gegner weniger Lust auf eine Revanche.”
Der Aufsatz von Lai und Cassmann hat innerhalb der Armee für viel Diskussion gesorgt und in der Tat sollen z.B. im Irak die US-Militärs derzeit mit kleineren, flexibleren Einheiten arbeiten.
Links
Originaltitel des Aufsatzes “‘Football vs. Soccer: American Warfare in an Era of Unconventional Threats” von Joel Cassmann und David Lai.
Der Aufsatz liegt als PDF-Kopie u.a. auf der US-Militär-Site: “Air War College“, an dem einer der Autoren lehrt. Auf der Seite nach “Soccer” suchen.
Siehe auch:
- Soccer Model of Warfare, The, Rezension in der NY Times.
- Essay und Interview in “The Global Game“. Dazu auf der Website das PDF mit der Ausgabe 11 herunterladen (siehe Heftarchiv)
Reaktionen
Der Vergleich von Football und Militär stimmt zwar – allerdings andersherum:
American Football hat Taktiken/Strategien von militärischen Manövern übernommen! Nicht umsonst heißt es zum Beispiel auch im Amerikanischen “blitzen”: Das kommt tatsächlich von “Blitzkrieg”. Ganze Spielzüge wurden analog zu Panzermanövern von Erwin Rommel entworfen. Leider finde ich gerade nicht den passenden Beleg dafür, bin mir aber ziemlich sicher, das mal irgendwo gelesen zu haben.
Insofern wäre es schon ein Treppenwitz der Sportgeschichte, wenn sich das Militär jetzt umgekehrt wieder beim Football seine eigenen Taktiken zurückholen würde.